VfGH B1636/93,B1133/94

VfGHB1636/93,B1133/94B1636/93,B1133/9429.9.1994

Keine Bedenken gegen die Regelung der Zustellung durch Hinterlegung bei der Behörde ohne vorhergehenden Zustellversuch bei Unterlassung der Bekanntgabe der Änderung der Abgabestelle im Asylrecht; kein Verstoß gegen die Bedarfskompetenz des Art11 Abs2 B-VG; Abweisung der Wiedereinsetzungsanträge abgewiesener Asylwerber; Zumutbarkeit der Kontaktnahme mit den Asylbehörden

Normen

B-VG Art11 Abs2
ZustG §8 Abs2
AsylG 1991 §19 Abs3
VfGG §33
B-VG Art11 Abs2
ZustG §8 Abs2
AsylG 1991 §19 Abs3
VfGG §33

 

Spruch:

1. Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand werden abgewiesen.

2. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. 1.a) Mit dem zu B1636/93 bekämpften, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 22. März 1993 wies der Bundesminister für Inneres (BMI) den vom Beschwerdeführer (einem iranischen Staatsangehörigen) am 20. April 1990 gestellten Asylantrag ab; der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung aus den in §1 Z1 des Asylgesetzes 1991, BGBl. 8/1992, genannten Gründen zu gewärtigen.

Dieser Berufungsbescheid wurde am 30. April 1993 in Anwendung des §19 Abs3 AsylG 1991 beim Bundesministerium für Inneres hinterlegt. Über Ersuchen des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers wurde dem Rechtsanwalt mit Begleitschreiben vom 31. August 1993 (zugestellt am 2. September 1993) eine Ablichtung des Bescheides übermittelt. In dem Begleitschreiben weist der BMI darauf hin, daß der Bescheid nach den Bestimmungen des §19 Abs3 AsylG 1991 durch Hinterlegung beim Bundesministerium für Inneres am 30. April 1993 rechtswirksam erlassen worden sei.

b) Gegen diesen Bescheid wendet sich die zu B1636/93 erhobene, auf Art144 B-VG gestützte, am 13. September 1993 zur Post gegebene Beschwerde.

Darin werden Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §19 Abs3 AsylG 1991 geltend gemacht. Unter einem wird ein Wiedereinsetzungsantrag gestellt (Näheres s.u.). Der Beschwerdeführer beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides.

c) Der BMI legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und nahm zu den vorgebrachten Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der angewendeten generellen Normen Stellung; von der Erstattung einer formellen Gegenschrift sah er jedoch ab.

2.a) Über die Berufung der zu B1133/94 beschwerdeführenden Partei (eines nigerianischen Staatsangehörigen) erließ der BMI einen mit 25. Feber 1994 datierten Bescheid, dessen Spruch wie folgt lautet:

"Ihr Asylantrag wird gemäß §19 Absatz 1 des Asylgesetzes 1991, BGBl. Nr. 8/1992, abgewiesen."

Der Asylwerber habe am 10. Feber 1994 seine Abgabestelle (§8 Abs1 des Zustellgesetzes, BGBl. 200/1982) geändert, ohne das der Behörde mitzuteilen; trotz Erhebungen habe keine neue Abgabestelle ausfindig gemacht werden können.

Der Bescheid wurde am 2. März 1994 in Anwendung des §19 Abs3 AsylG 1991 beim Bundesministerium für Inneres hinterlegt. Der Beschwerdeführer behauptet, erstmals am 25. Mai 1994 durch Akteneinsicht seines Vertreters tatsächlich Kenntnis vom angefochtenen Bescheid und dessen Inhalt erlangt zu haben.

b) Gegen diesen Bescheid richtet sich die zu B1133/94 protokollierte, am 30. Mai 1994 zur Post gegebene Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen (§19 Abs1 Z2 und §19 Abs3 AsylG 1991) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

Gleichzeitig wird für den Fall, daß der angefochtene Bescheid bereits am 2. März 1994 rechtswirksam zugestellt worden sein sollte, der Antrag gestellt, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Erhebung der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof zu bewilligen.

c) Der BMI legte die bezughabenden Administrativakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

II. 1.a) Beide Beschwerdeführer

stellten einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist. In beiden Fällen wurde der angefochtene Bescheid in Handhabung des §19 Abs3 AsylG 1991 beim Bundesministerium für Inneres hinterlegt. Wenn durch diese Hinterlegung die rechtswirksame Zustellung des jeweils bekämpften Bescheides bewirkt wurde, haben die Beschwerdeführer die sechswöchige Beschwerdefrist (§82 Abs1 VerfGG) versäumt; nur dann wäre über die Wiedereinsetzungsanträge zu entscheiden. §19 Abs3 AsylG 1991 ist also bei Entscheidung über die Wiedereinsetzungsanträge präjudiziell.

b) Diese Vorschrift des AsylG 1991 bestimmt:

"(3) Im Asylverfahren findet §8 Abs2 des Zustellgesetzes, BGBl. Nr. 200/1982, mit der Maßgabe Anwendung, daß ohne vorhergehenden Zustellversuch die Hinterlegung bei der Behörde selbst erfolgt."

Die hier weiters in Betracht zu ziehenden Bestimmungen des Zustellgesetzes, BGBl. 200/1982, lauten:

§23 Abs1 ZustellG:

"§23. (1) Hat die Behörde auf Grund einer gesetzlichen Vorschrift angeordnet, daß eine Sendung ohne vorhergehenden Zustellversuch zu hinterlegen ist, so ist diese sofort beim Postamt, beim Gemeindeamt oder bei der Behörde selbst zur Abholung bereitzuhalten."

§8 ZustellG:

"§8. (1) Eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, hat dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.

(2) Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann."

2.a) Die Beschwerdeführer bringen verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Gesetzesbestimmung vor:

§19 Abs3 AsylG 1991 enthalte eine vom ZustellG abweichende Regelung; die Abweichung sei nicht i.S. des Art11 Abs2 B-VG zur Regelung des Gegenstandes erforderlich. Außerdem verletze diese Bestimmung des AsylG 1991 das durch Art6 EMRK gewährleistete Recht auf ein faires Verfahren.

b) Der BMI verteidigt die Verfassungskonformität des §19 Abs3 AsylG mit folgenden Argumenten:

Art6 EMRK sei auf das gesamte Asylverfahren unanwendbar.

Die vom AVG und vom ZustellG, BGBl. 200/1982, abweichenden Regelungen seien notwendig:

"Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigten, daß ein Drittel der Asylwerber während ihres Verfahrens Österreich verließen und keinerlei Kontakt mehr zur Behörde aufnahmen. Angesichts eines solchen Massenphänomens - immerhin geht es hier um zehntausende Fälle - ist eine Regelung im Asylverfahrensrecht unverzichtbar, die den Abschluß des Verfahrens auch in einem solchen Fall zuläßt.

Aus diesem Grund trifft das österreichische Asylgesetz - so wie zahlreiche andere europäische Asylrechte auch - die in der Beschwerde angesprochene Regelung, zu der es auch keine sinnvolle Alternative gibt."

Das Bundesasylamt werde in ArtII EGVG nicht erwähnt; das Asylverfahren werde daher vom Vereinheitlichungsgebot des Art11 Abs2 B-VG gar nicht erfaßt.

§19 Abs3 AsylG 1991 stelle nur eine Spezifizierung des §8 Abs2 ZustellG, jedoch keine Abweichung von dieser Norm dar. Im übrigen sei die Regelung aus den bereits erwähnten Überlegungen notwendig.

c) Der Verfassungsgerichtshof hegt unter dem Gesichtspunkt der vorliegenden Beschwerden ob der Verfassungsmäßigkeit des §19 Abs3 AsylG 1991 keine Bedenken:

aa) Das Asylverfahren wird von Art6 EMRK nicht erfaßt. Beim Asylrecht handelt es sich um kein "civil right" i.S. dieser auf Verfassungsstufe stehenden Konventionsnorm (vgl. hiezu zB die grundsätzlichen Ausführungen in VfSlg. 11500/1987). Die von der gegenteiligen Prämisse ausgehenden Beschwerdeausführungen gehen daher ins Leere.

bb) §8 Abs2 ZustellG legt die Rechtsfolgen für den Fall fest, daß die im vorangehenden Abs1 normierte Pflicht, den Wechsel der Abgabestelle der Behörde unverzüglich zu melden, verletzt wurde. Diese Regelung der Rechtsfolgen soll aber der ausdrücklichen Anordnung des §8 Abs2 ZustellG zufolge nur dann gelten, wenn nicht die die einzelnen Gebiete der Verwaltung regelnden Gesetze anderes vorsehen. Daraus ergibt sich, daß der Normsetzer des Zustellgesetzes (dessen kompetenzrechtliche Grundlage - soweit es von Verwaltungsbehörden zu vollziehen ist - Art11 Abs2 B-VG ist) hinsichtlich der im §8 Abs2 ZustellG behandelten Frage kein Bedürfnis nach Erlassung einer einheitlichen Vorschrift iS des Art11 Abs2 B-VG gesehen hat.

§8 Abs2 ZustellG ist also eine bloß subsidiär anzuwendende Bestimmung, die die Regelungsbefugnis der auf den einzelnen Gebieten der Verwaltung tätigen Normsetzer nicht auf die im Art11 Abs2 B-VG vorgesehene Weise beschränkt (vgl. Walter-Mayer, Das österreichische Zustellrecht, Wien 1983, Anm. 10 zu §8 ZustellG).

§19 Abs3 AsylG 1991 kann daher nicht im Widerspruch zu Art11 Abs2 B-VG stehen.

cc) Der Verfassungsgerichshof hegt unter dem Gesichtspunkt der vorliegenden Beschwerdefälle gegen §19 Abs3 AsylG 1991 auch keine anderen verfassungsrechtlichen Bedenken und sieht sich daher nicht veranlaßt, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Gesetzesbestimmung einzuleiten.

3.a) Wie sich aus der obigen Sachverhaltsschilderung (I.1.a und I.2.a) ergibt, wurden die angefochtenen Bescheide durch Hinterlegung beim Bundesministerium für Inneres gemäß dem - verfassungsrechtlich unbedenklichen (s.o. II.2.c) - §19 Abs3 AsylG 1991 rechtswirksam zugestellt und damit erlassen. Die dagegen erhobenen Verfassungsgerichtshofbeschwerden wurden erst nach Ablauf der sechswöchigen Beschwerdefrist (§82 Abs1 VerfGG) zur Post gegeben.

Die gleichzeitig mit den Beschwerden - fristgerecht (§§33 und 35 Abs1 VerfGG iVm. §148 Abs2 ZPO) - gestellten Anträge, gegen die Versäumung der Beschwerdefrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, werden damit begründet, daß die Beschwerdeführer ohne ihr Verschulden daran gehindert worden seien, die Beschwerdefrist zu wahren, da ihnen die zustellrechtlichen Vorschriften nicht bekannt (gewesen) seien.

b) Einem Wiedereinsetzungsantrag ist nach §146 Abs1 ZPO iVm §§33 und 35 Abs1 VerfGG nur stattzugeben, wenn "eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, daß sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - ... an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde".

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor:

Es wäre den Beschwerdeführern zumutbar gewesen, sich um den Fortgang der aufgrund ihrer Asylanträge eingeleiteten Verfahren (deren Ausgang für sie - sofern ihre Behauptungen zutreffen - von existenzieller Bedeutung war) zu kümmern. Auch wenn ihnen die Details der hier maßgebenden Rechtsgrundlagen (so hinsichtlich des §19 Abs3 AsylG 1991) nicht bekannt gewesen sein mögen, war es doch eine Selbstverständlichkeit, daß der entsprechende Kontakt mit den Asylbehörden zu nehmen gewesen wäre.

In den Anträgen wird nicht behauptet, daß die Beschwerdeführer unverschuldet durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an dieser Kontaktnahme gehindert gewesen wären.

Die Wiedereinsetzungsanträge waren daher abzuweisen.

4. Dies konnte gemäß §33 letzter Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

III. 1. Wie dargetan, wurden die Beschwerden jeweils erst nach Ablauf der sechswöchigen Beschwerdefrist (die mit der gemäß §19 Abs3 AsylG 1991 erfolgten Hinterlegung der Bescheide bei der Behörde begann) eingebracht.

Sie waren daher als verspätet zurückzuweisen.

2. Dieser Beschluß konnte nach §19 Abs3 Z2 litb VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.

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