VfGH B199/08

VfGHB199/0829.9.2008

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen Erhebung unsachlicher Vorwürfe gegen die Beklagte in einer Berufungsbeantwortung; keine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit; keine verfassungswidrige Strafbemessung

Normen

EMRK Art10
DSt 1990 §16 Abs6
RAO §9
EMRK Art10
DSt 1990 §16 Abs6
RAO §9

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Spruchpunkt 1.) des Erkenntnisses des Disziplinarrates

der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom 29. November 2006 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe in einer Berufungsbeantwortung in einem Zivilrechtsstreit in Bezug auf eine von der Beklagten vorgelegte Entschuldigung für eine Streitverhandlung ausgeführt:

"Abgesehen davon, dass sich die Frage nach der Urkundenwahrheit und der Echtheit der Urkunde stellt, haben die Beklagte und ihr Mann mit der Herstellung dieser dubiosen Entschuldigungen ein zufolge ihres öffentlich rechtlichen Dienstverhältnisses auch disziplinär zu ahndendes Fehlverhalten gesetzt, führt doch die Ausstellung solcher 'Gefälligkeitsbestätigungen' zu ernsten Zweifeln darüber, ob die Beklagte (und auch ihr Mann) gewillt und in der Lage sind, sich im öffentlichen Dienst so tadellos zu verhalten, dass das Ansehen des öffentlichen Dienstes in der Bevölkerung keinen Schaden leidet.

Wenn es sich also die Beklagte schon bei der Herstellung von gerichtlich vorgelegten Urkunden 'richtet', wie sie es braucht, muss von vornherein davon ausgegangen werden, dass sie es auch beim Tatsachenvortrag nicht so genau nimmt."

Der Beschwerdeführer wurde wegen der Vergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes zu einer Geldbuße in Höhe von € 1.200,- und zum Ersatz der Verfahrenskosten verurteilt.

Von einem weiteren gegen ihn erhobenen Vorwurf wurde der Beschwerdeführer unter Spruchpunkt 2.) freigesprochen.

2. Der gegen die Verurteilung erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im Folgenden: OBDK) vom 19. November 2007 keine Folge gegeben. Begründend wird unter anderem ausgeführt:

"Nun mag es im vorliegenden Fall zulässig gewesen sein, die Zuverlässigkeit und Begründetheit der Entschuldigung vom 2.12.2003 sachlich in Zweifel zu ziehen, zumal der diese Entschuldigung verfassende Ehegatte der betroffenen Partei am gleichen Institut ... wie diese tätig war. Dies rechtfertigte aber nicht, ohne entsprechende Nachforschungen den Vorwurf einer 'Gefälligkeitsbestätigung', 'des sich Richtens' oder des 'disziplinär zu ahndenden Fehlverhaltens' zu erheben. Aus der dem Disziplinarbeschuldigten offenbar vorgelegenen Organisationsstruktur (Internetausdruck) des Instituts geht nämlich nicht hervor, wer dazu befugt ist, eine Unabkömmlichkeitsbestätigung für einen Mitarbeiter auszustellen. Die ihm vorliegenden Urkunden ließen keinen Schluss darauf zu, ob die Entschuldigung korrekt und wahrheitsgetreu erfolgte. Die in der Berufungsbeantwortung erhobenen Vorwürfe stehen in keinem Zusammenhang mit dem Inhalt des streitigen Verfahrens. Sie waren nicht geeignet, als Verteidigungs- oder Angriffsmittel im Sinne des §9 RAO zu dienen. Mangels Sachlichkeit und inhaltlichem Bezug zum Thema des Streitverfahrens hat der Disziplinarbeschuldigte die Grenzen des §9 RAO überschritten."

3. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freiheit der Meinungsäußerung sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

4. Die OBDK legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof auch aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens nicht entstanden.

Der Beschwerdeführer wurde daher durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

2.1. Der Beschwerdeführer behauptet zunächst eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Meinungsäußerung. Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass das inkriminierte Vorbringen in einer Disziplinar- und/oder Strafanzeige zulässig wäre, weshalb es zur Darlegung der Unglaubwürdigkeit der Gegenpartei zulässig sein müsse. Darüber hinaus sei das Vorbringen geeignet gewesen, die rechtlichen Interessen seines Mandanten durchzusetzen, weil es Zweifel an der Glaubwürdigkeit der betroffenen Person aufkommen lassen konnte.

2.2. Nach Art10 Abs1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Vom Schutzumfang dieser Bestimmung, die das Recht der Freiheit der Meinung und der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden einschließt, werden sowohl reine Meinungskundgaben als auch Tatsachenäußerungen, aber auch Werbemaßnahmen erfasst. Art10 Abs2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, dass die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie u.a. in einer demokratischen Gesellschaft zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind.

Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung muss sohin, wie auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausgesprochen hat (s. zB EGMR 26.4.1979, Fall Sunday Times, EuGRZ 1979, 390; 25.3.1985, Fall Barthold, EuGRZ 1985, 173), gesetzlich vorgesehen sein, einen oder mehrere der in Art10 Abs2 EMRK genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und zur Erreichung dieses Zweckes oder dieser Zwecke "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein (vgl. VfSlg. 12.886/1991, 14.218/1995, 14.899/1997, 16.267/2001 und 16.555/2002).

Ein Bescheid, der in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung eingreift, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes unter anderem dann verfassungswidrig, wenn ein verfassungsmäßiges Gesetz denkunmöglich angewendet wurde; eine denkunmögliche Gesetzesanwendung liegt auch vor, wenn die Behörde dem Gesetz fälschlicherweise einen verfassungswidrigen - hier also: die besonderen Schranken des Art10 EMRK missachtenden - Inhalt unterstellt (VfSlg. 10.700/1985, 12.086/1989, 13.922/1992, 13.617/1993, 16.558/2002).

Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Der belangten Behörde kann aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, dass die Vorwürfe des Beschwerdeführers ("Gefälligkeitsbestätigung", "des sich Richtens" und "des disziplinär zu ahndenden Fehlverhaltens") nicht ohne weitere Nachforschungen hätten erhoben werden dürfen, zumal die Vorwürfe in keinem Zusammenhang mit dem Inhalt des streitigen Verfahrens standen und die Urkunden keinen Schluss darauf zuließen, ob die Entschuldigung korrekt und wahrheitsgetreu erfolgte.

Die belangte Behörde hat dabei dem Gesetz auch keinen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt. Der Verfassungsgerichtshof hegt keinen Zweifel daran, dass mit dem angefochtenen Bescheid eine dem Art10 Abs2 EMRK dienliche Einschränkung der Meinungsfreiheit vorgenommen wurde, die zu diesem Zweck auch als notwendig anzusehen ist (VfSlg. 17.228/2004, 18.001/2006).

Der Beschwerdeführer wurde daher nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt.

3.1. Der Beschwerdeführer behauptet weiters die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz. Begründend führt er unter anderem aus, dass die belangte Behörde isolierte Textpassagen aus der Berufungsbeantwortung herausgenommen habe. Der vom Beschwerdeführer gezogene Schluss sei lebensnah und daher zulässig. Schließlich sei der belangten Behörde Willkür bei der Strafbemessung vorzuwerfen, weil die Höhe der verhängten Geldstrafe ohne Erhebung der Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers festgesetzt worden sei.

3.2. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

Die belangte Behörde hat ein Ermittlungsverfahren durchgeführt und sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Es kann ihr aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, dass die vom Beschwerdeführer getätigten Vorwürfe diesen disziplinarrechtlich verantwortlich machen.

Im Hinblick auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, die Behörde habe bei der Strafbemessung seine Einkommensverhältnisse nicht berücksichtigt, verkennt er, dass er damit nur Fragen der richtigen Anwendung des einfachen Gesetzes (§16 Abs6 Disziplinarstatut 1990) anspricht (vgl. zB VfSlg. 16.009/2000).

Der Beschwerdeführer wurde daher nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

4. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

5. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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