VfGH B184/88

VfGHB184/885.10.1988

Tir. Getränke- und SpeiseeissteuerG; keine Bedenken gegen die Beweislastregel des §3 Abs2; Verletzung des Gleichheitsrechtes durch grobes Fehlverhalten der bel. Beh. bei Ermittlung der Getränkeabgabepflicht

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs1
Tir Getränke- und SpeiseeissteuerG 1973 §3 Abs2
F-VG §8 Abs4
Tir LAO 1963 §91
Tir LAO 1963 §92 Abs1
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs1
Tir Getränke- und SpeiseeissteuerG 1973 §3 Abs2
F-VG §8 Abs4
Tir LAO 1963 §91
Tir LAO 1963 §92 Abs1

 

Spruch:

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die bf. Gesellschaft betreibt in Innsbruck einen Einzelhandel mit alkoholischen Getränken, in dessen Rahmen vorwiegend Spirituosen, und zwar insbesondere Tiroler Kräuterschnäpse und 80 %iger Rum verkauft werden.

Bei Berechnung und Abführung der Getränkesteuer ging die bf. Gesellschaft davon aus, daß (bloß) 10 % der verkauften Getränke im Gemeindegebiet von Innsbruck verbraucht werden.

Auf Grund einer Getränkesteuerprüfung setzte der Stadtmagistrat Innsbruck mit Bescheiden vom 1. April 1985 (für die Zeit vom 19. 1. 1982 bis 31. 12. 1984) und vom 14. Juli 1987 (für die Zeit vom 1. 1. 1985 bis 31. 12. 1986) Getränkesteuer in der Höhe von 276.284 S bzw. 280.308 S zuzüglich Säumniszuschläge fest; er ging dabei von der Annahme aus, daß sämtliche verkauften Getränke im Gemeindegebiet von Innsbruck verbraucht worden seien.

Die gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen blieben erfolglos; die Berufungskommission in Abgabensachen der Stadtgemeinde Innsbruck bestätigte mit zwei Bescheiden vom 28. Dezember 1987 die erstinstanzlichen Bescheide.

2. Gegen die Bescheide der Berufungskommission richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Erwerbsausübungsfreiheit behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den VwGH begehrt wird.

Die bel. Beh. hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Gemäß §50 TLAO ist in Angelegenheiten der Gemeindeabgaben der Landeshauptstadt Innsbruck in zweiter und letzter Instanz die Berufungskommission in Abgabensachen zuständig, deren Entscheidungen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungswege unterliegen. Der Instanzenzug ist daher erschöpft. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2.a) Die Getränkesteuer ist eine Verbrauchsteuer; als solche unterliegt sie der verfassungsrechtlichen Schranke des §8 Abs4 F-VG, aus dem sich für die Getränkesteuer das Verbot ergibt, sie von Getränken zu erheben, die außerhalb der jeweiligen Gemeinde verbraucht werden.

Dem entsprechend ist nach §1 Abs1 des Tiroler Getränke- und Speiseeissteuergesetzes (LGBl. 102/1973) die Getränkesteuer als eine Steuer vom Verbrauch von Getränken konstruiert. Gemäß §3 Abs1 leg.cit. ist zur Entrichtung von Getränkesteuer verpflichtet, wer Getränke an den Letztverbraucher entgeltlich abgibt. Nach Abs2 dieser Bestimmung wird bei der Abgabe von Getränken in Behältnissen mit einem Inhalt bis zu 2 l das Bestehen der Pflicht zur Entrichtung der Getränkesteuer vermutet. Die Führung des Gegenbeweises durch den Steuerschuldner ist zulässig.

Der VfGH hat unter den Gesichtspunkten des Beschwerdefalles keine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit dieser und der anderen den Bescheid tragenden Rechtsgrundlagen. Er hält es insbesondere aus folgender Erwägung nicht für verfassungswidrig, daß der Gesetzgeber von der - durch einen Beweis des Steuerschuldners widerlegbaren - Vermutung ausgeht, daß die entgeltliche Abgabe von Getränken in der Regel zum Zweck des Konsums innerhalb der Grenzen der betreffenden Gemeinde erfolgen wird (vgl. VfSlg. 2796/1955). Denn nach Lehre und Rechtsprechung wird durch eine solche Beweislastregel weder die Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit noch der Grundsatz der freien Beweiswürdigung und der Unbeschränktheit der Beweismittel noch auch die unter den gesetzlichen Voraussetzungen bestehende Pflicht der Behörde zur Ermittlung der Höhe der Abgabe durch Schätzung (§147 TLAO) aufgehoben (vgl. VwGH v. 15. 3. 1985, 85/17/0033 und v. 10. 5. 1985, 84/17/0211 (mH auf weitere verwaltungsgerichtliche Entscheidungen und Literaturstellen); VfSlg. 9816/1983). Angesichts dieser Rechtsprechung ist der bf. Gesellschaft auch nicht zuzustimmen, wenn sie der Auffassung anhängt, daß die gesetzliche Regelung der Einhebung von Verbrauchsteuern insgesamt und die Beweislastregel des §3 Abs2 des Tiroler Gesetzes im besonderen zu unbestimmt seien und das Verwaltungshandeln nicht ausreichend zu determinieren vermögen.

b) Bei der Unbedenklichkeit der den Bescheid tragenden Rechtsvorschriften kann eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 10413/1985) nur vorliegen, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein derart grobes Fehlverhalten ist der Behörde in der Tat anzulasten. Die Behörde hat der Beweisführung durch die bf. Gesellschaft keinen Glauben geschenkt (sie hat im Verwaltungsverfahren die bf. Gesellschaft aufgefordert, Aufzeichnungen zu führen, aus denen der Name und ordentliche Wohnsitz des Käufers, möglichst dessen Reisepaßnummer, sowie die Art des gekauften Getränks hervorgehen und jeweils eigenhändig unterfertigte Erklärungen der Käufer vorzulegen, daß die Getränke nicht in Innsbruck verbraucht werden. Da diesen Auflagen nicht entsprochen wurde, hat sie bei der Erlassung der angefochtenen Bescheide angenommen, daß alle verkauften Spirituosen im Gemeindegebiet von Innsbruck verbraucht wurden.

Eine solche Annahme ist bei der Lage des konkreten Falles aber denkunmöglich und willkürlich. Sie könnte auf der Ansicht beruhen, daß der Bestimmung des §3 Abs2 des Tiroler Getränkesteuer- und Speiseeisgesetzes der Inhalt beizumessen ist, daß immer dann, wenn dem Steuerpflichtigen nicht der Nachweis des Verbrauchs von Getränken außerhalb des Gemeindegebietes gelingt, anzunehmen ist, daß die Getränke zur Gänze im Gemeindegebiet verbraucht worden sind. Hätte die genannte Bestimmung tatsächlich diesen Inhalt, so wäre sie verfassungswidrig; denn eine solche Regelung würde in sachwidriger Weise von den Grundsätzen der Pflicht zur Ermittlung der materiellen Wahrheit und des Schätzungsgebots abweichen und im Effekt überdies die Getränkesteuer zu einer Verkehrsteuer machen.

Sollte also die Behörde bei Erlassung des bekämpften Bescheides von der dargestellten (verfehlten) Rechtsauffassung ausgegangen sein, so hätte sie der Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheids einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt, was den Bescheid selbst mit Verfassungswidrigkeit belastet.

Sollte die bel. Beh. der Regel des §3 Abs2 leg.cit. aber nicht diesen (verfassungswidrigen) Inhalt beigemessen haben, sondern von der Auffassung ausgegangen sein, daß sie den §§91 und 92 Abs1 TLAO entsprechend die materielle Wahrheit zu ermitteln hat, so wäre ihr vorzuwerfen, daß sie bei der Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts willkürlich vorgegangen ist. Ein willkürliches Verhalten einer Behörde liegt nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH nämlich auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. zB VfSlg. 8808/1980 und 10338/1985). Auf einen solch schweren Fehler aber läuft das Verhalten der bel. Beh. hinaus, wenn sie bei Nichterbringung der von ihr verlangten, oben näher geschilderten überzogenen Nachweise (von denen die Behörde in der Gegenschrift ausführt, nur sie entsprächen den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Buchführung) ohne nähere Prüfung davon ausgegangen ist, daß sämtliche der in einem Innsbrucker Stadtgeschäft verkauften Spirituosen, u.zw. vorwiegend Tiroler Kräuterschnäpse und 80 %iger Rum im Gemeindegebiet von Innsbruck verbraucht wurden. Es widerspricht jeglicher Lebenserfahrung anzunehmen, daß derartige Produkte, die typischerweise (auch) von Touristen in der Absicht erstanden werden, sie nach Hause mitzunehmen, gerade im speziellen Fall zur Gänze im Gemeindegebiet von Innsbruck konsumiert worden sein sollen. Der VfGH hat es in einem ähnlich gelagerten Fall (VfSlg. 9816/1983) als verfassungswidrig angesehen, wenn die Behörde bei der Ermittlung der Getränkeabgabepflicht die für diese Abgabepflicht bedeutsamen Umstände völlig außer Betracht läßt.

c) Es kann somit offen bleiben, ob die bel. Beh. zu ihrer Entscheidung gelangt ist, indem sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, oder ob sie von einer verfassungskonformen Interpretation ausgehend bei der Subsumption des Sachverhalts unter die gesetzliche Regel die dargelegten schwerwiegenden Fehler begangen hat, die das Behördenhandeln als willkürlich erscheinen ließen: in jedem Fall ist nämlich, wie sich aus dem Gesagten ergibt, die bf. Gesellschaft durch die angefochtenen Bescheide in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichheitsrecht verletzt worden. Die Bescheide waren daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. Im zugesprochenen Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von 1.000 S enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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