VfGH B1659/94

VfGHB1659/9412.10.1994

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Feststellung des Nichteintretens der Zivildienstpflicht infolge Versäumung der einmonatigen Frist zur Abgabe der Zivildiensterklärung; keine Einbeziehung der Tage des Postenlaufes in diese an den Abschluß des Stellungsverfahrens anknüpfende verfahrensrechtliche Frist

Normen

B-VG Art83 Abs2
ZivildienstG §2 Abs1 idF BGBl 187/1994
ZivildienstG §76a Abs2 Z1 idF BGBl 187/1994
AVG §33 Abs3
B-VG Art83 Abs2
ZivildienstG §2 Abs1 idF BGBl 187/1994
ZivildienstG §76a Abs2 Z1 idF BGBl 187/1994
AVG §33 Abs3

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer, zu Handen seiner Rechtsvertreter, die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der - 1989 zum Wehrdienst als tauglich befundene - Beschwerdeführer gab am 11. April 1994 eine an das Militärkommando Niederösterreich gerichtete Zivildiensterklärung zur Post; sie langte am 12. April 1994 beim Militärkommando ein.

Daraufhin erließ der Bundesminister für Inneres (BMI) den folgenden, mit 13. Juni 1994 datierten Bescheid:

"Gem. §5a Abs4 in Verbindung mit §5a Abs3 Z2 ZDG idF BGBl. Nr. 187/94, wird festgestellt:

Ihre Zivildiensterklärung vom 11.04.1994 kann wegen Fristversäumnis gem. §76a Abs2 Z1 ZDG, BGBl. Nr. 187/1994, Zivildienstpflicht nicht eintreten lassen.

B e g r ü n d u n g :

Gem. §76a Abs2 Z1 ZDG können Wehrpflichtige, die weder Angehörige des Präsenzstandes nach §1 Abs3 WG noch seit mehr als zwei Wochen zu einem Präsenzdienst einberufen sind, eine Zivildiensterklärung gem. §§2 und 5 Abs2 ZDG nur innerhalb eines Monates ab dem der Kundmachung des ZDG idF

BGBl. Nr. 187/1994 folgenden Tag, dies war der 10. März 1994, einbringen; die Monatsfrist hat mit 11. März 1994 zu laufen begonnen. Ihre im Spruch genannte Erklärung wurde erst nach Fristablauf eingebracht.

Da gem. §5a Abs3 Z2 ZDG Zivildiensterklärungen mangelhaft sind, wenn die Frist für die Abgabe der Zivildiensterklärung abgelaufen ist, dies hier der Fall war und gem. §5a Abs4 ZDG der Nichteintritt der Zivildienstpflicht bei mangelhaften Zivildiensterklärungen festzustellen ist, war spruchgemäß zu entscheiden."

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

3. Der BMI als jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerde begehrt. Er begründet dies damit, daß der Beschwerdeführer (der vom 1. Oktober 1990 bis 31. Mai 1991 Grundwehrdienst sowie in den Jahren 1992 und 1993 Kaderübungen geleistet habe) am 24. März 1994 zu einer weiteren Kaderübung (vom 23. Juni bis 2. Juli 1994) einberufen worden sei. Er sei "bereits an dem der Zustellung seines Einberufungsbefehles nächstfolgenden Tag nach der Verfassungsbestimmung des §76a Abs2 Z1 ZDG nicht mehr antragsberechtigt" gewesen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird u.a. dann verletzt, wenn eine Verwaltungsbehörde zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (s. zB. VfSlg. 13210/1992, 13280/1992).

2. Ein solcher Fehler ist dem BMI hier vorzuwerfen:

a) Die im vorliegenden Fall in Betracht zu ziehende (in Verfassungsrang stehende) Übergangsbestimmung des §76a Abs2 Z1 des Zivildienstgesetzes 1986 - ZDG, BGBl. 679, idF der Novelle BGBl. 187/1994, (im folgenden: ZDG nF), lautet:

"§76 a. (Verfassungsbestimmung) (1)...

(2) Innerhalb eines Monats ab dem der Kundmachung dieses Bundesgesetzes (sc. der ZDG-Novelle 1994) folgenden Tag (also innerhalb eines Monats ab 11. März 1994) können

  1. 1. taugliche Wehrpflichtige, die weder Angehörige des Präsenzstandes nach §1 Abs3 WG noch seit mehr als zwei Wochen zu einem Präsenzdienst einberufen sind, eine Zivildiensterklärung gemäß §§2 und 5 Abs2 einbringen;
  2. 2. ...

(3) ..."

Die Einbringung hat bei dem nach dem Wohnsitz des Wehrpflichtigen zuständigen Militärkommando (bzw. im Stellungsverfahren bei der Stellungskommission) zu erfolgen (§5 Abs2 ZDG nF). Die in der zuvor zitierten Übergangsbestimmung normierte einmonatige Frist ist am Montag, dem 11. April 1994 abgelaufen.

b) Der BMI geht im angefochtenen Bescheid offenbar davon aus, die Frist zur Abgabe der Zivildiensterklärung sei eine materiell-rechtliche und keine verfahrensrechtliche, weshalb es nicht darauf ankomme, ob die Erklärung innerhalb der Frist zur Post gegeben wurde (s. §33 Abs3 AVG, wonach die Tage des Postenlaufes nicht in die Frist eingerechnet werden), sondern ob sie am letzten Tag der Frist (11. April 1994) bereits dem Militärkommando zugekommen sei.

c) Diese Annahme ist verfehlt:

Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis VfSlg. 10434/1985 ausgesprochen, daß die nach dem ZDG (in der damals geltenden Fassung) zur Verfügung stehende Frist zur Abgabe des Antrages auf Befreiung von der Wehrpflicht ("... nach Ablauf von zehn Tagen nach Zustellung des Einberufungsbefehls ...") keine materiell-rechtliche sei. Er begründete dies damit, daß diese Frist durch ein Verwaltungsverfahren ausgelöst werde, nämlich das Verfahren vor dem Militärkommando (das durch die Erlassung des Einberufungsbefehls - also eines Bescheides - abgeschlossen werde). Da verfahrensrechtliche Fristen solche seien, die entweder durch ein Verfahren ausgelöst werden oder in einem Verfahren laufen, liege somit eine verfahrensrechtliche Frist vor, weshalb die Tage des Postenlaufes nicht in die Frist einzurechnen seien.

Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, der Gesetzgeber der ZDG-Novelle 1994 habe in dieser Hinsicht eine Änderung der Rechtslage dahin bewirken wollen, daß nunmehr die Tage des Postenlaufes in die Frist einzurechnen sein sollten. Vielmehr knüpft auch der Einleitungssatz des §2 Abs1 ZDG nF (wonach der Wehrpflichtige die Zivildiensterklärung nur "innerhalb eines Monates nach Abschluß des Stellungsverfahrens" abgeben kann) den Beginn des Laufes der Frist für die Abgabe der Zivildiensterklärung an den Abschluß eines (anderen) Verfahrens. Der - im vorliegenden Beschwerdefall anzuwendende - §76a Abs2 Z1 ZDG nF ist eine Übergangsvorschrift, die für jene Zivildienstwerber gilt, welche vor dem Inkrafttreten der (hier maßgeblichen Teile der) ZDG-Novelle 1994 (also vor dem 11. März 1994) dem Stellungsverfahren unterzogen wurden. Diese Bestimmung sieht gleichfalls eine einmonatige Frist vor. Im Hinblick auf die Gleichartigkeit der beiden zuletzt genannten Bestimmungen ist - mangels ausdrücklicher Regelung im Gesetz - anzunehmen, daß die Frage, ob die Tage des Postenlaufes in die Frist einzurechnen sind oder nicht, in den von der Übergangsregelung des §76a Abs2 Z1 ZDG nF erfaßten Fällen analog zu jener Regelung zu lösen ist, die für die Fälle nach §2 Abs1 Einleitungssatz ZDG nF gilt.

Daraus folgt, daß die Tage des Postenlaufes nicht in die einmonatige Frist iS des §76a Abs2 Z1 ZDG nF einzubeziehen sind (§33 Abs3 AVG).

Der Beschwerdeführer hat die Zivildiensterklärung am 11. April 1994 - sohin noch innerhalb der einmonatigen Frist, die am 11. März 1994 zu laufen begann - zur Post gegeben, also fristgerecht eingebracht.

Ausgehend von einer anderen - verfehlten - Rechtsmeinung kam der BMI der Sache nach zum Ergebnis, daß er über die Zivildiensterklärung nicht (positiv) abzusprechen habe.

Die in der Gegenschrift gegenüber der Begründung des bekämpften Bescheides ausgewechselte Begründung (nunmehr bezieht sich der BMI auf die am 24. März 1994 erfolgte Einberufung des Beschwerdeführers zu einer Kaderübung) ist unbeachtlich (vgl. zB. VfSlg. 12476/1990, S 195).

d) Der Beschwerdeführer wurde also durch den bekämpften Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Der Bescheid war infolgedessen aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.

In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.000 S enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

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