Normen
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art133 Z4
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
ASVG §344 ff
ASVG §345
ASVG §347 Abs6
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art133 Z4
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
ASVG §344 ff
ASVG §345
ASVG §347 Abs6
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Der Beschwerdeführer ist Arzt für Allgemeinmedizin in Tirol. Er hat mit der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter einen Einzelvertrag geschlossen. Zwischen dem Beschwerdeführer und der genannten Versicherungsanstalt besteht ein Rechtsstreit über die Höhe der dem Beschwerdeführer für bestimmte, näher bezeichnete Abrechnungsmonate zustehenden Honorare. Der Schlichtungsausschuß für Streitigkeiten aus dem Vertragsverhältnis der BVA und den Vertragsärzten in Tirol hat über die Berechtigung dieser Honorare Vorentscheidungen getroffen. Der Beschwerdeführer rief daraufhin die Paritätische Schiedskommission für das Land Tirol an. Während eines bei der Landesberufungskommission für Tirol anhängigen Verfahrens über die Berufung des Beschwerdeführers gegen die Bescheide dieser Behörde wurde zwischen den Streitteilen am 4. März 1992 ein Vergleich geschlossen.
Nach diesem Vergleich sollte die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter berechtigt sein, 30 vH des strittigen Honorars beginnend mit 1. April 1992 mit zukünftigen Honorarforderungen zu verrechnen. Weitere in dem Vergleich getroffene Vereinbarungen beziehen sich auf andere Streitigkeiten zwischen den genannten Parteien.
1.2. Wie sich aus dem Akteninhalt ergibt, haben in der Folge beide Parteien die genannte Vereinbarung als rechtskräftigen Vergleich angesehen, waren aber später über dessen Abwicklung neuerlich uneins. Mit Antrag vom 7. August 1997 begehrte der Beschwerdeführer die Fortsetzung des Verfahrens vor der Landesberufungskommission.
Die Landesberufungskommission erledigte daraufhin das Berufungsverfahren mit Bescheid. Sie gab der Berufung teilweise Folge und sprach - inhaltlich im wesentlichen dem zitierten Vergleich folgend - aus, daß die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter berechtigt sei, beginnend ab 1. April 1992 in sechs gleichen Teilbeträgen insgesamt 30 vH der durch die angefochtenen Bescheide bezeichneten Honorarbeträge "für die Monate September bis Dezember 1989" zu verrechnen.
2.1. Dagegen richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des durch Art6 EMRK garantierten Rechts auf Entscheidung durch eine unabhängige Behörde sowie der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und Gleichheit vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
2.2. Der Beschwerdeführer erachtet sich dadurch in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art6 EMRK und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, daß an der Entscheidung in der Landesberufungskommission ein Mitglied mitgewirkt habe, das im Jahre 1994 Leiter der Geschäftsstelle der Paritätischen Schiedskommission und damit auch der Landesberufungskommission gewesen sei und in dieser Eigenschaft Rechtsansichten über das gegenständliche Verfahren geäußert habe.
Nach der Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch des Verfassungsgerichtshofs müsse ein den Vorschriften des Art6 EMRK entsprechendes Tribunal so zusammengesetzt sein, daß keine berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit seiner Mitglieder entstehen könnten, wobei bei der Beurteilung der Fairneß eines Verfahrens auch der äußere Anschein von Bedeutung sei. Die Äußerung von Rechtsansichten in einem anhängigen Verfahren durch ein (späteres) Mitglied eines Tribunals sei objektiv geeignet, die Unparteilichkeit dieses Mitgliedes in Zweifel zu ziehen, weshalb die Landesberufungskommission im gegenständlichen Fall in einer den Vorschriften des Art6 EMRK widersprechenden Weise zusammengesetzt gewesen sei.
2.3. Im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz sieht sich der Beschwerdeführer wegen qualifizierter Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides verletzt. Die belangte Behörde habe ihre Verpflichtung zur amtswegigen Durchführung des Verfahrens verletzt und kein Ermittlungsverfahren durchgeführt. Sie habe lediglich den zwischen den Streitparteien abgeschlossenen Vergleich "in Bescheidform beurkundet". Diese Vorgangsweise sei im Gesetz nicht vorgesehen. Der zwischen den Streitparteien abgeschlossene Vergleich sei rechtlich unbeachtlich gewesen. Die belangte Behörde hätte daher unter Außerachtlassung dieses Vergleiches auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Rechtsmittelgründe einzugehen gehabt.
3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet. Ein Mitglied der belangten Kollegialbehörde hat eine Äußerung zum Gegenstand abgegeben. Die mitbeteiligte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter hat eine Äußerung abgegeben, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Die im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Rechtsvorschriften lauten:
1.1. §341 ASVG lautet auszugsweise:
"(1) Die Beziehungen zwischen den Trägern der Krankenversicherung und den freiberuflich tätigen Ärzten werden durch Gesamtverträge geregelt, die für die Träger der Krankenversicherung durch den Hauptverband mit den örtlich zuständigen Ärztekammern abzuschließen sind. Die Gesamtverträge bedürfen der Zustimmung des Trägers der Krankenversicherung, für den der Gesamtvertrag abgeschlossen wird. Die Österreichische Ärztekammer kann mit Zustimmung der beteiligten Ärztekammer den Gesamtvertrag mit Wirkung für diese abschließen.
...
(3) Der Inhalt des Gesamtvertrages ist auch Inhalt des zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt abzuschließenden Einzelvertrages. Vereinbarungen zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt im Einzelvertrag sind rechtsunwirksam, insoweit sie gegen den Inhalt eines für den Niederlassungsort des Arztes geltenden Gesamtvertrages verstoßen.
..."
1.2. §§344 bis 346 ASVG lauten auszugsweise:
"Paritätische Schiedskommission
§344. (1) Zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten, die in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stehen, ist im Einzelfall in jedem Land eine paritätische Schiedskommission zu errichten. Antragsberechtigt im Verfahren vor dieser Behörde sind die Parteien des Einzelvertrages.
(...)
(3) Die paritätische Schiedskommission ist verpflichtet, über einen Antrag ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach dessen Einlangen, mit Bescheid zu entscheiden. Wird der Bescheid dem Antragsteller innerhalb dieser Frist nicht zugestellt oder wird dem Antragsteller schriftlich mitgeteilt, daß wegen Stimmengleichheit keine Entscheidung zustande kommt, geht auf schriftliches Verlangen einer der Parteien die Zuständigkeit zur Entscheidung an die Landesberufungskommission über. Ein solches Verlangen ist unmittelbar bei der Landesberufungskommission einzubringen. Das Verlangen ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf Stimmengleichheit oder nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde (§73 AVG 1950) zurückzuführen ist.
(4) Gegen einen Bescheid der paritätischen Schiedskommission kann Berufung an die Landesberufungskommission erhoben werden.
Landesberufungskommission
§345. (1) Für jedes Land ist auf Dauer eine Landesberufungskommission zu errichten. (...)
(2) Die Landesberufungskommission ist zuständig:
1. zur Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide der paritätischen Schiedskommission und
2. zur Entscheidung auf Grund von Devolutionsanträgen gemäß §344 Abs3.
(...)"
1.3. §347 Abs4 ASVG ordnet an, daß die in den §§344, 345a und 346 genannten Kommissionen das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) anzuwenden haben, soweit das ASVG selbst nichts anderes anordnet.
1.4. Gemäß §347 Abs6 ASVG sind die Kanzleigeschäfte der in den §§344, 345 und 345a leg. cit. angeführten Kommissionen kalenderjährlich abwechselnd von den Ärztekammern und den Gebietskrankenkassen jener Länder zu führen, in denen die betreffende Kommission eingerichtet oder im Einzelfall einzurichten ist.
2.1. Die Landesberufungskommission für das Land Tirol ist eine nach der Bestimmung des Art133 Z4 B-VG eingerichtete, sogenannte Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag. Die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes ist nicht für zulässig erklärt. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, daß es sich bei den Landesberufungskommissionen um Behörden handelt, die den Anforderungen des Art6 EMRK entsprechen (zuletzt B3077/97 vom 16. Dezember 1999; vgl. auch VfSlg. 14909/1997 mwN).
2.2.1. Das Mitglied der Landesberufungskommission, dessen Mitwirkung der Beschwerdeführer im Hinblick auf Art6 EMRK für unzulässig hält, war im Jahre 1994 als Leiter der Geschäftsstelle der Landesberufungskommission tätig. Es hat, wie aus dem Akteninhalt hervorgeht, an dem Verfahren unterer Instanz nicht mitgewirkt. Der vom Beschwerdeführer als (einziger) Beweis für die behauptete Befangenheit des betreffenden Mitgliedes vorgelegte Brief der Geschäftsstelle der Landesberufungskommission vom 29. September 1994 enthält keine dem betreffenden Mitglied zuzurechnende Äußerung über das rechtliche Schicksal des gegenständlichen Verfahrens. Es wird darin lediglich eine Kopie des Vergleiches vom 4. März 1992 übersendet und eine Rechtsmeinung des damaligen Vorsitzenden der Landesberufungskommission in berichtender Weise wiedergegeben.
Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner Rechtsprechung, wonach die geforderte Unabhängigkeit und Unparteilichkeit einer zur Berufung über "civil rights" i.S.d. Art6 EMRK berufenen Behörde schon dann fehlt, wenn bestimmte Tatsachen objektiv Anlaß dafür geben, diese Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen (vgl. zuletzt VfGH 10. Juni 1999, B 1809 - 1811/97). Allein aus dem Umstand, daß ein Mitarbeiter der Ärztekammer später als - weisungsfreies - Mitglied einer nach Art133 Z4 B-VG eingerichteten Behörde in einem Verfahren als Beisitzer mitzuentscheiden hatte, in dessen Verlauf dieser Mitarbeiter infolge kalenderjährlichen Wechsels der Zuständigkeit für die Führung der Kanzleigeschäfte der Landesberufungskommission als Leiter dieser Geschäftstelle Schriftstücke weitergeleitet und unterzeichnet hat, läßt sich aber eine - auch nur dem Anschein nach bestehende - Befangenheit dieses Mitgliedes nicht ableiten (vgl. zu ähnlichen Vorwürfen VfSlg. 9887/1983 und 11912/1988 sowie 14909/1997). Ein Verstoß gegen die geforderte Unparteilichkeit könnte nur in besonderen Umständen liegen, die sich etwa aus einer dienstlichen oder organisatorischen Abhängigkeit der bestellten Kommissionsmitglieder oder aus einer Mitwirkung des betreffenden Mitglieds an der (vor der Landesberufungskommission bekämpften) Entscheidung der Paritätischen Schiedskommission ergeben. Solche Umstände sind weder vom Beschwerdeführer behauptet worden noch sonst im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof hervorgekommen.
Da es auch sonst an jeglichem Hinweis auf eine unrichtige Zusammensetzung der belangten Landesberufungskommission fehlt, ist der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid weder in seinem Recht auf Entscheidung durch ein unabhängiges Tribunal gemäß Art6 EMRK noch in seinem durch Art83 Abs2 B-VG gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
2.3. Der Beschwerdeführer ist im Irrtum, wenn er meint, daß es sich beim von der Landesberufungskommission zu führenden Verfahren um ein amtswegig aufzunehmendes und zu führendes Verfahren handelt. Vielmehr wird die Landesberufungskommission gemäß §345 Abs2 ASVG überhaupt nur über Antrag einer Partei tätig. Dem Beschwerdeführer ist allerdings darin recht zu geben, daß auch die Landesberufungskommission ein Ermittlungsverfahren durchzuführen und den maßgebenden Sachverhalt festzustellen hat.
Nun hat zwar die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid richtig ausgeführt, daß das von ihr zu führende Verwaltungsverfahren durch den eingangs zitierten "Vergleich" zwischen den Streitparteien nicht beendet wurde und eine Einstellung des Verfahrens nicht erfolgt ist. Die Berufung des Beschwerdeführers war daher (wegen dieses Fehlens einer verfahrensbindenden Wirkung des Vergleichs) bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides offen und die belangte Behörde durch die zwischen den Streitteilen geschlossene Vereinbarung in prozessualer Hinsicht nicht an der Erlassung des Berufungsbescheides gehindert.
Von dieser prozessualen Frage zu unterscheiden ist jene, ob mit dem genannten Vergleich zwischen den Parteien eine rechtswirksame Vereinbarung zustande gekommen ist.
Der belangten Behörde ist keine in die Verfassungssphäre reichende Rechtswidrigkeit vorzuwerfen, wenn sie, nicht zuletzt im Hinblick darauf, daß die Streitteile die genannte Vereinbarung selbst über Jahre hinweg als bindend angesehen haben, davon ausging, daß sie bei ihrer Entscheidung diesen Vergleich als eine zwischen den Streitparteien getroffene vertragliche Vereinbarung zu berücksichtigen hat. Die belangte Behörde hat die im Zuge dieser Vereinbarung abgegebenen Äußerungen beider Streitteile als Prozeßerklärungen gewertet und diese ihrer Entscheidung zugrunde gelegt, wobei sie die in diesen Erklärungen jeweils anerkannten Umstände als außer Streit stehend angesehen hat. Ein willkürliches, das Grundrecht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzendes Vorgehen der belangten Behörde kann darin nicht erblickt werden. Dies auch nicht im Hinblick darauf, daß sie diesbezüglich jedes (weitere) Ermittlungsverfahren unterlassen und die vom Beschwerdeführer vorgebrachten (durch die in Rede stehende Vereinbarung als überholt angesehenen) Vorwürfe gegen die Bescheide der Paritätischen Schiedskommission unbeantwortet gelassen hat.
Ob aber der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen. Dies auch dann nicht, wenn die belangte Behörde nach der Vorschrift des Art133 Z4 B-VG eingerichtet und die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Überprüfung ihrer Entscheidung ausgeschlossen ist (vgl. VfSlg. 13762/1994 mit Hinweisen auf die Vorjudikatur).
3. Die vom Beschwerdeführer behaupteten Verletzungen in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten haben somit nicht stattgefunden. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der den Bescheid tragenden Rechtsvorschriften ist es auch ausgeschlossen, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in sonstigen Rechten verletzt wurde.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
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