Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in dem durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit 18.000,-- S bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer ist bosnischer Staatsangehöriger und lebt seit 1993 in Österreich. Ihm wurden Aufenthaltsbewilligungen, zuletzt gültig bis 27. Dezember 1994, für den Zweck "Privater Aufenthalt" erteilt.
Mit Bescheid vom 30. Jänner 1995, Z MA 62-9/2050322-03-V, wies der Landeshauptmann von Wien den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß §5 Abs2 des Aufenthaltsgesetzes - AufG, BGBl. Nr. 466/1992, ab, weil das Arbeitsmarktservice Wien auf Anfrage festgestellt habe, daß die Unbedenklichkeit für die Berufsgruppe Schalungszimmerer nicht bestätigt werde. Die dagegen erhobene Berufung wies der Bundesminister für Inneres mit dem angefochtenen Bescheid gemäß §5 Abs1 AufG ab, weil der Lebensunterhalt des Beschwerdeführers in Österreich nicht gesichert sei. Der Beschwerdeführer wolle keiner Erwerbstätigkeit nachgehen und sein Unterhalt solle allein durch seine Lebensgefährtin - die eine Verpflichtungserklärung abgegeben habe - bestritten werden. Dazu ist im Bescheid auch noch folgendes ausgeführt:
"Die Behörde hat ihre Entscheidung im Rahmen des vom Gesetz eingeräumten Ermessensspielraumes zu treffen, wobei aus den §§2 und 3 AufG klare Kriterien für die Art und Weise ableitbar sind, wie dieser Spielraum genützt werden soll. Bei der Ermessensübung hat sie sich von der ebenfalls im Gesetz begründeten Überlegung leiten zu lassen, daß angesichts der Zielsetzung des Gesetzes Prioritäten gesetzt werden müssen.
Im Hinblick auf diese Prioritäten sind Aufenthaltsbewilligungen für private Aufenthalte an sich arbeitsfähiger Personen prinzipiell nicht zu erteilen."
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, mit der insbesondere die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
3. Der Bundesminister für Inneres als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.1. Der angefochtene, die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach dem AufG versagende Bescheid greift in das dem Beschwerdeführer durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein, weil der Beschwerdeführer mit seiner damaligen Lebensgefährtin und nunmehrigen Ehegattin seit 1993 in Österreich wohnt.
1.2. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall läge nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hätte (vgl. VfSlg. 11638/1988).
2. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 16. März 1995, B2259/94, mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung der in §5 Abs1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungstatbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.
3. Die belangte Behörde hat einerseits angenommen, daß §5 Abs1 AufG der Behörde Ermessen einräume. Beim Begriff des für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesicherten Lebensunterhalts handelt es sich aber um einen unbestimmten Gesetzesbegriff, und nicht, wie die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage annimmt, um die Einräumung von Ermessen an die Behörde durch den Gesetzgeber.
Die Annahme der belangten Behörde, §5 Abs1 AufG räume ihr Ermessen ein, bedeutet ein grobes Verkennen der Rechtslage, das in die Verfassungssphäre reicht.
Dazu kommt, daß die belangte Behörde andererseits die von Verfassungs wegen gebotene Interessenabwägung nicht vorgenommen hat.
4. Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesen Gründen aufzuheben, ohne daß zu prüfen war, ob die belangte Behörde angesichts der Verpflichtungserklärung der nunmehrigen Ehegattin des Beschwerdeführers davon ausgehen konnte, daß der Lebensunterhalt des Beschwerdeführers für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert sei.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von 3.000,-- S enthalten.
6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.
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