VfGH B458/12

VfGHB458/124.10.2012

Entzug des gesetzlichen Richters durch Verneinung der Parteistellung der in einen von zwei verbindlichen Besetzungsvorschlägen aufgenommenen Mitbewerberin um die Leiterstelle an einer Hauptschule; landesgesetzliche Anordnung der Verbindlichkeit der Besetzungsvorschläge sowohl des Bezirksschulrates als auch des Landesschulrates zulässig

Normen

B-VG Art14 Abs4 lita
B-VG Art83 Abs2
DVG §3
LDG 1984 §26
Nö Landeslehrer-DiensthoheitsG §3
B-VG Art14 Abs4 lita
B-VG Art83 Abs2
DVG §3
LDG 1984 §26
Nö Landeslehrer-DiensthoheitsG §3

 

Spruch:

I. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Das Land Niederösterreich ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.620,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin steht als Lehrerin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Niederösterreich. Sie bewarb sich für die im Verordnungsblatt des Landesschulrates für Niederösterreich vom 23. Februar 2011, Stück 4/2011, ausgeschriebene Leiterstelle an der Hauptschule Mistelbach und wurde in Folge zwar in den Besetzungsvorschlag des Landesschulrates, nicht aber in jenen des Bezirksschulrates aufgenommen. Mit Bescheid der Niederösterreichischen Landeslehrerkommission für allgemein bildende Pflichtschulen vom 22. Juni 2011 wurde die Leiterstelle an einen Mitbewerber verliehen und die Bewerbung der Beschwerdeführerin abgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung der Beschwerdeführerin wurde mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 6. März 2012 mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen, dass der Beschwerdeführerin kein rechtliches Interesse nach §8 AVG zustehe, das mit Berufung gegen den erstinstanzlichen Bestellungsbescheid verfolgt werden könne.

2. In der dagegen erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht; dies begründet die Beschwerdeführerin im Wesentlichen damit, dass die zur Verleihung zuständige Behörde den Dreiervorschlag des Bezirksschulrates ablehnen hätte müssen, da die Beschwerdeführerin darin nicht aufgenommen worden sei; dies analog zu der Situation, dass die Besetzungsvorschläge insgesamt unvereinbar seien. Angesichts der offenbaren Eignung und Qualifikation der Beschwerdeführerin sei die Nichtaufnahme in den Besetzungsvorschlag rechtswidrig. Durch die Aufnahme in den Dreiervorschlag des Landesschulrates habe die Beschwerdeführerin Parteistellung erlangt und das Recht darauf, dass nicht ein Bewerber ernannt werde, der im Dreiervorschlag des Landesschulrates nicht aufscheine. Wie die Erstbehörde richtig erkannt habe, habe die Beschwerdeführerin Anspruch auf eine meritorische Entscheidung.

3. In der Gegenschrift der belangten Behörde verwies diese auf die Begründung des (mangels Parteistellung zurückweisenden) angefochtenen Bescheides und merkte an, dass gemäß §26 Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz (LDG 1984) iVm §3 Abs3 NÖ Landeslehrer-Diensthoheitsgesetz 1976 die Landeslehrerkommission die Verleihung nur an einen Bewerber vornehmen könne, der sowohl im Vorschlag des Bezirksschulrates als auch des Landesschulrates enthalten sei.

II. Rechtslage

1. §26 LDG 1984, BGBl. 302, lautete in der

maßgeblichen Fassung BGBl. I 53/2007:

"Schulleiter

§26. (1) Leiterstellen der Volksschulen, der Hauptschulen und der als selbstständige Schulen geführten Sonderschulen und Polytechnischen Schulen sowie der Berufsschulen sind - ausgenommen im Falle des Diensttausches (§20) von Inhabern solcher Stellen oder im Falle von Betrauungen gemäß §27 Abs2 letzter Satz - im Ausschreibungs- und Bewerbungsverfahren zu besetzen.

(2) - (4) [...]

(5) Für jede einzelne ausgeschriebene Stelle sind von den landesgesetzlich hiezu berufenen Organen aus den Bewerbungsgesuchen Besetzungsvorschläge zu erstatten.

(6) In jeden Besetzungsvorschlag sind bei mehr als drei Bewerbern drei, bei drei oder weniger solchen Bewerbern alle diese Bewerber aufzunehmen und zu reihen. Bei der Auswahl und Reihung ist zunächst auf die in der Ausschreibung allenfalls angeführten zusätzlichen fachspezifischen Kenntnisse und Fähigkeiten, dann auf die Leistungsfeststellung und auf die in dieser Schulart zurückgelegte Verwendungszeit Bedacht zu nehmen. Die Landesgesetzgebung kann hiezu nähere Bestimmungen erlassen, wobei zusätzliche Auswahlkriterien festgelegt werden können. Weiters können die vorschlagsberechtigten Kollegien der Schulbehörden des Bundes in den Ländern nähere Bestimmungen sowie zusätzliche Auswahlkriterien durch Richtlinien für die Erstellung ihrer Besetzungsvorschläge festlegen, wobei allfällige landesgesetzliche Vorschriften zu beachten sind. Bei weniger als drei geeigneten Bewerbern kann die neuerliche Ausschreibung der Stelle vorgeschlagen werden.

(7) Die Leiterstelle kann von der zur Verleihung zuständigen Behörde nur einem in den Besetzungsvorschlag, sofern jedoch mehrere Besetzungsvorschläge landesgesetzlich vorgesehen sind, in alle Besetzungsvorschläge aufgenommenen Bewerber verliehen werden.

(8) Die Verleihung hat erforderlichenfalls unter gleichzeitiger Ernennung oder unter gleichzeitiger Zuweisung an die betreffende Schule oder unter gleichzeitiger Ernennung und Zuweisung zu erfolgen.

(9) Unterbleibt die Verleihung der ausgeschriebenen Stelle, so ist diese bis zur ordnungsgemäßen Besetzung im Bewerbungsverfahren weiterhin auszuschreiben.

(10) Das Besetzungsverfahren ist unverzüglich durchzuführen."

2. §3 NÖ Landeslehrer-Diensthoheitsgesetz 1976, LGBl. 2600-0 (= LGBl. 72) idF LGBl. 2600-8 (= LGBl. 124/2009) lautet:

"§3

Zuständigkeit der Landeslehrerkommission

(1) Der Landeslehrerkommission (§§8 bis 12) obliegt

a) die Ernennung im Dienstverhältnis (§8 LDG 1984) und

b) die Verleihung von Leiterstellen (§26 LDG 1984), erforderlichenfalls unter gleichzeitiger Ernennung oder unter gleichzeitiger Zuweisung an die betreffende Schule oder unter gleichzeitiger Ernennung und Zuweisung.

(2) Vor Maßnahmen nach Abs1 für Landeslehrer für allgemeinbildende Pflichtschulen ist ein Vorschlag des Bezirksschulrates (Kollegium) und des Landesschulrates (Kollegium) einzuholen.

(3) Die Landeslehrerkommission kann die Ernennung im Dienstverhältnis oder die Verleihung einer Leiterstelle nur an einen Bewerber vornehmen, der sowohl im Vorschlag des Bezirksschulrates als auch im Vorschlag des Landesschulrates enthalten ist.

(4) [...]"

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB

VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

2. Wie der Verfassungsgerichtshof erstmals im Erkenntnis VfSlg. 6151/1970 und in der Folge in zahlreichen weiteren Erkenntnissen (zB VfSlg. 19.061/2010 mwN) ausgesprochen hat, kommt den Bewerbern im Verfahren zur Verleihung einer (schulfesten) Leiterstelle Parteistellung iSd §3 Dienstrechtsverfahrensgesetz 1984 (DVG) zu, wenn sie in einen verbindlichen Besetzungsvorschlag aufgenommen wurden. Die Aufnahme in einen solchen Besetzungsvorschlag berührt das Dienstverhältnis des in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehenden Bewerbers und verleiht ihm Parteistellung. Die in einen Besetzungsvorschlag aufgenommenen Bewerber bilden, wie der Verfassungsgerichtshof gleichfalls wiederholt dargelegt hat, eine Verwaltungsverfahrensgemeinschaft (s. etwa VfSlg. 12.868/1991, 15.832/2000, 15.926/2000); sie haben ein Recht auf Teilnahme an dem durch den Besetzungsvorschlag konkretisierten Verwaltungsverfahren. Aus rechtsstaatlicher Sicht kann die Verwaltungsbehörde nicht als befugt angesehen werden, durch einen der Rechtskontrolle nicht unterworfenen Verleihungsakt unter den in den gesetzlich vorgesehenen Besetzungsvorschlag aufgenommenen Bewerbern eine Auswahl zu treffen (vgl. zB VfSlg. 12.782/1991).

3. Im Erkenntnis VfSlg. 7084/1973 setzte sich der Verfassungsgerichtshof mit der Frage auseinander, ob die den Landesgesetzgeber treffende Verpflichtung, der Schulbehörde erster Instanz des Bundes ein Vorschlagsrecht einzuräumen, es ausschließt, dass der Landesgesetzgeber in Handhabung der Kompetenz des Art14 Abs4 lita B-VG überdies eine Mitwirkung der Schulbehörde zweiter Instanz des Bundes in den in Betracht kommenden dienstrechtlichen Angelegenheiten, insbesondere die Erstattung eines Besetzungsvorschlages durch diese Behörde, festlegt. Dies hat der Verfassungsgerichtshof verneint: Sieht der Landesgesetzgeber auch die Erstattung eines Besetzungsvorschlages durch die Schulbehörde zweiter Instanz des Bundes vor, so steht es ihm frei, diesen Besetzungsvorschlag auch mit einer die Ernennungsbehörde bindenden Wirkung auszustatten. Das Verwaltungsorgan, das den das Besetzungsverfahren abschließenden Akt setzt, hat in diesem Fall sowohl die Bindungswirkungen, die sich aus einem solchen Vorschlag der Schulbehörde zweiter Instanz des Bundes ergeben, als auch jene Bindungswirkungen zu beachten, die nach dem letzten Halbsatz des Art14 Abs4 lita B-VG dem Besetzungsvorschlag der Schulbehörde erster Instanz des Bundes zukommen. Sind beide Vorschläge als Alternativvorschläge gestaltet, so entspricht die Verleihungsbehörde den von ihnen ausgehenden Bindungswirkungen, wenn sie einen in beiden Alternativvorschlägen übereinstimmend enthaltenen (Einzel-)Vorschlag übernimmt.

4. §3 Abs2 iVm Abs3

NÖ Landeslehrer-Diensthoheitsgesetz 1976 ordnet für Niederösterreich die Verbindlichkeit der Besetzungsvorschläge sowohl des Bezirksschulrates als auch des Landesschulrates an. Nach den gesetzlichen Bestimmungen kann die Leiterstelle nur einem Bewerber verliehen werden, der in allen Besetzungsvorschlägen aufscheint. Diese Voraussetzung für die Besetzung des Schulleiterpostens mit einem Bewerber, die die Behörde bei der Sachentscheidung einschränkt, ändert jedoch nichts an der Verbindlichkeit beider Besetzungsvorschläge (soweit diese gesetzlich vorgesehen sind) und der sich daraus ergebenden Parteistellung aller auch nur in einen von mehreren verbindlichen Besetzungsvorschlägen aufgenommenen Bewerber. Da die Beschwerdeführerin in einen solchen Besetzungsvorschlag - nämlich in jenen des Landesschulrates - aufgenommen wurde, kam ihr im Verfahren zur Besetzung der Schulleiterstelle Parteistellung zu. Indem die belangte Behörde mit dem bekämpften Bescheid die Parteistellung der Beschwerdeführerin verneinte und ihre Berufung als unzulässig zurückwies, verweigerte die Behörde der Beschwerdeführerin gegenüber somit zu Unrecht eine Sachentscheidung.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die Beschwerdeführerin ist daher durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

2. Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-

sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,- enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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