VfGH B326/08

VfGHB326/0814.6.2010

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Ausweisung der Beschwerdeführerin wegen unrechtmäßigen Aufenthalts; keine hinreichende Berücksichtigung ihrer Interessen am Verbleib im Bundesgebiet

Normen

EMRK Art8
FremdenpolizeiG 2005 §53 Abs1, §66 Abs1
EMRK Art8
FremdenpolizeiG 2005 §53 Abs1, §66 Abs1

 

Spruch:

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.340,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin, eine nigerianische

Staatsangehörige, reiste am 31. Oktober 2003 illegal nach Österreich ein und stellte am selben Tag eine Asylantrag, welcher mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. März 2007 (zugestellt am 23. März 2007) gemäß §§7 und 8 Asylgesetz 1997 rechtskräftig abgewiesen wurde. Seit 24. März 2007 hält sich die Beschwerdeführerin unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Die Beschwerdeführerin heiratete am 25. September 2006 einen österreichischen Staatsangehörigen, mit dem sie seit 30. August 2004 einen gemeinsamen Sohn hat. Ihr Antrag vom 29. März 2007 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Rahmen der Familienzusammenführung mit ihrem österreichischen Ehegatten gemäß §21 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (in Folge: NAG) wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. September 2007 wegen unzulässiger Inlandsantragstellung abgewiesen. Mit Beschluss vom 18. Juni 2008, B2074/07, wurde die dagegen beim Verfassungsgerichtshof erhobene Beschwerde abgelehnt und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

2. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 3. Dezember 2007 wurde die Beschwerdeführerin gemäß §53 Abs1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, (in Folge: FPG) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 18. Jänner 2008 keine Folge gegeben.

Darin führt die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass sich die Beschwerdeführerin seit rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Während des Asylverfahrens habe die Beschwerdeführerin einen österreichischen Staatsangehörigen geheiratet, mit dem sie ein gemeinsames Kind habe. Ihr sei daher eine entsprechende Integration zuzubilligen, die allerdings insofern zu relativieren sei, als die Beschwerdeführerin während der Dauer des Asylverfahrens nicht davon ausgehen konnte, nach Abschluss des Verfahrens in Österreich bleiben zu dürfen.

Die Ausweisung stelle zwar einen Eingriff in ihr Privat- und Familienleben iSd §66 Abs1 FPG dar, erweise sich jedoch aus Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art8 Abs2 EMRK als dringend geboten. Die durch den unrechtmäßigen Aufenthalt der Beschwerdeführerin bewirkte Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei von solchem Gewicht, dass die gegenläufigen privaten und familiären Interessen jedenfalls nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise der Beschwerdeführerin aus dem Bundesgebiet. Denn es liefe dem öffentlichen Interesse grob zuwider, wenn ein Fremder bloß auf Grund von Tatsachen, die von ihm geschaffen wurden - nämlich der Nichtausreise trotz rechtkräftigen negativen Abschlusses des Asylverfahrens - den weiteren Aufenthalt erzwingen könnte.

3. Die Beschwerde behauptet die Verletzung von näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten - insbesondere die Rechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens und auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander - und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Begründend wird insbesondere angeführt, dass die belangte Behörde auf Grund des intakten Familienlebens und des gemeinsamen Kindes, das die vsterreichische Staatsangehörigkeit besitze, sowie der langen Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet eine fehlerhafte Interessenabwägung iSd Art8 EMRK vorgenommen habe. Im Falle ihrer Ausreise wäre die Beschwerdeführerin von ihrem Ehemann und ihrem Kind getrennt und an der Führung eines gemeinsamen Familienlebens gehindert.

4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die im angefochtenen Bescheid vorgenommene Interessenabwägung, insbesondere unter Bezugnahme auf die fehlende Integration der Beschwerdeführerin in Österreich, dargelegt und die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der §§53 Abs1 und 66 Abs1 FPG wurden nicht vorgebracht und sind aus Anlass der vorliegenden Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof auch nicht entstanden.

Hinsichtlich der in der Beschwerde als verfassungswidrig gerügten Bestimmungen des NAG sei auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (siehe VfSlg. 14.078/1995, 15.673/1999 und die dort zitierte Vorjudikatur zur Präjudizialität genereller Rechtsvorschriften) verwiesen.

2. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall läge nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hätte (vgl. VfSlg. 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).

3. Der belangten Behörde ist ein derartiger in die Verfassungssphäre reichender Fehler vorzuwerfen.

3.1. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 18.223/2007 dargelegt hat, ist die zuständige Fremdenpolizeibehörde stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In der zitierten Entscheidung wurden vom Verfassungsgerichtshof auch unterschiedliche - in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entwickelte - Kriterien aufgezeigt, die bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht.

3.2. Im Lichte dieser Kriterien erweist sich aber die von der Behörde vorgenommene - formelhafte - Begründung des angefochtenen Bescheides als unzureichend:

Die Beschwerdeführerin hält sich seit geraumer Zeit rechtswidrig im Bundesgebiet auf, weshalb die Ausweisung - unter Beachtung des §66 Abs1 FPG - zutreffend auf §53 Abs1 FPG gestützt wurde.

Im Ergebnis ist die belangte Behörde zur Auffassung gelangt, dass der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Familienleben der Beschwerdeführerin in Anbetracht der - durch die "Dauer des illegalen Aufenthalts" bewirkten - gravierenden Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens in seinem Gewicht aufgewogen werde. Zudem seien die Eheschließung und auch die Familiengründung zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem sich die Beschwerderführerin ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste.

3.3. Die belangte Behörde hat bei der Interessenabwägung außer Acht gelassen, dass die auf Grund der Ausweisung drohende Trennung der Beschwerdeführerin von ihrem Ehemann und dem gemeinsamen Kind, das die österreichische Staatsangehörigkeit besitzt, entscheidungswesentlich mit Blick auf die gemäß Art8 EMRK garantierten Rechte der Beschwerdeführerin ist. Die belangte Behörde hat dabei auch eine Auseinandersetzung mit den Folgen, die eine Ausweisung der Beschwerdeführerin und der damit verbundenen Trennung von Ehemann und Kleinkind mit sich brächte, unterlassen und beschränkt sich auf die bloße Feststellung, dass der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in ihr Privat- und Familienleben dringend geboten ist. Die belangte Behörde setzt sich auch nicht mit der Frage der Zumutbarkeit des Familiennachzugs von österreichischen Staatsbürgern in das Herkunftsland der Beschwerdeführerin auseinander (vgl. VfGH 1.7.2009, U992/08; VfGH 1.7.2009, U1104/08).

Die Schlussfolgerung der Behörde, dass die Nichterfüllung der Ausreiseverpflichtung aus dem Bundesgebiet nach rechtskräftiger Abweisung des Asylantrages die öffentliche Ordnung derart gravierend beeinträchtigt, dass das gegenläufige persönliche Interesse der Beschwerdeführerin, nicht von der Kernfamilie getrennt zu werden, in einer Weise relativiert wird, die eine Ausweisung verfassungsrechtlich zulässig erscheinen lässt, vermag der Verfassungsgerichtshof nicht zu teilen.

4. Dadurch, dass die Behörde die Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib im Bundesgebiet nicht ausreichend abgewogen hat, wurde diese in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt.

Der Bescheid war daher schon deshalb aufzuheben.

III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; im zugesprochenen Betrag sind Umsatzsteuer in Höhe von € 360,- sowie der Ersatz der gemäß §17a VfGG entrichteten Eingabengebühr in Höhe von € 180,- enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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