VfGH B3114/96,V107/96

VfGHB3114/96,V107/96B3114/96,V107/9624.6.1998

Quasi-Anlaßfallwirkung der Aufhebung eines Teils der Kostenersatzregelung im Enteignungsverfahren; keine Beschwerdelegitimation des dinglich Berechtigten im Enteignungsverfahren; teilweise Ablehnung der Beschwerden

Normen

B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
B-VG Art144 Abs2
EisenbahnenteignungsG §4 Abs2
BStG 1971 §18 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
B-VG Art144 Abs2
EisenbahnenteignungsG §4 Abs2
BStG 1971 §18 Abs2

 

Spruch:

I. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid insoweit in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden, als die Berufung gegen die zuerkannte Pauschalvergütung zur Abgeltung von Aufwendungen gemäß §7 Abs3 Eisenbahnenteignungsgesetz 1954, BGBl. 71, idF des Strukturanpassungsgesetzes, BGBl. 297/1995, abgewiesen wurde.

Der angefochtene Bescheid wird in diesem Umfang aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten) ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zu Handen ihrer Rechtsvertreter die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

II. Im übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Sie wird insoweit dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

III. Der Antrag gemäß Art139

Abs1 B-VG wird zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten als Bundesstraßenbehörde

II. Instanz wurde eine im Eigentum der beschwerdeführenden Gesellschaft stehende Grundfläche zum Zwecke der Errichtung der Umfahrung Kirchberg in Tirol im Zuge der B 170 Brixental Straße enteignet.

Die dagegen erhobene Beschwerde gemäß Art144 B-VG rügt die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Unverletzlichkeit des Eigentums sowie die Rechtsverletzung wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung. Außerdem beantragt die einschreitende Gesellschaft gemäß Art139 B-VG die Aufhebung der dem Bescheid zugrunde liegenden Verordnung.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, und in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Abweisung der Berufung gegen die in den erstinstanzlichen Bescheiden zugesprochene Pauschalkostenvergütung gemäß §7 Abs3 EisenbEntG richtet, im Ergebnis begründet. Im übrigen wird ihre Behandlung abgelehnt.

1. Der Verfassungsgerichtshof hat aus Anlaß anderer Beschwerdeverfahren mit Erkenntnis vom 17. Juni 1998, G372/97 ua., §7 Abs3 des Eisenbahnenteignungsgesetzes 1954, BGBl. Nr. 71, idF des ArtXVIII Z1 des Strukturanpassungsgesetzes, BGBl. Nr. 297/1995, als verfassungswidrig aufgehoben.

Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren

(VfSlg. 10616/1985, 11711/1988).

Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren fand am 17. Juni 1998 statt. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 25. September 1996 eingelangt, war also zum Zeitpunkt des Beginns der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlaßfall gleichzuhalten.

Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, daß diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Gesellschaft nachteilig war. Sie wurde somit in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.

Der Bescheid ist daher in diesem Umfang aufzuheben.

2. Insoweit sich die Beschwerde in allen übrigen Punkten gegen die Abweisung und Zurückweisung der Berufung gegen die erstinstanzlichen Bescheide richtet, wird ihre Behandlung unter folgenden Erwägungen einstimmig abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde in einer Angelegenheit, die nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist, ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgeblichen Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Nach den Beschwerdebehauptungen wären die gerügten Rechtsverletzungen aber teilweise - was die Verfahrensmängel betrifft - nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht erforderlich. Die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage ist von der Entscheidung in diesen Punkten nicht zu erwarten.

Soweit die Beschwerde aber verfassungsrechtliche Fragen berührt und insbesondere auch die Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung rügt, läßt ihr Vorbringen vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf die vom Verfassungsgerichtshof beigeschafften Verwaltungsakten und jener der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 7. Oktober 1994 betreffend die Bestimmung des Straßenverlaufes der B 170 Brixental Straße im Bereich der Gemeinde Kirchberg in Tirol, BGBl. 811/1994, (woraus sich unter anderem ergibt, daß auf das Baudenkmal "Eichenhalle" Bedacht genommen wurde und keine Einwände seitens des Bundesdenkmalamtes bestanden), die behaupteten Rechtsverletzungen, aber auch die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, daß sie - unter dem Blickwinkel der vom Verfassungsgerichtshof wahrzunehmenden Rechtsverletzungen - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Da die Angelegenheiten auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist, behandelt der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde nicht und tritt sie antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof ab.

III. Der Verfassungsgerichtshof

vertritt seit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt, die Antragslegitimation nach Art139 Abs1 und140 Abs1 B-VG setze voraus, daß durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden, und daß die dem einzelnen eingeräumten Rechtsbehelfe dazu bestimmt sind, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 11684/1988). Ein solcher anderer zumutbarer Weg stand der beschwerdeführenden Gesellschaft jedoch zur Verfügung und wurde von dieser auch eingeschlagen. Im Zuge der Beschwerde gemäß Art144 B-VG konnten die Bedenken hinsichtlich der Gesetzwidrigkeit der Trassenverordnung an den Verfassungsgerichtshof herangetragen werden. Der Antrag gemäß Art139 Abs1 B-VG ist daher zurückzuweisen.

IV. Dies kann gemäß §19 Abs4 Z3, §19 Abs3 Z1 und Z2 lite VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von 3.000 S enthalten.

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