VfGH B302/79

VfGHB302/7923.9.1983

Abgabenexekutionsordnung; keine Bedenken gegen §5 sowie gegen §§53 ff. und §70 Abs3 BAO; keine denkunmögliche Anwendung dieser Bestimmungen iVm. dem Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Abgabensachen, BGBl. Nr. 249/1955; kein Entzug des gesetzlichen Richters

Normen

B-VG Art83 Abs2
MRK 1. ZP Art1
StGG Art5
BAO §53 ff
BAO §26 Abs1
AbgEO §5
Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Abgabensachen, BGBl 249/1955
B-VG Art83 Abs2
MRK 1. ZP Art1
StGG Art5
BAO §53 ff
BAO §26 Abs1
AbgEO §5
Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Abgabensachen, BGBl 249/1955

 

Spruch:

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Am 13. März 1979 übermittelte die Oberfinanzdirektion Stuttgart der Finanzlandesdirektion für Vbg. unter Bezugnahme auf den Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Abgabensachen, BGBl. Nr. 249/1955, ein Vollstreckungsansuchen des Finanzamtes Ludwigsburg an das Finanzamt Feldkirch mit der Erklärung, daß die Rückstandsanzeige des ersuchenden Finanzamtes vollstreckbar sei. Diese Rückstandsanzeige vom 17. November 1978 beruht auf einem Haftungsbescheid vom 19. Dezember 1975, worin der Bf. wegen Mittäterschaft und Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung als Angestellter des Steuerschuldners G S und der S-P GesmbH zur Haftung für eine Summe von kanpp 5 Millionen DM herangezogen wird, betrifft Umsatzsteuer und Einkommensteuer im Betrag von 500000 DM und enthält eine Bestätigung der Oberfinanzdirektion Stuttgart über die Zuständigkeit des ersuchenden Finanzamtes. Um Sicherstellung des (als unanfechtbar festgestellt bezeichneten) Betrages wird mit der Begründung ersucht, der in Vbg. wohnhafte Bf. habe die Sicherheitsleistung, die zur Bedingung einer Aussetzung der Vollziehung gemacht worden sei, nicht erbracht.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 10. April 1979 anerkannte die Finanzlandesdirektion die Rückstandsanzeige und gab dem Ersuchen um Vornahme von Sicherungsmaßnahmen nach den §§232 - 234 BAO Folge.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, Unversehrtheit des Eigentums und nach Art1 MRK gerügt werden. Die Sicherheitsleistung sei keine Steuer im Sinne des Rechtsschutz- und Rechtshilfevertrages, die Umsatzsteuer als Verbrauchssteuer von der Anwendung des Vertrages ausgenommen, die im Durchführungserlaß bezogene Reichsabgabenordnung seit der AbgabenO 1977 nicht mehr in Geltung und die Rückstandsanzeige dem Bf. niemals zugestellt worden, seine Haftung als Vertreter nicht gegeben und hinsichtlich sämtlich geltend gemachter Beträge Verjährung eingetreten. Die Vorgangsweise des Finanzamtes Ludwigsburg sei also geradezu willkürlich. Die bel. Beh. habe sich gleichfalls über das Gesetz hinweggesetzt und jene inhaltliche Prüfung der Rückstandsanzeige unterlassen. Schon die richtige Anwendung des §238 BAO (betreffend Verjährung) hätte die Anerkennung verwehren müssen. Der Behörde sei auch bekannt gewesen, daß der Bf. seit 7. Juli 1978 in Österreich keinen ordentlichen Wohnsitz mehr habe und sich in Liechtenstein aufhalte. Der angefochtene Bescheid sei ihm bei einer privaten Einreise nach Österreich nach Durchführung einer Taschenpfändung zugestellt worden.

II. Die Beschwerde ist nicht begründet.

Gegenstand des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Abgabensachen, BGBl. Nr. 249/1955, sind die für den Bund, die Länder, die Gemeinden oder die Gemeindeverbände erhobenen öffentlichen Abgaben mit Ausnahme der vom Bund verwalteten Verbrauchssteuern sowie der Zölle und Monopolabgaben (Art1; der für die ausgenommenen Abgaben geschlossene Vertrag BGBl. Nr. 430/1971 enthält für die hier wesentlichen Fragen allerdings ähnliche Bestimmungen). Beide Staaten verpflichten sich, einander ua. in Sicherungs- und Vollstreckungsverfahren Rechtshilfe zu leisten (Art3). Rechtshilfeersuchen werden an das örtlich zuständige Finanzamt des ersuchten Staates gerichtet; ihre Übermittlung und Entgegennahme erfolgt durch die Oberfinanz- bzw. Finanzlandesdirektionen (Art4 Abs1). Das ersuchte Finanzamt ist verpflichtet, dem Ersuchen zu entsprechen; die Art und Weise der Erledigung richtet sich nach den Gesetzen des ersuchten Staates, für das Verfahren sind grundsätzlich die Vorschriften anzuwenden, die für die von dem Finanzamt verwalteten Abgaben gelten (Art5 Abs1). Rechtshilfe wird nicht geleistet, wenn der ersuchte Staat Grund für die Annahme hat, daß die Leistung der Rechtshilfe geeignet sein würde, wesentliche Interessen des ersuchten Staates zu gefährden (Art6 Abs1). Für die Rechtshilfe bei der Vollstreckung ist im besonderen folgendes bestimmt:

"Art11

(1) Dem Ersuchen um Vollstreckung von Verfügungen, die unanfechtbar und vollstreckbar sind, ist eine Erklärung der zuständigen Behörde des ersuchenden Staates beizufügen, in der die Unanfechtbarkeit bestätigt wird. Vorbehaltlich des Art13 ist die Zuständigkeit dieser Behörde durch die jeweils zuständige Oberfinanzdirektion oder Finanzlandesdirektion des ersuchenden Staates zu bescheinigen. Als Grundlage der Vollstreckung können an die Stelle der im ersten Satz bezeichneten Verfügungen auch Rückstandsausweise treten.

(2) Verfügungen (Rückstandsausweise), die den Bestimmungen des Abs1 entsprechen, sind vorbehaltlich des Art13 von den jeweils zuständigen Oberfinanzdirektionen oder Finanzlandesdirektionen des ersuchten Staates anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären. Art6 bleibt unberührt.

(3) Die im Abs2 bezeichneten Verfügungen werden durch die Finanzämter oder Gerichte gemäß der Gesetzgebung des ersuchten Staates vollstreckt.

Art12

Aufgrund von vollstreckbaren, jedoch noch nicht unanfechtbaren Verfügungen, einschließlich der Sicherstellungsanordnungen (Arrestanordnungen) kann nur um die Vornahme von Sicherungsmaßnahmen ersucht werden. Ihre Durchführung erfolgt ... in der Republik Österreich nach den Vorschriften über die Exekution zur Sicherstellung. Art11 findet sinngemäß Anwendung."

Vollstreckungsbehörde erster Instanz ist das Finanzamt, dem die Einhebung der Abgabe obliegt; es kann auch andere Finanzämter oder Zollämter, in deren Amtsbereich die Vollstreckungshandlung vorzunehmen ist, um Durchführung der Vollstreckung ersuchen (§5 AbgEO). Soweit über die örtliche Zuständigkeit der Abgabenbehörden - insbesondere in den §§53 ff. BAO - nichts bestimmt ist, richtet sich diese in Sachen, die sich weder auf ein unbewegliches Gut beziehen noch den Betrieb eines Unternehmens oder einer sonstigen dauernden Tätigkeit betreffen, zunächst nach dem Wohnsitz (Sitz) des Abgabepflichtigen, dann nach seinem Aufenthalt, schließlich nach seinem letzten Wohnsitz (Sitz) im Inland, wenn aber keiner dieser Zuständigkeitsgründe in Betracht kommt, nach dem Anlaß zum Einschreiten (§70 Z3 BAO).

Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der maßgeblichen generellen Normen bringt die Beschwerde nicht vor und sind auch beim VfGH nicht entstanden.

Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter könnte nach Lage der Sache nur verletzt sein, wenn die bel. Beh. eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen hätte. Davon kann aber offenkundig keine Rede sein. Das Beschwerdevorbringen tut nicht dar, daß eine außerhalb des Sprengels der Finanzlandesdirektion Vbg. liegende Behörde zur Rechtshilfe im Sicherungsverfahren zuständig gewesen wäre. Im verfassungsgerichtlichen Verfahren hat der Bf. (zur Begründung seines Antrages auf Gewährung der aufschiebenden Wirkung) vielmehr selbst ins Treffen geführt, daß er aus beruflichen Gründen mehrmals in der Woche nach Österreich fahren müsse und seine Familie nach wie vor in Rankweil wohnhaft sei, sodaß kaum die Gefahr bestehe, daß er sich einer allfälligen Zahlungsverpflichtung entziehen werde. Der Formulierung der Beschwerde ist aber auch zu entnehmen, daß der Bf. solche Reisen zugleich als private Reisen bewertet, die Wohnung mit der Familie also noch beibehält und benützt (vgl. §26 Abs1 BAO). Selbst wenn der Bf. ungeachtet all dieser Umstände seinen Wohnsitz in Österreich aufgegeben haben sollte, wäre aufgrund der genannten Vorschriften die Zulässigkeit eines Rechtshilfeersuchens an das Finanzamt Feldkirch nicht zu verneinen und daher die Finanzlandesdirektion Vbg. für die Anerkennung des Vollstreckungstitels zuständig.

Die übrigen Vorwürfe der Beschwerde laufen auf die Behauptung hinaus, die bel. Beh. habe denkunmöglich das Gesetz angewendet. Auch dieser Vorwurf ist indessen offenkundig unbegründet. Der Rechtshilfevertrag erfaßt das Sicherungsverfahren für alle öffentlichen Abgaben; ein Ausnahmefall liegt nicht vor, weil Umsatz- und Einkommensteuer keine Verbrauchssteuern sind (vgl. dazu das Schlußprotokoll zu Art1 des genannten Vertrages, Abs2; die Kirchensteuer ist übrigens entgegen der Meinung der Beschwerde nicht mehr Gegenstand der Rückstandsanzeige); der Vertrag stellt auch nicht auf ein bestimmtes Steuergesetz der Bundesrepublik Deutschland ab und verwehrt die Anerkennung formell einwandfreier Vollstreckungsersuchen nur dann, wenn die Rechtshilfe wesentliche Interessen des ersuchten Staates gefährden würde. Die Anwendung österreichischer Verjährungsbestimmungen ist in diesem Zusammenhang nirgends vorgesehen. Die Vorgangsweise der bel. Beh. ist daher - wenn überhaupt - keineswegs so fehlerhaft, daß sie einer Gesetzlosigkeit gleichkäme. Auch eine Verletzung des Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums liegt also nicht vor.

Welche Bedeutung die Heranziehung des Art1 MRK haben soll, ist überhaupt unerfindlich. Sollte Art11. ZPMRK gemeint sein, so ist darauf hinzuweisen, daß diese Bestimmung Steuer- und Abgabengesetzen und Bestimmungen über die Rechtshilfe in solchen Angelegenheiten ebensowenig entgegensteht wie Art5 StGG (vgl. VfSlg. 8305/1978).

Da auch die Verletzung anderer verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte nicht hervorgekommen ist, kann die Beschwerde ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung abgewiesen werden (§19 Abs4 Z1 VerfGG).

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