Normen
B-VG Art83 Abs2
DSt 1990 §26 Abs5
B-VG Art83 Abs2
DSt 1990 §26 Abs5
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Die Rechtsanwaltskammer für Vorarlberg ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit S 15.000,-- festgesetzten Prozeßkosten innerhalb von 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Vorarlberg faßte nach Einholung einer Äußerung des beschuldigten Beschwerdeführers am 15. Jänner 1990 den Beschluß auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen diesen, weil der Verdacht bestehe, daß er sich einer Verletzung der Berufspflichten und einer Verletzung gegen Ehre und Ansehen des Standes dadurch schuldig gemacht habe, daß er in einem in einer Tageszeitung am 29. September 1989 veröffentlichten Leserbrief als Vertreter eines Klienten bestimmte Ausführungen gemacht habe. Der Rechtsanwalt sei zwar berechtigt und verpflichtet, alle ihm zur Durchsetzung der Rechtsansprüche seines Klienten erforderlichen Mittel und Rechtsbehelfe zu ergreifen, hiezu gehörten jedoch "nicht Leserbriefe in Tageszeitungen".
2. Nach Zustellung dieses Einleitungsbeschlusses lehnte der Beschwerdeführer alle Mitglieder des genannten Disziplinarrates sowie den Kammeranwalt als befangen ab.
Er begründete diesen Antrag damit, daß Disziplinarverfahren nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und der "Straßburger Konventionsinstanzen" unter Art6 MRK fielen und deshalb fair und waffengleich zu führen seien. Einerseits habe der Disziplinarrat einen Einleitungsbeschluß in Anwesenheit des Kammeranwaltes gefaßt, wodurch der Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren nach Art6 MRK verletzt worden sei. Andererseits treffe der Einleitungsbeschluß "Feststellungen", was nur als Ergebnis eines Verfahrens, nicht vor dessen Durchführung möglich sei. Der Disziplinarrat habe sich aber nicht nur dadurch, sondern auch hinsichtlich der Beurteilung von Rechtsfragen festgelegt, woraus sich seiner Ansicht nach die Befangenheit aller Mitglieder des Disziplinarrates ergebe.
3. Mit Bescheid der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) vom 15. Oktober 1990, Zl. Bkd 51/90-7, wurde diesem Antrag, soweit er den Präsidenten des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Vorarlberg betrifft, nicht Folge gegeben; dies wird im wesentlichen wie folgt begründet:
"Da das Disziplinarstatut auch keine Definition des Begriffes der Befangenheit enthält, ist zur Prüfung der Berechtigung der behaupteten Befangenheit des Präsidenten des Disziplinarrates die zu §72 StPO ergangene Judikatur heranzuziehen. Demnach ist derjenige befangen, der an eine Sache nicht mit voller Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit herantritt (SSt 25/81, EvBl. 1975, 142). Befangenheit liegt daher nicht schon dann vor, wenn sich ein Richter vor der Entscheidung eine Meinung über den Fall gebildet hat, sondern dann, wenn die Annahme begründet erscheint, daß er auch angesichts allfälliger gegenteiliger Verfahrensergebnisse nicht gewillt ist, von seiner vorgefaßten Meinung abzugehen (SSt 25/77, 39/10, EvBl. 1967/446, 1975/142, 1980/166 uam). Häufige Befangenheitsgründe sind Freundschaft, Feindschaft, politische Gegnerschaft, entfernte Verwandtschaft und Schwägerschaft, zivilrechtliche Verpflichtungen udgl.
Derartige objektive, personenbezogene den Präsidenten des Disziplinarrates der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer betreffende Gründe, die geeignet wären, dessen Befangenheit zu bewirken, werden vom Ablehnungswerber nicht geltend gemacht.
Unrichtig ist zunächst, daß der Disziplinarrat den Einleitungsbeschluß in Anwesenheit des Kammeranwaltes gefaßt hat. Aus dem Protokoll über die beratende Sitzung vom 15. Jänner 1990 ergibt sich nämlich, daß der Kammeranwalt den Einleitungsbeschluß beantragt hat, worauf der Senat in geheimer Beratung und Abstimmung die Einleitung beschloß und diese nach seinem Wiedererscheinen verkündete. Die Anhörung des Kammeranwaltes vor Fassung des Einleitungsbeschlusses ist mit §29 Abs3 DSt ausdrücklich vorgesehen.
Unzutreffend ist auch die Behauptung des Ablehnungswerbers, daß sich aus den im Ablassungsbeschluß getroffenen Feststellungen bereits eine Voreingenommenheit der Senatsmitglieder ergebe. In dem Einleitungsbeschluß wird auch keine Beweiswürdigung vorgenommen, sondern nur der Inhalt von drei Leserbriefen und einigen Schreiben fast wörtlich wiedergegeben. Außerdem ergibt sich aus dem Einleitungsbeschluß, daß der Beschuldigte nur verdächtigt wird, ein Disziplinarvergehen begangen zu haben. Damit wird aber eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß über die Frage, ob der Beschuldigte tatsächlich das ihm angelastete Disziplinarvergehen begangen hat, erst in mündlicher Verhandlung entschieden werden wird. Daran ändert auch die im Einleitungsbeschluß ausgesprochene Rechtsansicht nichts, weil diese von dem in mündlicher Verhandlung erkennenden Senat nicht unbedingt geteilt werden muß. Im übrigen wird diese Rechtsansicht auch von der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission geteilt (AnwN 1988, 673 uam)."
4. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein faires Verfahren nach Art6 MRK behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.
5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie den Antrag stellt, der Beschwerde nicht Folge zu geben.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Es bedarf hier keiner näheren Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen, da die Beschwerde schon aus einem anderen - in der Beschwerde nicht relevierten - Grund berechtigt ist. Der angefochtene Bescheid beruht zwar auf der Beschlußfassung der OBDK vom 15. Oktober 1990, wurde aber laut Eingangsstempel des Beschwerdeführers und von der belangten Behörde unbestritten erst am 15. Jänner 1991 zugestellt und gilt mit diesem Zeitpunkt als erlassen (vgl. VfSlg. 8638/1979, 8704/1979, 8780/1980, 8998/1980, 11.059/1986). Laut ArtV Z1 des Bundesgesetzes BGBl. 474/1990 tritt dieses Bundesgesetz, also auch dessen ArtI betreffend das DSt 1990, mit dem 1. Jänner 1991 in Kraft, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt ist. Nach Z5 dieser Übergangsbestimmung sind - abgesehen von den hier nicht relevanten Abweichungen in Z2 bis 4 - im übrigen die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes anhängigen Disziplinarverfahren nach dem ArtI - das ist das DSt 1990 - fortzuführen. Nach ArtV Z6 leg.cit. tritt mit Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes - das ist, wie dargetan, der 1. Jänner 1991 - das DSt 1872 nach Maßgabe der Z2 bis 5 außer Kraft.
Daß das diesem Beschwerdeverfahren zugrundeliegende Disziplinarverfahren gegen den Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Inkrafttretens des genannten Bundesgesetzes, also am 1. Jänner 1991, anhängig war, steht außer Streit. Es war bzw. ist deshalb nach dem neuen DSt 1990 fortzuführen.
§26 Abs5 DSt 1990 lautet:
"(5) Über das Vorliegen von Ausschließungs- oder Befangenheitsgründen entscheidet der Präsident des Disziplinarrats. Ist hievon der Präsident des Disziplinarrats selbst betroffen, so entscheidet der Präsident der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission. Gegen diese Entscheidungen ist ein Rechtsmittel nicht zulässig. Nach Beginn der mündlichen Verhandlung entscheidet der erkennende Senat (§30) durch Beschluß, gegen den ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig ist."
Vorliegendenfalls ist die OBDK als Kollegialorgan eingeschritten, der nach dieser Vorschrift aber keinerlei Zuständigkeit zukommt.
Der Beschwerdeführer wurde deshalb im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Prozeßkosten sind S 2.500,-- an Umsatzsteuer enthalten.
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