Normen
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall
BG über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften §11 Abs1 Z1, Z2
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall
BG über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften §11 Abs1 Z1, Z2
Spruch:
Die beschwerdeführende Bekenntnisgemeinschaft ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Der Bund (Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur) ist schuldig, der beschwerdeführenden Bekenntnisgemeinschaft zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Bescheid der Bundesministerin für Unterricht, Kunst
und Kultur vom 16. November 2009 wurde der Antrag der beschwerdeführenden Bekenntnisgemeinschaft, den Bestand der Mennonitischen Freikirche Österreich als gesetzlich anerkannte Kirche im Sinne des Gesetzes vom 20. Mai 1874, betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften (im Folgenden: AnerkennungsG) - allenfalls mit Verordnung - festzustellen, in eventu die gesetzliche Anerkennung der staatlich eingetragenen religiösen Bekenntnisgemeinschaft Mennonitische Freikirche Österreich als Religionsgesellschaft nach §2 AnerkennungsG iVm §11 Abs1 des Bundesgesetzes über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften (im Folgenden: BekGG) auszusprechen, gemäß §11 Abs1 Z1 und Z2 BekGG abgewiesen.
Die Abweisung des Antrags wurde - wenngleich der Schwerpunkt der Bescheidbegründung auf der Höhe der Mitgliederanzahl iSd §11 Abs1 Z2 BekGG liegt - unter anderem auch darauf gestützt, dass der nach §11 Abs1 Z1 BekGG erforderliche Zeitraum des Bestandes der Religionsgemeinschaft als religiöse Bekenntnisgemeinschaft von zehn Jahren noch nicht verstrichen sei, da die Mennonitische Freikirche Österreich erst mit Bescheid vom 30. Juli 2001 die Rechtspersönlichkeit einer religiösen Bekenntnisgemeinschaft im Sinne des BekGG erworben habe.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Religionsfreiheit nach Art9 iVm Art11 und14 EMRK gerügt und die amtswegige Einleitung eines Prüfungsverfahrens hinsichtlich des §11 Abs1 Z1 und Z2 BekGG angeregt wird.
Die beschwerdeführende Bekenntnisgemeinschaft bringt insbesondere vor, dass die Koptisch-Orthodoxe Kirche mangels Erfüllung der Voraussetzungen nach §11 Abs1 Z1 und Z2 BekGG im Jahr 2003 durch das Orientalisch-Orthodoxe Kirchengesetz, BGBl. I 20/2003, anerkannt worden sei. Auch bei einigen anderen gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften, wie der Altkatholischen Kirche und der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft, sei kein bestimmter Beobachtungszeitraum vor der Anerkennung abgewartet worden. Außerdem sei vor Erlassung des BekGG die Rechtsgrundlage für gesetzlich nicht anerkannte Kirchen und Religionsgesellschaften unklar gewesen und konnten lediglich "Hilfsvereine" zur Unterstützung nicht anerkannter Religionsgemeinschaften gegründet werden. Dieser "unsichere Rechtszustand" könne nicht "zu Lasten jener gesetzlich nicht anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften gehen, die schon eine lange Tradition in Österreich", wie etwa die beschwerdeführende Bekenntnisgemeinschaft selbst, hätten.
Zur Erläuterung der Entwicklungsgeschichte der Mennonitischen Freikirche Österreich führt die beschwerdeführende Bekenntnisgemeinschaft aus, dass die Mennoniten seit 1772 als Ortsgemeinde sowie als Kirche und Religionsgemeinschaft in Österreich bestehen. Im Jahre 1908 habe der Minister für Kultus und Unterricht das Statut der Christlich Mennonitischen Gemeinde in Kiernica-Lemberg anerkannt; in den 1960er Jahren sei ein Hilfsverein für die Förderung der Mennonitischen Freikirchen gegründet worden. Angesichts des langen Bestands der Mennonitischen Freikirche Österreich und im Lichte der Rechtsprechung des EGMR, insbesondere des Erkenntnisses im Fall der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas, verstoße das Erfordernis eines zehnjährigen Beobachtungszeitraums gegen den Gleichheitsgrundsatz sowie gegen die "religiöse Neutralität des Staates in Ansehung von Kirchen und Religionsgesellschaften".
Auch die Bestimmung des §11 Abs1 Z2 BekGG verstoße gegen die Religionsfreiheit und den Gleichheitsgrundsatz, da die Voraussetzung einer Mitgliederanzahl von 2 vT der Bevölkerung Österreichs nach der letzten Volkszählung wesentlich zu hoch festgelegt sei und derzeit nur von wenigen Kirchen und Religionsgesellschaften erfüllt werde.
3. Die belangte Behörde hat im Gefolge der ihr am 19. Jänner 2010 zugestellten Aufforderung nach Ablauf der Frist mit Schreiben vom 13. September 2010 die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Aus Anlass des Verfahrens über die vorliegende Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 B-VG mit Beschluss vom 16. Juni 2010 von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §11 Abs1 Z1 BekGG ein. Mit Erkenntnis vom 25. September 2010, G58/10, G59/10, hob er in dieser Gesetzesbestimmung die Wortfolge "als Religionsgemeinschaft durch mindestens 20 Jahre, davon mindestens 10 Jahre" als verfassungswidrig auf.
2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG ist eine vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Bestimmung eines Gesetzes im Anlassfall nicht mehr anzuwenden. Da für den Verfassungsgerichtshof für den Anlassfall die Aufhebung sofort wirksam wird, hat der Verfassungsgerichtshof daher den bekämpften Bescheid so zu beurteilen, als ob im Zeitpunkt seiner Erlassung die Wortfolge "als Religionsgemeinschaft durch mindestens 20 Jahre, davon mindestens 10 Jahre" in §11 Abs1 Z1 BekGG nicht gegolten hätte.
3. Der angefochtene Bescheid stützt sich jedoch nicht nur auf §11 Abs1 Z1 BekGG, sondern auch auf die Bestimmung des §11 Abs1 Z2 BekGG, gegen die keine Bedenken ob ihrer Verfassungsmäßigkeit bestehen (VfGH 16.12.2009, B516/09). Mangels Erfüllung der in §11 Abs1 Z2 BekGG vorgesehenen Voraussetzung ist es daher auch nach der durch das Erkenntnis vom 25. September 2010, G58/10, G59/10, bereinigten Rechtslage ausgeschlossen, dass ein Rechtsanspruch auf die - auf das AnerkennungsG iVm §11 BekGG gestützte - Anerkennung als gesetzlich anerkannte Religionsgesellschaft besteht. Demgemäß hätte die belangte Behörde auch dann zur Abweisung des Antrags gelangen müssen, wenn die aufgehobene Wortfolge in §11 Abs1 Z1 BekGG bereits zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung nicht mehr dem Rechtsbestand angehört hätte.
4. Die beschwerdeführende Bekenntnisgemeinschaft wurde auch nicht in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Religionsfreiheit sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt, da keine verfassungsrechtlich relevanten Vollzugsfehler der belangten Behörde ersichtlich sind.
Demnach ist die beschwerdeführende Bekenntnisgemeinschaft durch den angefochtenen Bescheid weder wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten noch in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden.
III. 1. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte bzw. von Rechten durch die Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung hat sohin nicht stattgefunden.
Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass die beschwerdeführende Bekenntnisgemeinschaft in von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.
Die Beschwerde ist daher abzuweisen.
2. Da die Beschwerde jedoch insofern Erfolg hatte, als sie zur teilweisen Aufhebung einer im Beschwerdefall präjudiziellen Gesetzesbestimmung, nämlich der Wortfolge "als Religionsgemeinschaft durch mindestens 20 Jahre, davon mindestens 10 Jahre" in §11 Abs1 Z1 BekGG, geführt hat, ist der beschwerdeführenden Bekenntnisgemeinschaft nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 16.200/2001 mwN) der Ersatz der Kosten der Beschwerde zuzusprechen. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,-- enthalten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)