VfGH B349/93

VfGHB349/9319.6.1993

Zurückweisung einer Beschwerde gegen einen Bescheid der Tiroler Landesregierung als Berufungsbehörde im Verwaltungsstrafverfahren nach Aufhebung der die unmittelbare Anrufbarkeit des unabhängigen Verwaltungssenates regelnden Bestimmung des VStG durch den VfGH mangels Erschöpfung des Instanzenzuges; Anrufung des unabhängigen Verwaltungssenates nach der bereinigten Rechtslage im Anlaßfall zulässig

Normen

B-VG Art140 Abs6
B-VG Art140 Abs7 dritter Satz
B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung
B-VG Art129a Abs1 Z1
B-VG Art129a Abs2
VStG §51 Abs1
B-VG Art140 Abs6
B-VG Art140 Abs7 dritter Satz
B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung
B-VG Art129a Abs1 Z1
B-VG Art129a Abs2
VStG §51 Abs1

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird abgewiesen.

Begründung

Begründung

I. 1. Mit Erkenntnis vom 1. Oktober 1992, G103/92 ua. Zln., hat der Verfassungsgerichtshof §51 Abs1 VStG, BGBl. 52/1991, betreffend das Berufungsrecht gegen erstinstanzliche Strafbescheide an den unabhängigen Verwaltungssenat, als verfassungswidrig aufgehoben. Gleichzeitig hat der Verfassungsgerichtshof in diesem Erkenntnis ausgesprochen, daß die Aufhebung mit Ablauf des 30. September 1993 in Kraft tritt und frühere gesetzliche Bestimmungen wieder in Wirksamkeit treten.

2. Mit Erkenntnis vom 1. Dezember 1992, B867/92, hat der Verfassungsgerichtshof aufgrund einer Beschwerde des Dkfm. M Z den die Verhängung einer Verwaltungsstrafe über ihn bestätigenden Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Tirol vom 15. Mai 1992, Z2/13-2/1992, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes aufgehoben, weil dieser Beschwerdefall einem Anlaßfall zum vorhin genannten Erkenntnis vom 1. Oktober 1992 gleichzuhalten war.

3. Daraufhin hat die Tiroler Landesregierung über das - nach Aufhebung des Bescheides des Unabhängigen Verwaltungssenates Tirol offene - Rechtsmittel des Beschwerdeführers entschieden. Mit Bescheid vom 11. Februar 1993 wurde die Berufung des Dkfm. Z gegen den erstinstanzlichen Strafbescheid "gemäß §66 Abs4 iVm §24 und 51 VStG" als unbegründet abgewiesen. In der Rechtsmittelbelehrung führt die Landesregierung aus, daß gegen diesen Bescheid ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig sei.

4. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde des Dkfm. M Z, in welcher sich der Beschwerdeführer in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen in seinen Rechten verletzt erachtet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt.

II. Die Beschwerde ist nicht zulässig.

1. Gemäß Art140 Abs7 letzter Satz B-VG ist die

aufgehobene Vorschrift des §51 Abs1 VStG 1991 auf den vorliegenden Anlaßfall nicht mehr anzuwenden. Aufgrund des Art140 Abs6 B-VG sowie des oben unter I.1. angeführten Ausspruches des Verfassungsgerichtshofes tritt §51 Abs1 VStG in der früheren Fassung (das ist die Fassung vor der Novelle BGBl. 358/1990) wieder in Kraft. Wird aber die Aufhebung für den Verfassungsgerichtshof in Ansehung des Anlaßfalles sofort wirksam, so erfolgt auch das Wiederinkrafttreten der früheren Bestimmungen mit diesem Zeitpunkt. In ihrem Zusammenhalt ergeben nämlich die Abs6 und 7 des Art140 B-VG, daß die frühere Regelung unmittelbar an das Außerkrafttreten der aufgehobenen Norm anschließen soll (s. VfSlg. 8314/1978).

Der Verfassungsgerichtshof hat daher hier so vorzugehen, als hätte im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides §51 Abs1 VStG in der Fassung vor der Novelle BGBl. 358/1990, das ist jene des BGBl. 172/1950, gegolten.

2. Aufgrund dieser Erwägungen stellt sich die für das fortgesetzte Verwaltungsverfahren im vorliegenden Anlaßfall maßgebliche Rechtslage wie folgt dar:

Nach dem Wortlaut des §51 Abs1 VStG 1950 steht dem Beschuldigten im Verwaltungsstrafverfahren das Recht der Berufung an die im Instanzenzug sachlich übergeordnete Behörde zu. Entscheidungen solcher Behörden sind in allen Fällen endgültig.

Diese Vorschrift ist im Licht des Art129a Abs1 Z1 B-VG (in der Fassung BGBl. 685/1988) zu sehen. Nach dieser Verfassungsbestimmung erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate in Verfahren wegen Verwaltungsübertretungen nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges, sofern ein solcher (wie hier nach §51 Abs1 VStG 1950) in Betracht kommt.

Nach dieser hier maßgeblichen - bereinigten - Rechtslage ist gegen die Entscheidung der Berufungsbehörde ein Rechtsmittel an den unabhängigen Verwaltungssenat zulässig. Dieses Ergebnis wird durch den ersten Satz des Art129a Abs2 B-VG untermauert, der (lediglich) eine Ermächtigung an den Gesetzgeber enthält, auch die unmittelbare Anfechtbarkeit erstinstanzlicher Entscheidungen beim unabhängigen Verwaltungssenat vorzusehen. Dem steht auch der zweite Satz des §51 Abs1 VStG 1950 nicht entgegen, weil sich dieser Satz nur mit dem administrativen Instanzenzug beschäftigt und daher weder die Anrufung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts noch jene der unabhängigen Verwaltungssenate ausschließt.

Auf die vielfach erörterte Frage, ob es verfassungsgemäß ist, die unabhängigen Verwaltungssenate als Berufungsbehörden einzurichten (s. Aichlreiter, ZfV 1990 S. 20ff., Mayer, JBl. 1990

S. 644, derselbe, ÖJZ 1991 S. 257ff., Köhler, JBl. 1991

S. 620ff., derselbe, ÖJZ 1992 S. 580f., Thienel, Das Verfahren der Verwaltungssenate2, S. 23ff. sowie Kobzina, JBl. 1993

S. 205ff.; s. hiezu auch AB 817 BlgNR 17. GP, S. 4, RV 1089 BlgNR

17. GP, S. 6 und RV 1090 BlgNR 17. GP, S. 8f.), braucht daher im hier gegebenen Zusammenhang nicht eingegangen zu werden.

3. Aus den obigen Ausführungen ergibt sich also, daß der hier angefochtene Berufungsbescheid der Tiroler Landesregierung keinen letztinstanzlichen Bescheid im Sinn des Art144 Abs1 B-VG darstellt, weil gegen diesen Bescheid eine Anrufung des unabhängigen Verwaltungssenates zulässig wäre.

Die Beschwerde ist daher mangels Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen und der Abtretungsantrag mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art144 Abs3 B-VG abzuweisen.

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