VfGH B2083/93,B1545/94

VfGHB2083/93,B1545/94B2083/93,B1545/9412.12.1994

Verletzung im Gleichheitsrecht durch die Abweisung von Anträgen verheirateter Frauen auf Aufnahme in die jeweilige Agrargemeinschaft aufgrund der Anwendung wegen ihres Widerspruchs zum Gleichheitsgrundsatz nichtiger Satzungsbestimmungen; keine sachliche Rechtfertigung der Ausgrenzung von Frauen zur Reduzierung oder Verhinderung des Ansteigens der Mitgliederzahl von Agrargemeinschaften

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Allg
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art144 Abs1 / Allg
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
Satzung der Agrargemeinschaft Bürs §6 litb
Satzung der Agrargemeinschaft Tisis §6 litb
Vlbg FlVfLG §32
Vlbg FlVfLG §35
Vlbg FlVfLG §73
Vlbg FlVfLG §84
ABGB §879
B-VG Art7 Abs1 / Allg
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art144 Abs1 / Allg
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
Satzung der Agrargemeinschaft Bürs §6 litb
Satzung der Agrargemeinschaft Tisis §6 litb
Vlbg FlVfLG §32
Vlbg FlVfLG §35
Vlbg FlVfLG §73
Vlbg FlVfLG §84
ABGB §879

 

Spruch:

Die Beschwerdeführerinnen sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Das Land Vorarlberg ist schuldig, den Beschwerdeführerinnen, zu Handen ihrer Rechtsvertreter, die Prozeßkosten in der Höhe von 15.000 S (zu B2083/93) und von 18.000 S (zu B1545/94) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Den Aktenunterlagen zufolge wohnt die Beschwerdeführerin zu B2083/93 in Bürs/Vorarlberg. Sie ist verheiratet. Ihr Vater (dessen Erbin sie ist) war Mitglied der Agrargemeinschaft Bürs. Am 10. Februar 1993 suchte sie bei der Agrargemeinschaft um Aufnahme als Mitglied an. Die Agrargemeinschaft lehnte mit Schreiben vom 16. März 1993 die Aufnahme ab, weil dies die Satzung der Agrargemeinschaft nicht zuließe; gemäß §6 litb der Satzung ruhe nämlich bei Töchtern nach Mitgliedern während der Zeit der Verheiratung die Mitgliedschaft. Mit einem an die Agrarbezirksbehörde Bregenz gerichteten Schreiben vom 23. April 1993 ersuchte die Einschreiterin um eine bescheidmäßige Entscheidung. Gegen diese erhob sie in der Folge Berufung.

Der (Vorarlberger) Landesagrarsenat stellte mit dem im Instanzenzug ergangenen (nunmehr beim Verfassungsgerichtshof angefochtenen) Bescheid vom 21. Oktober 1993 gemäß §84 Abs1 des (Vorarlberger) Flurverfassungsgesetzes, LGBl. 2/1979, (im folgenden kurz: Vlbg. FlVG), fest, daß die oben erwähnte Entscheidung der Agrargemeinschaft Bürs vom 16. März 1993 der geltenden Satzung der Agrargemeinschaft entspreche. Die Behörde sei an die geltende (seinerzeit von der Aufsichtsbehörde rechtskräftig genehmigte) Satzung gebunden.

b) Ein ähnlicher Sachverhalt liegt der von einer anderen Einschreiterin zu B1545/94 erhobenen Verfassungsgerichtshofbeschwerde zugrunde:

Die Beschwerdeführerin ist die Tochter eines Mitgliedes der Agrargemeinschaft Tisis. Diese Agrargemeinschaft lehnte mit Schreiben vom 20. Juli 1993 die von der (in Feldkirch-Tisis wohnhaften und verheirateten) Einschreiterin begehrte Zuerkennung eines Nutzungsrechtes an der Agrargemeinschaft ab. Am 30. August 1993 beantragte die nunmehrige Beschwerdeführerin bei der Agrarbezirksbehörde Bregenz eine bescheidmäßige Entscheidung. Gegen diese erhob sie in der Folge Berufung.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 17. Mai 1994 stellte der (Vorarlberger) Landesagrarsenat gemäß den §§35 und 84 Abs1 Vlbg. FlVG fest, daß der Einschreiterin kein Nutzungsrecht an der Agrargemeinschaft Tisis zustehe: Nach der (von der Agrarbezirksbehörde genehmigten) Satzung dieser Agrargemeinschaft ruhe nämlich bei Töchtern von Mitgliedern während der Zeit ihrer Verheiratung die Mitgliedschaft (§6 litb) und bestehe für die Dauer des Ruhens der Mitgliedschaft kein Anspruch auf Teilnahme an der Verwaltung und Nutzung der agrargemeinschaftlichen Liegenschaften (§7). Da sie verheiratet sei, stehe der Einschreiterin daher kein Nutzungsrecht an der Agrargemeinschaft Tisis zu.

2. Gegen die beiden erwähnten Bescheide des Landesagrarsenates wenden sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden, in denen die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt wird. In der zu B 1545/94 erhobenen Beschwerde wird hilfsweise die Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof begehrt.

3.a) Der Landesagrarsenat als jene Behörde, die die bekämpften Bescheide erlassen hat, erstattete Gegenschriften, in denen mit näherer Begründung (s.u. III.1.b) die Abweisung der Beschwerden begehrt wird.

b) Die Agrargemeinschaften gaben als beteiligte Parteien Äußerungen ab. Auch sie treten mit näherer Begründung (s.u. III.1.c) für eine Abweisung der Beschwerden ein.

Die Beschwerdeführerin zu B2083/93 replizierte auf die Äußerung der Agrargemeinschaft Bürs.

II. Die maßgebende Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. Das II. Hauptstück (§§31 bis 81) des Vlbg. FlVG behandelt die "Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse an agrargemeinschaftlichen Grundstücken", das III. Hauptstück (§§82 bis 108) enthält Vorschriften über die Behörden, gemeinsame Bestimmungen und allgemeine Verfahrensbestimmungen.

Die im gegebenen Zusammenhang vornehmlich in Betracht zu ziehenden Vorschriften des Vlbg. FlVG lauten:

"§31

(1) Agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinne dieses Gesetzes sind Grundstücke,

a) bezüglich deren zwischen bestandenen Obrigkeiten und Gemeinden (Ortschaften) oder zwischen zwei oder mehreren Gemeinden (Ortschaften) gemeinschaftliche Besitz- und Nutzungsrechte bestehen oder

b) welche von allen oder von gewissen Mitgliedern einer Gemeinde (Ortschaft), einer oder mehreren Ortschaften, Nachbarschaften, Interessentschaften oder ähnlicher agrarischer Gemeinschaften kraft ihrer persönlichen oder mit einem Besitze verbundenen Mitgliedschaft oder von den Mitberechtigten an Wechsel- oder Wandelgründen gemeinschaftlich oder wechselweise genutzt werden.

(2) - (4) ....

§32

(1) Die Gesamtheit der jeweiligen Eigentümer der Liegenschaften, an welche Anteilsrechte an einer agrargemeinschaftlichen Liegenschaft gebunden sind (Stammsitzliegenschaften), bildet einschließlich jener Personen, denen persönliche (walzende) Anteile zustehen, eine Agrargemeinschaft.

(2) Agrargemeinschaften, die aus mindestens fünf Mitgliedern bestehen, müssen von der Behörde aufgestellte oder von der Behörde genehmigte Satzungen (§73) haben. Sie sind Körperschaften öffentlichen Rechts.

....

§35

(1) Die Agrarbehörden haben die Agrargemeinschaften zu überwachen. Die Überwachung erstreckt sich auf die Beobachtung der Bestimmungen dieses Gesetzes durch die Gemeinschaft und auf die Einhaltung der Satzungen. Auf Grund des Überwachungsrechtes hat die Behörde nötigenfalls nach §80 vorzugehen.

(2) Über Streitigkeiten, die zwischen Anteilsberechtigten an Agrargemeinschaften oder zwischen den Mitgliedern einer körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft und dieser oder ihren Organen aus dem Mitgliedschaftsverhältnis entstehen, entscheidet die Behörde.

(3) Die Satzungen sind zu überprüfen und gegebenenfalls abzuändern, sofern gesetzliche Bestimmungen dies erheischen.

....

§73

(1) Die körperschaftliche Verfassung der aus mindestens fünf Mitgliedern bestehenden Agrargemeinschaften ist in ihren Satzungen festgelegt. Die Satzungen der Agrargemeinschaften und die Abänderung solcher Satzungen bedürfen zu ihrer Rechtswirksamkeit der Genehmigung der Behörde.

(2) Bestehende Satzungen sind von der Behörde zu genehmigen, wenn sie den Bestimmungen des nachfolgenden Abs3 entsprechen, andernfalls durch neue zu ersetzen.

(3) Alle Satzungen für Agrargemeinschaften haben insbesondere Bestimmungen zu enthalten über

a) den Namen, Sitz und Zweck der Gemeinschaft,

b) die Rechte der Mitglieder, namentlich das Stimmrecht,

c) die Pflichten der Mitglieder hinsichtlich der Beitragsleistungen zur Deckung der Ausgaben und die Art der Verteilung und Einhebung der Beiträge.

(Anmerkung: Damit wird vorgeschrieben, daß die Satzungen Aufschluß über die Rechte und Pflichten der Mitglieder geben müssen, ohne jedoch - ausdrücklich - den Inhalt dieser Satzungsbestimmungen irgendwie vorauszubestimmen.)

d) - j) ....

§82

(1) ....

(2) Unter 'Agrarbehörde' oder 'Behörde' sind die auf Grund des Agrarbehördengesetzes 1950, BGBl. Nr. 1/1951, und des Gesetzes über die Einrichtung einer Agrarbezirksbehörde für das Land Vorarlberg, LGBl. Nr. 1/1949, eingerichteten Behörden zu verstehen.

§84

(1) Den Agrarbehörden steht auch außerhalb eines Verfahrens nach §83 die Entscheidung über die Frage zu, ob in einem gegebenen Falle eine Agrargemeinschaft im Sinne dieses Gesetzes vorhanden ist, auf welches Gebiet sie sich erstreckt, wer Eigentümer der agrargemeinschaftlichen Grundstücke ist, ferner die Entscheidung über den Bestand oder Nichtbestand sowie den Umfang von Anteilsrechten an agrargemeinschaftlichen Grundstücken und über die Frage, ob Gemeindegut oder Gemeindevermögen vorliegt.

(2) ...."

2. Die Satzungen der beiden Agrargemeinschaften wurden von diesen beschlossen und von der Agrarbezirksbehörde Bregenz bescheidmäßig genehmigt.

Die hier maßgebenden Satzungsbestimmungen lauten:

a) Satzung der Agrargemeinschaft Bürs:

"§3 Mitgliedschaft

Mitglieder der Agrargemeinschaft Bürs sind die mit dem Tage des Inkrafttretens dieser Satzung in die Mitgliederliste aufgenommenen Personen. ....

§4 Erwerb der Mitgliedschaft

Die Mitgliedschaft wird erworben durch Aufnahme in die Mitgliederliste. Der Anspruch auf Aufnahme in die Mitgliederliste wird, sofern die Voraussetzungen für die tatsächliche Ausübung von Nutzungsrechten gegeben sind, begründet durch:

  1. a) eheliche Abstammung von einem männlichen Mitglied (§3) ....

b) - c) ....

§6 Ruhen der Mitgliedschaft

Die Mitgliedschaft ruht:

  1. a) bei Mitgliedern, die den ordentlichen Wohnsitz nicht in der Gemeinde Bürs haben,

  1. b) bei Töchtern von Mitgliedern während der Zeit der Verheiratung.

§7 Auswirkungen bei Ruhen der Mitgliedschaft

Für die Dauer des Ruhens der Mitgliedschaft besteht kein Anspruch auf Teilnahme an der Verwaltung und der Nutzung der agrargemeinschaftlichen Liegenschaften.

...."

b) Die Satzung der Agrargemeinschaft Tisis lautet in den soeben wiedergebenen Bestimmungen wörtlich gleich wie jene der Satzung der Agrargemeinschaft Bürs (lediglich in §3 heißt es statt "Bürs" hier "Tisis", in §6 lita statt "nicht in der Gemeinde Bürs" hier "nicht im Bereiche der Stadt Feldkirch" sowie in §6 litb statt "der Verheiratung" hier "ihrer Verheiratung").

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:

1.a) Die Beschwerdeführerinnen erheben den Vorwurf, daß §6 litb der jeweiligen Satzung gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße und daher die auf diesen Statutenbestimmungen aufbauenden Bescheide gleichheitswidrig seien.

b) Der Landesagrarsenat hält dem entgegen, daß die Satzungen von der Agrarbezirksbehörde rechtskräftig genehmigt worden seien und er daher an sie gebunden sei. Demnach sei er gehalten gewesen festzustellen, daß die Agrargemeinschaften zu Recht das Ruhen der Mitgliedschaft der Beschwerdeführerinnen angenommen hätten.

c) Die Agrargemeinschaft Bürs stellt in ihrer Äußerung ihre Entwicklung dar und schildert ihre Nützlichkeit für die Mitglieder und die Allgemeinheit.

Zusammenfassend wird dargelegt:

"1. Die Regelung der Mitgliedschaft der Agrargemeinschaft Bürs gem. §3 und 4 der geltenden Verwaltungs- und Nutzungssatzung ist geschlechtsneutral. Dies beweist insbesondere auch die Tatsache, daß 50 Frauen Mitglieder der Agrargemeinschaft Bürs sind und die mögliche Holznutzung erhalten.

2. Die Abgrenzung der aktiven Ausübung der Nutzungs- und Verwaltungsrechte ist sowohl historisch als auch existentiell wirtschaftlich begründet. Sie stellt keinerlei grundsätzliche Diskriminierung eines Geschlechtes dar. Sie bildet vielmehr eine unumgängliche Voraussetzung für die Limitierung der Anzahl der Mitglieder und damit für den Weiterbestand von Agrargemeinschaften oder anderen servitutsbelasteten Liegenschaften.

3. Weder in Gesetzen noch höchstgerichtlichen Entscheidungen wird unseres Wissens verlangt, daß Mitglieds- oder Servitutsrechte auf einen Personenkreis ausgeweitet werden, welcher diese Rechte bisher nicht besessen hat. Dies würde zwingend zu einer Überforderung der agrarischen Gemeinschaften bzw. der belasteten Grundstücke führen. Damit aber würde direkt der Zielsetzung der Bodenreformgesetzgebung zuwidergehandelt."

2.a) Zunächst ist die Frage zu beantworten, ob der Verfassungsgerichtshof als Maßstab für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Bescheide u.a. die (mit rechtskräftigen Bescheiden der Agrarbezirksbehörde genehmigten) Satzungen heranzuziehen hat und - bejahendenfalls - ob er an die Satzungen (absolut) gebunden ist.

Der Landesagrarsenat hat in beiden Fällen bescheidmäßig konstatiert, daß die von den Organen der Agrargemeinschaften getroffenen Entscheidungen (s. oben Pkt. I.1.a und b) den Satzungen entsprächen. Bei seiner - im Rahmen des Art144 B-VG vorzunehmenden - Nachprüfung der bekämpften Bescheide wird auch der Verfassungsgerichtshof die Satzungen (und zwar jedenfalls deren §6 litb) heranzuziehen haben.

Der Verfassungsgerichtshof hat sich im Erkenntnis VfSlg. 12279/1990 mit dem Problem befaßt, ob die Satzungen von Agrargemeinschaften, die nach dem Vlbg. FlVG gebildet wurden, Verordnungsqualität haben. Er hat diese Frage - mit ausführlicher Begründung - verneint und sieht keine Veranlassung, von dieser Judikatur abzurücken.

Die Satzung einer Agrargemeinschaft i.S. des Vlbg. FlVG ist also keine Verordnung, die in einem (allenfalls von Amts wegen einzuleitenden) Verfahren nach Art139 Abs1 B-VG vom Verfassungsgerichtshof auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden könnte.

Vielmehr sind alle Behörden, aber auch der Verfassungsgerichtshof grundsätzlich an die aufsichtsbehördlich genehmigte Satzung gebunden (vgl. auch VwGH 10.4.1990 Zl. 86/07/0014 und 19.3.1991 Zl. 90/07/0003).

b) Diese Bindung enthebt aber weder die Verwaltungsbehörde noch den Verfassungsgerichtshof der Aufgabe zu untersuchen, mit welchem Text die Satzung dem Rechtsbestand angehört und welcher normative Satzungsinhalt sich daraus ergibt.

Die Satzungen sind die die Agrargemeinschaften konstituierende normative Ordnung; sie werden auf die im FlVG bestimmte Weise in Geltung gesetzt. Sie sind zwar - wie dargetan - nicht als Verordnungen i.S. des Art18 Abs2 und des Art139 Abs1 B-VG zu werten. Derartige Satzungen sind aber auch von den Statuten eines Vereines nach dem Vereinsgesetz 1951 zu unterscheiden, die im Rahmen der Privatautonomie die Beziehungen der Mitglieder untereinander und zum Verein weitestgehend beliebig ausgestalten können.

Vielmehr ist bei der Beurteilung von Agrargemeinschaftssatzungen von folgender, durch das Gesetz vorgegebenen spezifischen Eigenart der Agrargemeinschaften auszugehen:

§32 Abs2 letzter Satz Vlbg. FlVG besagt ausdrücklich, daß die Agrargemeinschaften (sofern sie aus mindestens fünf Mitgliedern bestehen) Körperschaften öffentlichen Rechtes sind. Zwar kommen den Agrargemeinschaften nach dem Vlbg. FlVG keine hoheitlichen Befugnisse zu. Das Gesetz überträgt ihnen aber - der Deklaration des §32 Abs2 letzter Satz leg.cit. entsprechend - die Besorgung eines Ausschnittes aus der öffentlichen Verwaltung und enthält auch eine Verpflichtung zur Mitgliedschaft (s. VfSlg. 12279/1990, S 121). Die Satzungen der Agrargemeinschaften werden dem §73 Abs1 Vlbg. FlVG zufolge erst durch einen öffentlich-rechtlichen Akt (nämlich erst aufgrund der Genehmigung durch die Behörde) rechtswirksam. Zur Entscheidung über Streitigkeiten aus dem Mitgliedschaftsverhältnis sind nicht die ordentlichen Gerichte, sondern kraft der Vorschrift des §35 Abs2 leg.cit. die (in §82 Abs2 erwähnten) Agrarbehörden zuständig. §84 Abs1 enthält weitere wesentliche Entscheidungsbefugnisse dieser Verwaltungsbehörden. All dies indiziert, daß die Agrargemeinschaften nicht im privatautonomen Bereich handeln, sondern die ihnen durch Gesetz übertragenen öffentlichen Aufgaben besorgen.

Aus dieser besonderen, vom Vlbg. FlVG verfügten Konstruktion der Organisation der Agrargemeinschaften und der Zuweisung öffentlicher Aufgaben an sie ergibt sich, daß für die sie konstituierenden Rechtsakte (die Satzungen) dieselben grundrechtlichen Schranken gelten wie sonst für generelle staatliche Normen.

Demnach gilt auch für solche Satzungen, daß sie dem Gleichheitsgrundsatz entsprechen müssen. Daher sind diesem Verfassungsgebot zuwiderlaufende Satzungsbestimmungen mangels eines besonderen Normenkontrollverfahrens als nichtig zu behandeln (§879 ABGB).

c) aa) Dies hat der Landesagrarsenat in beiden Beschwerdefällen nicht beachtet; er nahm an, die in beiden Satzungen (jeweils im §6 litb) aufscheinenden Bestimmungen, daß bei Töchtern von Mitgliedern während der Zeit ihrer Verheiratung die Mitgliedschaft ruht, gehörten der Rechtsordnung an.

Damit hat sich die Behörde geirrt:

Eine solche Satzungsvorschrift unterscheidet zwischen Töchtern und Söhnen, also zwischen Männern und Frauen, ohne daß für diese Diskriminierung der Frauen ein sachlicher Grund erkennbar wäre.

Im Verfahren wurde ein einziges Argument vorgebracht, das versucht, die in Rede stehende Differenzierung zu begründen:

In ihrer Äußerung meint die Agrargemeinschaft Bürs (s.o., Pkt. III.1.c), die Regelung bilde "eine unumgängliche Voraussetzung für die Limitierung der Anzahl der Mitglieder und damit für den Weiterbestand von Agrargemeinschaften oder anderen servitutsbelasteten Liegenschaften".

Mag sein, daß die Reduzierung oder die Verhinderung des Ansteigens der Anzahl der Mitglieder der Agrargemeinschaften erforderlich ist. Dieses Ziel darf aber nicht durch die Ausgrenzung allein von Frauen (also nicht auch von Männern) erreicht werden; hiefür fehlt jede sachliche Rechtfertigung.

bb) Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985, 11682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10337/1985, 11436/1987).

Ein derartiger Vorwurf ist der Behörde in beiden Beschwerdefällen zu machen, hat sie sich doch bei ihren Entscheidungen auf Satzungsbestimmungen berufen, die - wegen Widerspruchs zum Gleichheitsgrundsatz - nichtig sind.

d) Die Beschwerdeführerinnen wurden demnach durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

Die angefochtenen Bescheide waren daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.

In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 2.500 S (B2083/93) und von 3.000 S (B1545/94) enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

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