VfGH B1575/98

VfGHB1575/9810.6.1999

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen unerlaubten Aufenthalts im Inland nach bescheidmäßig verfügter Ausweisung; keine Rechtswirkung des Ausweisungsbescheides aufgrund Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verfassungsgerichtshof; keine Zulässigkeit von auf diesen Bescheid gestützten Sanktionen

Normen

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
FremdenG §17
FremdenG §82
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
FremdenG §17
FremdenG §82

 

Spruch:

1. Dem Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe in Form der Gebührenbefreiung wird stattgegeben.

2. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 27.000,-- bestimmten Kosten des verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Berufungsbescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg (im folgenden: UVS) vom 30. Juni 1998 wurde der Beschwerdeführer - ein türkischer Staatsangehöriger - für schuldig erkannt, dadurch eine Übertretung des §82 Abs1 Z1 Fremdengesetz, BGBl. 838/1992 (im folgenden: FrG 1992), begangen zu haben, daß er "trotz der am 23.5.1997 von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg mit Bescheid verfügten Ausweisung (zugestellt am 17.6.1997) nicht spätestens ab dem 2.7.1997 ausgereist" sei und sich "bis zum 22.7.1997 weiterhin im Bundesgebiet aufgehalten" habe; es wurde eine Strafe von S 500,--, im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 12 Stunden, ausgesprochen.

2. Gegen diesen Berufungsbescheid des UVS richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

3. Der UVS als belangte Behörde dieses verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

II. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Verfahrenshilfe in Form der Gebührenbefreiung liegen vor; die Verfahrenshilfe war deshalb im beantragten Umfang zu gewähren.

III. Der Verfassungsgerichtshof

hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

Die Beschwerde ist im Ergebnis begründet; der angefochtene Bescheid verletzt den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, weil (objektive) Willkür in der Beurteilung jener Rechtswirkungen vorliegt, die mit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verfassungsgerichtshof in einem weiteren, denselben Beschwerdeführer betreffenden Beschwerdeverfahren verbunden sind (vgl. VfSlg. 14996/1997 unter Berufung auf

VfSlg. 13836/1994, 14191/1995, 14369/1995, 14393/1995).

1. Die Bezirkshauptmannschaft Bregenz hatte den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 25. März 1997 gemäß §17 Abs1 FrG 1992 ausgewiesen. Mit Berufungsbescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 23. Mai 1997, Zl. Frb-425Ob-8/97, wurde der dagegen erhobenen Berufung keine Folge gegeben und es wurde der erstinstanzliche Ausweisungsbescheid bestätigt; dieser Bescheid wurde dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 17. Juni 1997 zugestellt. Gegen den Berufungsbescheid erhob der Beschwerdeführer gemäß Art144 Abs1 B-VG Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (protokolliert zu B1512/97). Dem in der Beschwerde gestellten Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gab der Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 23. Juli 1997 Folge.

2. Die belangte Behörde begründet ihre Auffassung von der Strafbarkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers ab dem Zeitpunkt von zwei Wochen nach Ergehen des letztinstanzlichen Bescheides, also ab dem 2. Juli 1997, bis zum 22. Juli 1997, also bis zur Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 23. Juli 1997 damit, gemäß §22 Abs1, erster Satz, FrG 1992 werde die Ausweisung gemäß §17 Abs1 FrG und das Aufenthaltsverbot mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar; der Fremde habe dann unverzüglich auszureisen. Der Beschwerdeführer habe nicht in Abrede gestellt, daß er im Tatzeitraum entgegen der rechtskräftigen Ausweisung nicht aus dem Bundesgebiet ausgereist sei. Schon allein mit diesem Verhalten habe er das Tatbild der ihm zur Last gelegten Übertretung in objektiver Hinsicht erfüllt. Der Vorwurf, daß er zwischen der Zustellung des Berufungsbescheides im Ausweisungsverfahren und der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht ausgereist sei, bestehe zu Recht. Das Rechtsinstitut der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung diene der Wirksamkeit der Rechtsschutzfunktion der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, weil damit die Möglichkeit geschaffen werde, zu verhindern, daß ein angefochtener Bescheid während des Beschwerdeverfahrens vollstreckt werden könne. Die Rechtswirkungen der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung träten jedoch erst mit dem Zeitpunkt der Beschlußfassung bzw. Zustellung des betreffenden Beschlusses durch ein Höchstgericht ein, weshalb erst zu diesem Zeitpunkt die Umsetzung des angefochtenen Bescheides zum Nachteil eines Beschwerdeführers gehindert werde; die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wirke insoferne "nur" pro futuro. Hier sei der betreffende Beschluß des Verfassungsgerichtshofes erst am 23. Juli 1997, somit nach Ablauf des Tatzeitraumes, gefaßt worden. Mit diesem Beschluß sei nicht rückwirkend die behördlich verfügte Verpflichtung zur Ausreise beseitigt worden. Ein Widerspruch dieser Auslegung mit Art8 EMRK sei nicht ersichtlich; die durch diese Verfassungsbestimmung geschützten Interessen seien im Ausweisungsverfahren, nicht jedoch im Verwaltungsstrafverfahren zu beurteilen. Die vom Beschuldigten vorgenommene Auslegung, wonach er infolge der Anrufung des Verfassungsgerichtshofes weiterhin im Bundesgebiet bleiben dürfe, könnte ihn nur dann entschuldigen, wenn die betreffende irrige Beurteilung des Rechtsinstituts der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung unverschuldet wäre. Insoferne könne aber ein Schuldausschließungsgrund nicht angenommen werden, weil es Aufgabe des Beschuldigten gewesen wäre, sich mit den einschlägigen Vorschriften vertraut zu machen und im Zweifel bei der Behörde anzufragen.

3. Damit verkennt die belangte Behörde grundlegend die Wirkungen des Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes vom 23. Juli 1997, mit welchem der Beschwerde gegen die Ausweisung die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde. Gewiß können, wie der angefochtene Bescheid insoweit zutreffend ausführt, die Rechtswirkungen der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung erst mit Ergehen eines diesbezüglichen höchstgerichtlichen Beschlusses und niemals vorher, und sie können insoferne notwendigerweise nur "pro futuro" eintreten. Die Frage ist indes, welche Wirkungen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach sich zieht. Die Berufungsbehörde hatte aufgrund der Sach- und Rechtslage zu entscheiden, die sich ihr im Entscheidungszeitpunkt bot, also am 9. Juli 1998, dem Zeitpunkt der Zustellung ihres Berufungsbescheides an den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers. Sie hatte also den Umstand zu berücksichtigen, daß der Verfassungsgerichtshof (schon) im Juli 1997 dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren gegen den Ausweisungsbescheid Folge gegeben hatte. Das bedeutet, daß der Ausweisungsbescheid vorläufig keine Rechtswirkungen zu äußern vermochte (vgl. VfSlg. 6215/1970). Mit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verfassungsgerichtshof im Beschwerdeverfahren über den Ausweisungsbescheid wurde der Eintritt der Rechtswirkungen insgesamt hinausgeschoben; dieser Bescheid vermochte also vorläufig überhaupt keine Rechtswirkungen zu entfalten. Aufgrund der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verfassungsgerichtshof hatten bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über die Beschwerde im Ausweisungsverfahren alle Maßnahmen, die sonst aufgrund des Ausweisungsbescheides zulässig waren, zu unterbleiben (VfSlg. 14448/1996 betreffend Asylverfahren), also auch die Bestrafung des Beschwerdeführers wegen unerlaubten Aufenthaltes im Bundesgebiet.

Das bedeutet aber nicht etwa, daß nach Beendigung des Beschwerdeverfahrens zu B1512/97 mit Zustellung des diesbezüglichen Nichtbehandlungsbeschlusses vom 30. September 1997 am 27. Oktober 1997 an den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers im nachhinein die Strafbarkeit des Beschwerdeführers ganz oder teilweise wieder aufgelebt wäre. Vielmehr können mit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren auch Wirkungen verbunden sein, die nach Beendigung desselben weiterhin zu beachten sind. Im vorliegenden Fall bewirkte die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verfassungsgerichtshof u.a. auch, daß für das Verhalten, das bis zur Beendigung des verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens über die zu B1512/97 protokollierte Beschwerde gegen den zweitinstanzlichen Ausweisungsbescheid gesetzt wurde, eine darauf gestützte verwaltungsrechtliche Bestrafung des Beschwerdeführers ausgeschlossen sein sollte. Ab Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durften auf den angefochtenen Bescheid keine Sanktionen mehr gestützt werden. Jede andere Rechtsauffassung würde in der Tat, wie die Beschwerde zutreffend darstellt, dazu führen, daß der Fremde die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im Ausland hätte abwarten müssen, um eine Verwaltungsstrafe abzuwenden; daß diese Auffassung verfehlt ist, liegt auf der Hand. Sie ist mit dem durch das B-VG vorgezeichneten Rechtsschutzsystem nicht vereinbar; dieses verbietet es, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen Entscheidung der Behörde zu belasten (s. zB VfSlg. 11196/1986, 12683/1991, 13003/1992, 13305/1992, 14374/1995, 14548/1996, 14671/1996, 14765/1997).

Indem die belangte Behörde dies verkannte, verletzte sie den Beschwerdeführer im einleitend genannten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht; der bekämpfte Bescheid war deshalb aufzuheben.

IV. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG 1953. Der Pauschalbetrag von

S 2.500,-- war nicht zuzusprechen, da er nur für den Fall beantragt war, daß die begehrte Gebührenbefreiung nicht gewährt würde (diese wurde aber gewährt). Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von S 4.500,-- enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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