VfGH B488/79

VfGHB488/7926.11.1982

ASVG; keine Bedenken gegen §225 Abs3 idF der 33. Novelle sowie gegen §226 Abs3 idF der 21. Novelle - kein Entzug des gesetzlichen Richters; keine denkunmögliche Anwendung

StGG; den Schutz des Art5 genießen nur Privatrechte

Normen

B-VG Art7 Abs1
B-VG Art18 Abs1
StGG Art5
ASVG §225 Abs3 idF 33. Nov
ASVG §226 Abs3 idF 21. Nov
B-VG Art7 Abs1
B-VG Art18 Abs1
StGG Art5
ASVG §225 Abs3 idF 33. Nov
ASVG §226 Abs3 idF 21. Nov

 

Spruch:

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Eingabe vom 19. Jänner 1979 ersuchte der Beschwerdeführer das Bundesministerium für soziale Verwaltung um Bewilligung der wirksamen Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen in die Pensionsversicherung der Arbeiter für die Zeit von 1950 bis 1963, da er sich während dieser Zeit in Gefangenschaft befunden habe. Die russische Gesandtschaft in Wien habe sich bereit erklärt, ihm die fehlende Zeit für die Pensionsversicherung zu bezahlen, wenn er einen "amtlichen Zahlungsbescheid vorlege". Er habe seit 1974 um die Pension eingereicht, sei aber "wegen fehlender Monate" abgelehnt worden, obwohl es gesetzlich möglich sei, "die fehlende Zeit zu bezahlen". Er sei 66 Jahre alt und lebe von der "Sozial-Fürsorge-Hilfe".

1.2. Mit Bescheid des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 11. Juli 1979, Z 120.499/3-6/79, wurde dem Antrag des Beschwerdeführers auf Anerkennung der wirksamen Erwerbung der Beitragszeiten in der Pensionsversicherung für Arbeiter durch Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen für die Zeit 1950 bis 1963 gemäß §226 Abs3 ASVG keine Folge gegeben bzw. der Antrag, soweit damit die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen für die Zeit nach dem 31. Dezember 1955 begehrt wurde, gemäß §6 Abs1 AVG 1950 iVm §225 Abs3 ASVG zurückgewiesen.

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend gemacht, die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens wegen Verfassungswidrigkeit der §§225 Abs3 und 226 Abs3 ASVG angeregt und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen und den Antrag gestellt, die Beschwerde abzuweisen.

3. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

3.1. Der angefochtene Bescheid stützt sich ua. auf die §§225 Abs3 und 226 Abs3 ASVG, und zwar erstgenannte Bestimmung idF der 33. Nov., BGBl. 684/1978, und letztgenannte Bestimmung idF der 21. Nov., BGBl. 6/1968.

§225 Abs3 ASVG sieht vor, daß für Beitragszeiten nach dem 31. Dezember 1955 das Bundesministerium für soziale Verwaltung in Fällen besonderer Härte auch Beiträge als wirksam entrichtet anerkennen kann, die für Zeiten nach Abs1 Z1 leg. cit. nach Ablauf von 5 Jahren seit ihrer Fälligkeit entrichtet werden. §226 Abs3 sieht vor, daß das Bundesministerium für soziale Verwaltung in Fällen besonderer Härte die Erwerbung von Beitragszeiten durch Nachentrichtung von Beiträgen für eine vor dem 1. Jänner 1956 gelegene Zeit insoweit als wirksam anerkennen kann, als für diese Zeit nach den für sie in Geltung gestandenen oder nachträglich für sie getroffenen Bestimmungen Beiträge zu entrichten gewesen wären oder hätten entrichtet werden können.

3.2. Die belangte Behörde hat dem Antrag des Beschwerdeführers auf Anerkennung der wirksamen Erwerbung von Beitragszeiten in der Pensionsversicherung für Arbeiter durch Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen für die Zeit von 1950 bis 31. Dezember 1955 im wesentlichen mit der Begründung keine Folge gegeben, daß auch im Falle einer Stattgebung der wirksamen Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen ein Leistungsanspruch des Beschwerdeführers nicht begründet werden könnte. Zu dem auf Grund der Antragstellung am 19. Jänner 1979 maßgeblichen Stichtag (1. Feber 1979) seien vom Beschwerdeführer neben 41 vor dem 1. Jänner 1939 gelegenen Ersatzmonaten 51 Beitragsmonate der Pflichtversicherung sowie 23 Ersatzmonate nachgewiesen worden. Da alle angeführten Versicherungszeiten nicht in den Anrechnungszeitraum fielen, seien die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt. Auf das Zweidritteldeckungserfordernis ab 1. Jänner 1939 fehlten 239 Versicherungsmonate, die "in den Unterbrechungen" im Versicherungsverlauf ab 1. Jänner 1939 bis 31. Dezember 1955 "nur zum Teil gelagert werden könnten". Der Mangel in den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen könne somit im Wege des §226 Abs3 ASVG nicht behoben werden, sodaß sich die belangte Behörde nicht veranlaßt gesehen habe, von dem ihr gemäß dieser Bestimmung zustehenden Ermessen antragsgemäß Gebrauch zu machen.

Für die Bewilligung einer wirksamen Nachentrichtung von freiwilligen Pensionsversicherungsbeiträgen für die Zeit ab 1. Jänner 1956 fehle der belangten Behörde die gesetzliche Zuständigkeit, weil durch §225 Abs3 ASVG dem Bundesminister für soziale Verwaltung lediglich die Berechtigung eingeräumt werde, verspätet und daher unwirksam entrichtete Beiträge zur Pflichtversicherung für Zeiten nach dem 31. Dezember 1955 als wirksam entrichtet anzuerkennen. Der Antrag des Beschwerdeführers sei daher, soweit damit die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen für die Zeit ab 1. Jänner 1956 begehrt werde, zurückzuweisen gewesen.

3.3.1. Gegen die §§225 Abs3 und 226 Abs3 ASVG wird vom Beschwerdeführer der Vorwurf erhoben, daß diese Bestimmungen in Folge mangelnder Präzisierung eine Ermächtigung zu einer geradezu schrankenlosen Ermessensausübung erteilten, was im Widerspruch zu Art18 Abs1 B-VG stehe. Vom Beschwerdeführer wird daher die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens angeregt.

3.3.2. Der VfGH hat sich mit gleichgerichteten Vorwürfen gegen die zitierten Bestimmungen, damals idF der 9. Nov. zum ASVG, BGBl. 13/1962, bereits mit Erk. VfSlg. 8392/1978 befaßt. Unter Hinweis auf seine Vorjudikatur zum Determinierungsgebot (vgl. VfSlg. 6550/1971) sowie die Rechtsprechung des VwGH zu den §§225 Abs3 und 226 Abs3 ASVG (insbesondere die Erk. des VwGH vom 19. Jänner 1966, Z 788/65, vom 14. September 1966, Z 509/66, und vom 27. Oktober 1971, Z 891/71) wurde vom VfGH ausgeführt, daß gegen die genannten Bestimmungen in der damals maßgeblichen Fassung verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestehen. Weder die Novellierung des §225 Abs3 durch die 33. Nov. zum ASVG noch die Novellierung des §226 Abs3 durch die 21. Nov. zum ASVG haben diese Bestimmungen inhaltlich in einer Weise verändert, daß die im Erk. VfSlg. 8392/1978 angestellten Erwägungen einer Ergänzung bedürften. Auch aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles haben sich keine Aspekte ergeben, die den VfGH zu Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der genannten Bestimmungen veranlassen würden.

3.4.1. Der Beschwerdeführer behauptet, durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein. Soweit seinem Begehren auf Nachentrichtung von Beiträgen für die Zeit von 1950 bis 31. Dezember 1955 mit der Begründung keine Folge gegeben worden sei, daß sich die belangte Behörde hiezu nicht veranlaßt gesehen habe, da auch im Falle der Stattgebung ein Leistungsanspruch nicht begründet würde, habe die belangte Behörde das geltend gemachte Grundrecht dadurch verletzt, daß sie sich nicht veranlaßt gesehen habe, von dem ihr gemäß §226 Abs3 ASVG zustehenden Ermessen antragsgemäß Gebrauch zu machen. Soweit die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung einer wirksamen Nachentrichtung von freiwilligen Pensionsversicherungsbeiträgen für die Zeit ab 1. Jänner 1956 mit der Begründung zurückgewiesen habe, daß §225 Abs3 ASVG ihr lediglich die Berechtigung einräume, verspätet und daher unwirksam entrichtete Beiträge zur Pflichtversicherung anzuerkennen, werde das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, da sich die zitierte Bestimmung ausdrücklich auch auf Zeiten freiwilliger Versicherung (§225 Abs1 Z3) beziehe.

3.4.2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (vgl. zB VfSlg. 8828/1980). Soweit die belangte Behörde dem Begehren des Beschwerdeführers auf Bewilligung einer wirksamen Nachentrichtung von freiwilligen Pensionsversicherungsbeiträgen für die Zeit von 1950 bis 31. Dezember 1955 keine Folge gegeben hat, weil, wie im angefochtenen Bescheid ausgeführt, selbst für den Fall der Bewilligung ein Leistungsanspruch des Beschwerdeführers nicht begründet würde, wurde eine Sachentscheidung gefällt. Die belangte Behörde hat nicht, wie der Beschwerdeführer offensichtlich vermeint, eine Entscheidung verweigert, sondern unter Berufung auf die von ihr aus den Gesetzesmaterialien erschlossenen Absicht des Gesetzgebers einen antragsgemäßen Ermessensgebrauch abgelehnt. Dem Beschwerdeführer wurde somit eine Sachentscheidung über sein Begehren auf Entscheidung gemäß §226 Abs3 ASVG nicht verweigert. Ob die Behörde richtig vorgegangen ist, war in Beurteilung der behaupteten Verletzung des Grundrechtes des Art83 Abs2 B-VG nicht von Bedeutung, da selbst die Unrichtigkeit einer Entscheidung die Zuständigkeit der Behörde und damit das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht berührt (VfSlg. 5472/1967, 5616/1967, 9104/1981).

Die belangte Behörde hat auch dem Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung einer wirksamen Nachentrichtung von freiwilligen Pensionsversicherungsbeiträgen für die Zeit ab 1. Jänner 1956 keine Folge gegeben. Der Vorwurf des Beschwerdeführers, hiedurch im Recht auf das Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein, wäre begründet, wenn ihm trotz Zuständigkeit der Behörde für die Behandlung seines Begehrens eine Sachentscheidung verweigert worden wäre. Der Beschwerdeführer behauptet hiezu, daß sich §225 Abs3 ASVG auch auf Beitragszeiten einer freiwilligen Versicherung (§225 Abs1 Z3 ASVG) beziehe. Nach Ansicht der belangten Behörde findet dies im Gesetz keine Deckung. §225 Abs3 räume dem Bundesminister für soziale Verwaltung nur die Berechtigung ein, in Fällen besonderer Härte Beiträge zur Pflichtversicherung, die nach Ablauf von 5 Jahren seit ihrer Fälligkeit entrichtet werden, als wirksam entrichtet anzuerkennen. Die belangte Behörde hat diese Rechtsansicht ihrer Entscheidung zugrunde gelegt. Damit hat sie, wenn auch prozessual im Erscheinungsbild einer Zurückweisung, eine negative Sachentscheidung gefällt. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter liegt demnach auch insoweit nicht vor.

3.5. Der Beschwerdeführer behauptet weiters, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums in Folge denkunmöglicher Gesetzesanwendung verletzt worden zu sein.

Hiezu genügt es, darauf zu verweisen, daß den Schutz des Art5 StGG nur Privatrechte genießen. Ansprüche öffentlich-rechtlicher Natur fallen nicht unter die Eigentumsgarantie dieser Verfassungsbestimmung (vgl. VfSlg. 5263/1966, 5333/1966, 5948/1969). Die Sozialversicherung ist eine Einrichtung des öffentlichen Rechtes (VfSlg. 9139/1981). Auch die vom Beschwerdeführer beantragte sozialversicherungsrechtliche Begünstigung gehört dem öffentlichen Recht an. Schon allein aus diesem Grunde kann der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nicht verletzt worden sein (VfSlg. 6733/1972).

3.6. Die behaupteten Verletzungen verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte haben somit nicht stattgefunden. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden wäre. Insbesondere kann der belangten Behörde auch nicht der Vorwurf einer denkunmöglichen und damit Willkür indizierenden Gesetzesauslegung gemacht werden, soweit sie die Auffassung vertritt, daß von den §§225 Abs3 und 226 Abs3 ASVG nur soweit Gebrauch gemacht werden darf, als nicht die Vorschriften über die Wartezeit und die Deckung illusorisch werden, sodaß die genannten Bestimmungen grundsätzlich nur herangezogen werden dürfen, um Lücken im Versicherungsverlauf zu schließen, zumal sich diese Auffassung auch mit der Rechtsansicht des VwGH deckt (vgl. VwSlg. 6188 A/1963, VwGH 23. 3. 1973 Z 1892/72, 1. 12. 1977 Z 2473/76).

Da das Verfahren auch nicht ergeben hat, daß der Beschwerdeführer wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm in seinen Rechten verletzt wurde, war die Beschwerde abzuweisen.

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