VfGH B1559/06

VfGHB1559/0624.9.2007

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch rechtswidrige Zurückweisung der Berufung gegen eine als Bescheid zu qualifizierende Erledigung eines Gerichtspräsidenten über die Genehmigung einer (bloß) internen Supervision für einen Justizwachebeamten

Normen

B-VG Art83 Abs2
AVG §58
B-VG Art83 Abs2
AVG §58

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für Justiz) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.340,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer - ein Justizwachebeamter der Justizanstalt Graz-Jakomini - beantragte am 17. Oktober 2005 beim Präsidenten des Oberlandesgerichtes Graz (als Dienstbehörde I. Instanz) die Gewährung einer Supervision durch einen bestimmten externen Supervisor.

2. Mit Schreiben vom 13. Jänner 2006 teilte der Präsident des Oberlandesgerichtes Graz dem Leiter der Justizanstalt Graz-Jakomini mit, dass die Durchführung einer Einzelsupervision durch einen internen Supervisor im Ausmaß von bis zu 20 Supervisionseinheiten für das Kalenderjahr 2006 bewilligt werde und ersuchte den Leiter der Justizanstalt, den Beschwerdeführer hievon in Kenntnis zu setzen.

3. Daraufhin beantragte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 24. Jänner 2006 die Ausstellung einer bescheidmäßigen Ausfertigung dieser Entscheidung. In der Folge wurde ihm folgende - mit "Der Präsident des Oberlandesgerichtes Graz" überschriebene - Erledigung zugestellt:

"GZ: [...]

An Herrn

Major M. U.

Graz - Jakomini

Betrifft: Supervision

Auf Grund Ihres Ansuchens vom 17.10.2005 und des Berichtes des Leiters der Justizanstalt Graz-Jakomini vom 14.11.2005 wird Ihnen Supervision durch einen internen Supervisor im Ausmaß von bis zu 20 Einheiten für das Kalenderjahr 2006 bewilligt. Diese Bewilligung gründet sich auf den Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 13.9.2005, BMJ-G22000/0003-III 2/2005.

Begründung

Am 17.10.2005 beantragte Major M. U., ihm Supervision durch einen externen Supervisior in der Person des Mag. J. S. zu bewilligen. Er legte ein Schreiben der österreichischen Vereinigung für Supervision vom Dezember 2001 vor, wonach Mag. J. S. als Supervisior anerkannt ist, sowie ein Diplom lautend auf Mag. J. S. über die Ausbildung in einem Coaching-Kurs.

Nach dem im Spruch genannten Erlass des Bundesministeriums für Justiz erfolgt die Entscheidung über die Bewilligung der Supervision für Strafvollzugsbedienstete durch die Dienstbehörde I. Instanz im eigenen Wirkungsbereich über begründeten Antrag des Bediensteten. Eine Stellungnahme des Dienststellenleiters ist zu erstatten.

Als Supervisioren können Strafvollzugsbedienstete, die ausgebildete Sozialarbeiter oder Psychotherapeuten sind und seit mindestens 5 Jahren als solche tätig sind, herangezogen werden.

Nach dem Bericht des Leiters der Justizanstalt Graz-Jakomini ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass eine Supervision durch einen derartigen internen Supervisior zu bevorzugen ist, dieser verfügt über Kenntnisse der Struktur, der Organisation und der internen Arbeitsabläufe, sodass für Major M. U. eine effiziente Beratung möglich ist. Nach dem Bericht des Anstaltsleiters besteht Verbesserungsbedarf hinsichtlich der von Major M. U. in der Vergangenheit geleisteten Führungsarbeit, was ebenso durch einen internen Supervisior besser erreicht werden kann. Da die Supervision im vorliegenden Fall für den Antragsteller besondere Bedeutung für die Qualität seiner weiteren Tätigkeit als Bereichsleiter in der Justizanstalt Graz-Jakomini hat, war einem internen Supervisior der Vorzug zu geben, wobei darauf hinzuweisen ist, dass dieser Supervisior nicht der selben Dienststelle wie der antragstellende Bedienstete angehören soll.

Bei diesem Sachverhalt und unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Erwägungen (interne Supervisioren sind billiger) war dem Bediensteten die interne Supervision zu bewilligen.

Für den Präsidenten:

Mag. O."

4. Die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid der Bundesministerin für Justiz mangels Bescheidqualität der bekämpften Erledigung als unzulässig zurückgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Schreiben vom 10. Februar 2006 als Mitteilung über die Gründe der Entscheidungsfindung und nicht als Bescheid zu qualifizieren sei, weil die Erledigung entgegen den Anforderungen nach §58 AVG weder als Bescheid bezeichnet sei noch eine Rechtsmittelbelehrung beinhalte. Auch mit Blick auf den Inhalt der Enunziation liege kein rechtsgestaltender oder rechtsfeststellender Verwaltungsakt vor; es bestehe kein subjektives Recht des Beschwerdeführers auf Gewährung von Supervision.

5. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

6. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den angefochtenen Bescheid verteidigt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der Beschwerdeführer wurde im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

2. Dieses Recht wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde ua. dann verletzt, wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 16.079/2001, 16.737/2002 und VfGH 11.6.2007, B931/06).

Die belangte Behörde hat zu Unrecht den Bescheidcharakter der Enunziation verneint und die Berufung in rechtswidriger Weise als unzulässig zurückgewiesen:

Für den Bescheidcharakter einer behördlichen Erledigung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 11.415/1987, 12.574/1990; VfGH 25.9.2006, B948/05) nicht nur die äußere Form, sondern auch der Inhalt maßgebend; eine Erledigung, die nicht die Form eines Bescheides aufweist, ist auch dann als Bescheid zu werten, wenn sie nach ihrem deutlich erkennbaren objektiven Gehalt eine Verwaltungsangelegenheit gegenüber individuell bestimmten Personen in einer der Rechtskraft fähigen Weise normativ regelt, also für den Einzelfall Rechte oder Rechtsverhältnisse bindend gestaltet oder feststellt (vgl. VfSlg. 16.433/2002, 16.859/2003, 17.549/2005 und 17.569/2005).

Die an den Beschwerdeführer gerichtete Erledigung vom 10. Februar 2006 ist zwar nicht ausdrücklich als Bescheid bezeichnet, aber in Spruch und Begründung gegliedert. Die Erledigung stammt auch - wie der Kopf und die Fertigungsklausel erkennen lassen - von der zuständigen Dienstbehörde erster Instanz, nämlich vom Präsidenten des Oberlandesgerichtes Graz, und ist eigenhändig von einem Organwalter unterfertigt. Aus der Enunziation geht überdies deutlich der objektiv erkennbare Wille der erstinstanzlichen Behörde hervor, verbindlich über den Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung einer Supervision abzusprechen; sie stellt sich somit ihrem Inhalt nach als normativer Abspruch rechtsgestaltender Art dar.

Die in Rede stehende Erledigung ist daher als Bescheid zu qualifizieren.

Die belangte Behörde wäre demgemäß verpflichtet gewesen, als zuständige Berufungs- und oberste Dienstbehörde meritorisch über die Berufung gegen die (als Bescheid zu beurteilende) Erledigung des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Graz vom 10. Februar 2006 zu entscheiden; sie hätte die Berufung sohin nicht als unzulässig zurückweisen dürfen.

Indem die belangte Behörde dem Beschwerdeführer zu Unrecht die Sachentscheidung verweigert hat, hat sie ihn im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 360,-- sowie eine Eingabengebühr in Höhe von € 180,-- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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