VfGH B1682/07

VfGHB1682/0715.6.2009

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Arzt wegen Verletzung der Berufspflicht der gewissenhaften Patientenbetreuung infolge Fehlverhaltens während eines Geburtsvorganges trotz Vorliegens einer außergewöhnlichen Indikationskette; kein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK 7. ZP Art4
ÄrzteG 1998 §49, §136
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK 7. ZP Art4
ÄrzteG 1998 §49, §136

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Bescheid des Disziplinarrates der Österreichischen

Ärztekammer, Disziplinarkommission für Oberösterreich und Salzburg, wurde der Beschwerdeführer gemäß §136 Abs1 Z2 des Bundesgesetzes über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (Ärztegesetz 1998 - ÄrzteG 1998) des Disziplinarvergehens "der Verletzung der Berufspflicht des Gebotes der Gewissenhaftigkeit nach §49 Abs1 ÄrzteG" schuldig erkannt und zur Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises sowie gemäß §163 Abs1 ÄrzteG 1998 zum Ersatz der mit € 400,- bestimmten Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt.

In der Sache wurde dem Beschwerdeführer - zusammengefasst - vorgeworfen, dass er als ärztlich verantwortlicher Helfer bei der Entbindung einer Patientin trotz Vorliegens einer außergewöhnlichen Indikationskette während des Geburtsvorganges dieser nach Lage des Falles nicht hinreichende Bedeutung beigemessen habe, sodass dieses Verhalten für sich bereits ein disziplinarrechtlich zu ahndendes Fehlverhalten bewirke.

Die belangte Behörde gab der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge und begründete dies im Wesentlichen wie folgt:

"Dem Schuldspruch zufolge hat Dr. P (Anm.: der nunmehrige Beschwerdeführer) am 31. Juli 2002 in Salzburg als ärztlich verantwortlicher Helfer bei der Entbindung der Patientin P die Notwendigkeit einer Akutsectio nicht erkannt und zu spät eine Normalsectio eingeleitet, wodurch es zum Tod des ungeborenen Kindes P kam.

...

Die Verantwortung des Disziplinarbeschuldigten, mangels Vorliegens der für eine Uterusruptur typischen Indikationen (...) mit einem an sich normalen Geburtsvorgang konfrontiert und daher nicht gehalten gewesen zu sein, die letztlich durchgeführte Sectio früher zu veranlassen, erachtete die Disziplinarkommission im Hinblick darauf für widerlegt, dass im Fall einer 'Viertgebärenden' die mit einer gut sitzenden Periduralanästhesie versorgt ist, das Einsetzen und Anwachsen einseitiger, heftiger Schmerzen, die weder die Einnahme einer seitlichen Körperlage, noch eine Berührung der schmerzenden Bauchregion zulassen, überdies von einer unverrückbaren atypischen Position des Kindeskopfes und einer sinnfälligen Undurchführbarkeit des sogenannten 'Kristeller-Griffes' begleitet sind, ein fachärztlich nicht zu vernachlässigendes Alarmsignal bedeuteten. Die Disziplinarkommission stützte sich dabei auf die Expertise des Gerichtssachverständigen Univ.Prof. Dr. H, die dieser im gerichtlichen Strafverfahren zu AZ 38 Hv 121/03h des Landesgerichtes Salzburg erstellt hatte.

Dazu ist festzuhalten, dass Dr. P mit reformatorischer Entscheidung des OLG Linz vom 14. April 2005, AZ 9 Bs 37/05p, des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach §80 StGB schuldig erkannt und nach dieser Gesetzesstelle (unter Anwendung des §37 Abs1 StGB) zu einer (zur Hälfte für eine zweijährige Probezeit bedingt nachgesehenen) Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je € 70,--, für den Fall der Uneinbringlichkeit zu 90 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt wurde.

...

Dabei wird nicht verkannt, dass die potenziell lebenswichtige Unterscheidung zwischen einem auf natürlichen - wenn auch extremen - Schmerzen beruhenden Symptombild ohne alarmierendem Indikationswert und Schmerzreaktionen einer Gebärenden, die auf eine Krisenentwicklung zurückzuführen sind, selbst für langfristig erfahrene fachärztliche Geburtshelfer im Einzelfall äußerst schwierig sein kann. Umso schwerer fällt daher das aus §49 Abs1 ÄrzteG folgende Gebot gewissenhafter Patientenbetreuung, das generell die Verpflichtung miteinschließt, sämtliche jeweils aktuellen Risikofaktoren zu beachten und nach den nach etabliertem wissenschaftlichem Standard verfügbaren Möglichkeiten zu minimieren.

...

Der Kern des dem Disziplinarbeschuldigten zur Last fallenden Fehlverhaltens liegt nach Überzeugung des Disziplinarsenates weniger in der Nichterkennung der Notwendigkeit einer Akutsectio, vielmehr darin, dass er auf der Basis seiner anamnestischen Patienteninformation die bereits mehrfach erwähnte Indikationskette mit nach Lage des Falles in ihrer Gesamtheit alarmierender Bedeutung (Terminüberschreitung, medikamentöse Geburtseinleitung, Patientenwunsch nach PDA samt anschließend notwendiger Nachbesserung, stundenlanger Schrägstand des Kindeskopfes ohne sachdienlichen Fortschritt nach Blasensprengung, für eine Viertgebärende im aktuellen Stadium außergewöhnlich langfristige Stagnation des Geburtsvorgangs) unter Außerachtlassung der nach den Begleitumständen nicht ausschließbaren schleichenden Uterusruptur im Vertrauen auf die bis dahin einwandfreien Herz- und Kreislauffunktionen bei Mutter und Kind als kulminierenden Ausdruck der Endphase eines an sich routinemäßigen Geburtsvorganges interpretierte.

Dieser für die disziplinarrechtliche Fallbeurteilung entscheidende Kern bleibt aber von all dem unberührt, was in der schriftlichen wie auch mündlichen Berufungsausführung eingewendet wurde.

...

Ins Leere geht schließlich auch die Problematisierung eines disziplinarrechtlich fassbaren Überhangs des hier abgeurteilten Fehlverhaltens im Vergleich zu dem von der strafgerichtlichen Verurteilung erfassten Sachverhalt. Entspricht es doch der fundamentalen Zielsetzung freiberuflicher Disziplinarrechte im Allgemeinen und des ärztlichen Disziplinarrechts im Besonderen, nicht nur mit standesinterner Blickrichtung, sondern auch im Außenverhältnis die repräsentative Bereitschaft der Ärzteschaft zu dokumentieren, alle Einflüsse hintanzuhalten, die der gesellschaftlichen Akzeptanz ärztlicher Berufsausübung abträglich sein können. Dazu zählt insbesondere eine angemessene berufsethische Bewusstseinsbildung unter den Ärzten, die insbesondere in außergewöhnlich folgenschweren Einzelfällen eine spezifisch standesinterne Distanzierung von ärztlichem Fehlverhalten auch in der Bedeutung eines bloßen Defizits an ärztlicher Gewissenhaftigkeit zum Ausdruck bringt. Das Gewicht der hier in Rede stehenden Fallkonstellation erfordert demnach den Ausdruck einer standesspezifischen Distanzierung von den Modalitäten des Dr. P zur Last fallenden Geburtshilfeverhaltens, weshalb das Argument unzulässiger Doppelbestrafung vorliegend im Ergebnis nicht greift.

Der Berufung war daher insgesamt der Erfolg zu versagen."

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in "seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren nach Art6 EMRK dadurch, dass dem Disziplinarsenat als Berufungsbehörde bei der Beurteilung des Berufungsvorbringens des Beschwerdeführers, insbesondere durch die Verkennung der Rechtslage, aber auch durch Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in diesem entscheidenden Punkt, insbesondere in Verbindung mit dem Ignorieren des ausführlichen Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten, ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen ist", sowie im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Verbot der Doppelbestrafung nach Art4 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK verletzt.

Konkret führt er unter Berufung auf Art6 EMRK aus, dass die Berufungsbehörde Teile der Aussage der Patientin nicht hinreichend aufgegriffen habe, aus der es sich jedoch zwingend ergeben würde, dass der Beschwerdeführer von einem anderen Wissensstand zum Zeitpunkt der Geburt ausging, als danach im Zuge des Verfahrens auf Basis eines Gutachtens angenommen. Der Beschwerdeführer vertritt die

Auffassung, dass "der Arzt ... die Situation nur aus der

ex ante-Sicht beurteilen und somit nicht ungewöhnliche Änderungen im Geschehensablauf vorhersehen [könne]. Dem Beschwerdeführer ist daher durch sein Verhalten in der gegenständlichen Situation keine Verletzung einer standesspezifischen Berufspflicht vorzuwerfen." Die Berufungsbehörde hätte wesentliche für den Beschwerdeführer entlastende Beweise nicht beachtet. Auch eine vom Gerichtssachverständigen im strafgerichtlichen Verfahren erster Instanz andere Argumentation gegenüber der Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht sei nicht aufgegriffen worden, weshalb eine endgültige Klärung der Sach- und Rechtslage im Wege der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens notwendig gewesen wäre. Zusammenfassend ist der Beschwerdeführer sohin der Auffassung, dass dem Disziplinarsenat bei der Beurteilung des Berufungsvorbringens des Beschwerdeführers - insbesondere durch die Unterlassung der Beiziehung eines weiteren Sachverständigen - ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen wäre.

Zur Verletzung im Verbot der Doppelbestrafung führt der Beschwerdeführer wörtlich aus (Hervorhebungen im Original):

"In der beim Disziplinarsenat eingebrachten Berufung wurde gerügt, dass der Ausspruch des Erkenntnisses des Disziplinarrates über die entscheidende Frage, ob überhaupt Umstände vorliegen, die eine zusätzliche Disziplinarstrafe, die sich von ihrer Zielsetzung her neben einer bereits verhängten gerichtlichen Strafe besonders begründen lasse, mit gravierenden Begründungsmängel[n] behaftet ist.

...

Der Grundsatz 'ne bis in idem' gilt auch im Disziplinarrecht insofern, als eine rechtswirksam verhängte Strafe die nochmalige Verhängung einer solchen Maßnahme wegen desselben Sachverhalts rechtens ausschließt.

...

Der Disziplinarrat wirft dem BF vor, er habe den Tatbestand des §136 Absl Z2 ÄrzteG 1998 idgF iVm §49 Absl leg.cit. in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllt. Demnach sei dem Beschuldigten vorzuwerfen, er habe die Patientin nicht gewissenhaft betreut und dabei nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung sowie unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften das Wohl der Patientin gewahrt.

Diese rechtliche Ausführung wird damit begründet, dass das durchgeführte Beweisverfahren ergeben habe, dass der BF aufgrund der Übernahme der Behandlung der Patientin P als Facharzt für Gynäkologie und ärztliche[r] Geburtshelfer eine Garantenstellung eingenommen habe. Er sei daher für die Unterlassung einer spätestens um 1.10 Uhr indizierten Akutsectio verantwortlich. Es entspreche dem allgemeinen medizinischen Erfahrungsstand, dass eine mit einer Uterusruptur einhergehende vorzeitige Plazentaablösung zu einer Sauerstoffunterversorgung und damit sehr rasch zum Eintritt des Todes eines Kindes im Mutterleib führen kann. Es sei die objektive Vorhersehbarkeit der Todesfolge gegeben gewesen und unter Bedachtnahme auf die Facharztausbildung und die jahrelange Erfahrung des Beschuldigten auch subjektiv vorhersehbar gewesen. Dem BF wird daher grundsätzlich ein Sorgfaltsverstoß vorgeworfen.

Der Vorwurf des Disziplinarrates ist somit absolut ident mit den Ausführungen des gerichtlichen Strafberufungsverfahrens zu GZ 9 Bs 37/05 p OLG Linz.

Konkret wirft das Strafgericht dem BF nämlich vor, dass nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft das Erfordernis einer Akutsectio spätestens bis 1.10 Uhr zu erkennen und eine solche durchzuführen war. Dem BF wäre aufgrund seines fachärztlichen Ausbildungs- und Erfahrungsstandes die Einhaltung der gebotenen objektiven Sorgfalt, insbesondere die Diagnose einer möglichen Uterusruptur und der damit verbundenen Gefahr einer vorzeitigen Plazentalösung bei entsprechender Aufmerksamkeit und Beachtung der ärztlichen Kunstregeln möglich gewesen. Die von ihm erfolgte Unterlassung sei ein subjektiver Sorgfaltsverstoß. Der BF wurde daher im gerichtlichen Strafverfahren nach §6 Abs1 StGB verurteilt, da er fahrlässig gehandelt und die gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen habe.

Schon allein aufgrund der Tatsache, dass beiden Verfahren exakt derselbe Sorgfaltsverstoß zugrunde liegt, ist ein 'disziplinärer Überhang' nicht zu erkennen. Es besteht keine Rechtfertigung, dem Beschuldigten im Hinblick auf das grundsätzlich geltende 'Doppelbestrafungsverbot' wegen desselben Tat- und Unrechtsgehaltes auch noch disziplinarrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.

Grundsätzlich ist es ein legitimes Interesse der Standesgemeinschaft der Ärzte, sich im Falle einer schwerwiegenden gerichtlichen Verurteilung, denen Verhaltensweisen des Betroffenen zugrunde liegen, von denen regelmäßig auch eine Gefährdung des Ansehens des Standes oder der ordnungsgemäßen Erfüllung bestimmter standesspezifischer Berufspflichten ausgeht, sich in Wahrnehmung des so genannten 'disziplinären Überhanges' disziplinarrechtliche Reaktionen vorzubehalten (VfGH B191/99). Gegenständlich ist jedoch keinesfalls von einer schwerwiegenden gerichtlichen Verurteilung zu sprechen, wobei insbesondere zu berücksichtigen ist, dass der BF im strafgerichtlichen Verfahren erster Instanz, GZ 38 Hv 121/03, freigesprochen wurde. Auch die Geschädigte selbst, P brachte unmittelbar nach dem Vorfall keine Schuldzuweisungen vor. Erst in zweiter Instanz des strafgerichtlichen Verfahrens wurde der BF aufgrund des, wie oben ausgeführt - äußerst kritisch zu betrachtenden - geänderten Gutachtens, der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden.

Im Disziplinarverfahren wurde der Disziplinarbeschuldig[te] wegen einer Verletzung des §49 Abs1 ÄrzteG disziplinarrechtlich verurteilt und besagt diese Bestimmung lediglich, dass er nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung sowie unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften und der fachspezifischen Qualitätsstandards das Wohl der Kranken und den Schutz der Gesunden zu wahren hat.

Es ist daher in der Bestimmung wiederum nur ein Sorgfaltsmaßstab normiert und wurde dieser bereits im strafgerichtlichen Verfahren ausreichend erschöpft. Insbesondere ist der Berufungsbehörde vorzuwerfen, dass sie in der Begründung in keiner Weise darauf eingegangen ist, inwiefern durch den Sorgfaltsverstoß des BF, aufgrund dessen er bereits strafrechtlich verurteilt wurde, sich eine weitere Verletzung der Berufspflichten oder der Ehre und des Ansehens des Standes ergibt. Der Disziplinarsenat behauptet lediglich, dass das dem BF zur Last fallende Geburtshilfeverhalten eine standesspezifische Distanzierung erfordert.

...

Die mangelnde Begründung des Disziplinarsenates, inwiefern die Disziplinarstrafe zusätzlich zur bereits verhängten gerichtlichen Strafe notwendig und erforderlich sei, verletzt den BF wesentlich in seinem in Art4 7[.] ZP-EMRK geschützten Recht."

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher mit näherer Begründung die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

II. Zur Rechtslage:

§49 Abs1 ÄrzteG 1998, BGBl. I 169 idF BGBl. I 156/2005, lautet:

"Behandlung der Kranken und Betreuung der Gesunden

§49. (1) Ein Arzt ist verpflichtet, jeden von ihm in ärztliche Beratung oder Behandlung übernommenen Gesunden und Kranken ohne Unterschied der Person gewissenhaft zu betreuen. Er hat sich laufend im Rahmen anerkannter Fortbildungsprogramme der Ärztekammern in den Bundesländern oder der Österreichischen Ärztekammer oder im Rahmen anerkannter ausländischer Fortbildungsprogramme fortzubilden und nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung sowie unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften und der fachspezifischen Qualitätsstandards das Wohl der Kranken und den Schutz der Gesunden zu wahren."

§136 ÄrzteG 1998, BGBl. I 169 idF BGBl. I 156/2005, lautet auszugsweise:

"2. Abschnitt

Disziplinarvergehen

§136. (1) Ärzte machen sich eines Disziplinarvergehens schuldig, wenn sie im Inland oder im Ausland

1. das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft durch ihr Verhalten der Gemeinschaft, den Patienten oder den Kollegen gegenüber beeinträchtigen oder

2. die Berufspflichten verletzen, zu deren Einhaltung sie sich anläßlich der Promotion zum Doctor medicinae universae verpflichtet haben oder zu deren Einhaltung sie nach diesem Bundesgesetz oder nach anderen Vorschriften verpflichtet sind.

(2) Ärzte machen sich jedenfalls eines Disziplinarvergehens nach Abs1 Z1 oder Z2 schuldig, wenn sie

1. den ärztlichen Beruf ausüben, obwohl über sie rechtskräftig die Disziplinarstrafe der befristeten Untersagung der Berufsausübung (§139 Abs1 Z3) verhängt worden ist oder

2. eine oder mehrere strafbare Handlungen vorsätzlich begangen haben und deswegen von einem in- oder ausländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder zu einer Geldstrafe von zumindest 360 Tagessätzen oder zu einer Geldstrafe von mehr als 36 340 Euro verurteilt worden sind.

Werden in einem oder mehreren Urteilen Freiheitsstrafen und Geldstrafen (nebeneinander) verhängt, ist die Summe der Freiheitsstrafen und der für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafen verhängten Freiheitsstrafen maßgeblich. Wird in einem oder mehreren Urteilen ausschließlich auf Geldstrafen erkannt, sind diese zusammen zu zählen.

..."

§139 ÄrzteG 1998, BGBl. I 169 idF BGBl. I 110/2001, lautet:

"4. Abschnitt

Disziplinarstrafen

§139. (1) Disziplinarstrafen sind

  1. 1. der schriftliche Verweis,
  2. 2. die Geldstrafe bis zum Betrag von 36 340 Euro,
  3. 3. die befristete Untersagung der Berufsausübung,
  4. 4. die Streichung aus der Ärzteliste.

(2) Die Strafe gemäß Abs1 Z3 darf im Falle eines Disziplinarvergehens gemäß §136 Abs2 höchstens auf die Zeit von drei Jahren verhängt werden. In den übrigen Fällen darf die Strafe gemäß Abs1 Z3 höchstens für die Dauer eines Jahres, das erste Mal höchstens für die Dauer von drei Monaten verhängt werden. Die Untersagung der Berufsausübung gemäß Abs1 Z3 bezieht sich auf die Ausübung des ärztlichen Berufes im Inland mit Ausnahme der ärztlichen Berufsausübung im Zusammenhang mit den Dienstpflichten von Ärzten, die ihren Beruf im Rahmen eines Dienstverhältnisses bei einer Gebietskörperschaft oder einer anderen Körperschaft öffentlichen Rechts mit eigenem Disziplinarrecht ausüben.

(3) Die Disziplinarstrafen gemäß Abs1 Z2 bis 4 können bedingt unter Festsetzung einer Bewährungsfrist von einem Jahr bis zu drei Jahren verhängt werden, wenn anzunehmen ist, daß ihre Androhung genügen werde, um den Beschuldigten von weiteren Disziplinarvergehen abzuhalten und es nicht der Vollstreckung der Strafe bedarf, um der Begehung von Disziplinarvergehen durch andere Ärzte entgegenzuwirken.

(4) Die Disziplinarstrafe gemäß Abs1 Z4 ist insbesondere zu verhängen, wenn der Beschuldigte den ärztlichen Beruf ausübt, obwohl über ihn die Disziplinarstrafe gemäß Abs1 Z3 verhängt worden ist, sofern nicht nach den besonderen Umständen des Falles mit einer geringeren Strafe das Auslangen gefunden werden kann.

(5) Nach Verhängung der Disziplinarstrafe gemäß Abs1 Z4 kann eine erneute Eintragung in die Ärzteliste erst erfolgen, wenn der ärztliche Beruf insgesamt drei Jahre nicht ausgeübt worden ist. Wegen mangelnder Vertrauenswürdigkeit kann die erneute Eintragung auch nach Ablauf dieses Zeitraumes von der Österreichischen Ärztekammer verweigert werden (§27 Abs8).

(6) Liegen einem Beschuldigten mehrere Disziplinarvergehen zur Last, so ist, außer im Falle des Abs10, nur eine Disziplinarstrafe zu verhängen. Die §§31 und 40 StGB gelten sinngemäß.

(7) Bei Bemessung der Strafe ist insbesondere auf die Größe des Verschuldens und der daraus entstandenen Nachteile, vor allem für die Patientenschaft, bei Bemessung der Geldstrafe auch auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beschuldigten, Bedacht zu nehmen. Die §§32 bis 34 StGB sind sinngemäß anzuwenden.

(8) Wird ein Arzt nach Gewährung einer bedingten Strafnachsicht (Abs3) wegen eines neuerlichen, innerhalb der Probezeit begangenen Disziplinarvergehens schuldig erkannt, so ist entweder die bedingte Strafnachsicht zu widerrufen oder, wenn dies ausreichend erscheint, den Beschuldigten von weiteren Disziplinarvergehen abzuhalten, die Probezeit bis auf höchstens fünf Jahre zu verlängern. Die Entscheidung darüber kann nach Anhörung des Beschuldigten entweder im Erkenntnis wegen des neuen Disziplinarvergehens oder in einem gesonderten Beschluß erfolgen.

(9) Wird eine bedingte Strafnachsicht nicht widerrufen, so gilt die Strafe mit Ablauf der Probezeit als endgültig nachgesehen. Die §§49, 55 und 56 StGB gelten sinngemäß. Zeiten, in denen der ärztliche Beruf nicht ausgeübt worden ist, werden in die Probezeit nicht eingerechnet.

(10) Sofern es im Interesse der Wahrung des Ansehens der österreichischen Ärzteschaft und der Einhaltung der Berufspflichten gelegen ist, kann im Disziplinarerkenntnis auf Veröffentlichung des gesamten Disziplinarerkenntnisses in den Mitteilungen der zuständigen Ärztekammer oder allenfalls zusätzlich auch in der Österreichischen Ärztezeitung erkannt werden."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften wurden nicht vorgebracht und sind aus Anlass der vorliegenden Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof auch nicht entstanden.

2. Unter dem Titel des Art6 EMRK bringt der Beschwerdeführer vor, er sei dadurch in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden, dass die Disziplinarkommission bei der fachlichen Beurteilung des Geburtsvorganges eine Expertise eines Gerichtssachverständigen herangezogen habe, die jedoch Ungereimtheiten aufgewiesen habe. Der Beschwerdeführer regte im Disziplinarverfahren mehrfach an, diese Ungereimtheiten durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens auszuräumen. Dieser wesentliche Verfahrensfehler sei von der belangten Behörde nicht aufgegriffen worden.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

Der Verfassungsgerichtshof vermag die Bedenken des Beschwerdeführers nicht zu teilen. Wenn der Disziplinarsenat unter Bedachtnahme auf den Gesamtablauf des Geburtsvorganges letztlich zur Auffassung gelangte, dass "das aus §49 Abs1 ÄrzteG 1998 folgende

Gebot gewissenhafter Patientenbetreuung ... generell die

Verpflichtung mit einschließt, sämtliche jeweils aktuellen Risikofaktoren zu beachten und nach den nach etabliertem wissenschaftlichem Standard verfügbaren Möglichkeiten zu minimieren", ist ihr nicht entgegenzutreten. Auch ist ihr insbesondere aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegenzutreten, wenn sie zur Auffassung gelangt, dass "[d]er Kern des dem Disziplinarbeschuldigten zur Last fallenden Fehlverhaltens" darin liegt, "dass er auf der Basis seiner anamnestischen Patienteninformation die bereits mehrfach erwähnte Indikationskette mit nach Lage des Falles in ihrer

Gesamtheit alarmierender Bedeutung ... unter Außerachtlassung der

nach den Begleitumständen nicht ausschließbaren schleichenden Uterusruptur im Vertrauen auf die bis dahin einwandfreien Herz- und Kreislauffunktionen bei Mutter und Kind als kulminierenden Ausdruck der Endphase eines an sich routinemäßigen Geburtsvorganges" interpretierte.

Weiters wird in der Beschwerde der belangten Behörde ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler vorgeworfen, weil sie den Anträgen des Beschwerdeführers, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen, da der Gerichtssachverständige

im Strafverfahren "in entscheidenden Punkten ... in seiner

Gutachtensergänzung bzw. -erläuterung vor dem Berufungsgericht" von seinem ursprünglichen Gutachten abgewichen sei, nicht entsprach. Dabei übersieht der Beschwerdeführer, dass im Wesentlichen die Grundlagen sowie alle geltend gemachten Widersprüche des Sachverständigengutachtens in der Berufungsverhandlung selbst erörtert wurden. Dadurch, dass die belangte Behörde auf Basis dieser erörterten Sachlage ohne weiteres Gutachten die rechtliche Würdigung getroffen hat, ist ihr ebenfalls kein in die Verfassungssphäre reichender Fehler vorzuwerfen.

3. Aber auch das zweite Bedenken des Beschwerdeführers, dass die Entscheidung des Disziplinarsenates gegen das Verbot der Doppelbestrafung verstoße, vermag der Verfassungsgerichtshof nicht zu teilen; dies aus folgenden Gründen:

Vorauszuschicken ist vorerst, dass der Verfassungsgerichtshof es in ständiger Rechtsprechung als zulässig erachtet, dass Standesgemeinschaften Verhaltensweisen von Standesmitgliedern, die eine Gefährdung des Ansehens des Standes bewirken, einer gesonderten disziplinarrechtlichen Verfolgung unterwerfen (vgl. VfSlg. 15.543/1999 zum Disziplinarrecht der Ärzte, ebenso VfSlg. 17.763/2006).

Der Verfassungsgerichtshof führte im Erkenntnis VfSlg. 17.763/2006 aus, dass "es ein legitimes Interesse einer Standesgemeinschaft darstelle, sich im Falle gerichtlicher Verurteilungen - denen Verhaltensweisen des Betroffenen zugrunde liegen, von denen auch eine Gefährdung des Ansehens des Standes oder der ordnungsgemäßen Erfüllung bestimmter standesspezifischer Berufspflichten ausgeht - in Wahrnehmung des sogenannten 'disziplinären Überhangs' disziplinarrechtliche Sanktionen vorzubehalten. Dies ist nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes ein eigener - eine gesonderte disziplinäre Bestrafung rechtfertigender - Aspekt, der weder gegen Art6 EMRK noch gegen Art4 des 7. ZP EMRK verstößt." Der Verfassungsgerichtshof sieht auch vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles keinen Grund, von dieser Auffassung abzugehen.

Der Beschwerdeführer wurde gemäß §136 Abs1 Z2 iVm §49 Abs1 ÄrzteG 1998 des Disziplinarvergehens "der Verletzung der Berufspflicht des Gebotes der Gewissenhaftigkeit nach §49 Abs1 ÄrzteG" für schuldig erkannt und zur Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises verurteilt.

§49 ÄrzteG 1998 legt zentrale Pflichten des Arztes fest, die für das Ansehen der Ärzteschaft maßgeblich sind; wenn also das Verhalten des Arztes geeignet war, das Vertrauen der Bevölkerung in die gewissenhafte Betreuung einer Patientin zu erschüttern, liegt es im spezifischen standespolitischen Interesse der gesamten Ärzteschaft, aus generalpräventiven Gründen ein entsprechendes Verfahren zu führen. Dass die belangte Behörde - gesamthaft betrachtet - zum Ergebnis gelangte, dass das Verhalten des Beschwerdeführers dem §49 ÄrzteG 1998 nicht entsprach, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.

Gerade dieser spezifisch standesrechtliche Aspekt wurde im Strafverfahren nicht berücksichtigt, weshalb es auch dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Verbot der Doppelbestrafung nicht entgegensteht, wenn der Beschwerdeführer zur Wahrung unterschiedlicher Rechtsgüter - wenn auch wegen desselben Sorgfaltsverstoßes - neben den Strafgerichten auch von den Disziplinarbehörden zur Verantwortung gezogen wurde. Der Disziplinarsenat hat sich auch entgegen den Ausführungen in der Beschwerde mit den diesbezüglichen Bedenken des Beschwerdeführers in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise auseinandergesetzt.

4. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall (vgl. §181 Abs1 ÄrzteG 1998) - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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