B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
Spruch:
Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Wien ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.556,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Eingabe vom 20. August 2002 beantragte die vor dem Verfassungsgerichtshof mitbeteiligte Partei N-AG die Bewilligung zum Ausbau eines Dachgeschoßes in Wien 3., Rechte Bahngasse 14. Mit Anordnung vom 18. September 2002 beraumte der Magistrat der Stadt Wien eine mündliche Verhandlung für den 16. Oktober 2002 an. Zu dieser Verhandlung wurden nicht alle Miteigentümer der an die Liegenschaft der Bauwerber angrenzenden Liegenschaft Wien 3., Rechte Bahngasse 12 geladen. Wie die Erhebungen der Baubehörde ergaben, war im Lageplan - entgegen der Verpflichtung gemäß §64 Abs1 lita WBO, die Namen aller Eigentümer der benachbarten Liegenschaften einzutragen - Frau K. zu Unrecht als alleinige Grundeigentümerin dieser Liegenschaft angeführt. Der Magistrat der Stadt Wien überprüfte die Angaben des Bauwerbers nicht, lud zur mündlichen Bauverhandlung nur die im Lageplan ausgewiesenen Nachbarn und erteilte mit Bescheid vom 16. April 2003 gemäß §70 der Bauordnung für Wien (WBO) in Verbindung mit §68 Abs1, Abs5 und Abs7 sowie §69 Abs8 und in Anwendung des Wiener Garagengesetzes die Baubewilligung für den Ausbau des Dachgeschoßes. Mit Eingabe vom 18. September 2003 ersuchten |bergangene Nachbarn - darunter die nunmehrigen Beschwerdeführer - um Zustellung des Baubewilligungsbescheides. Mit Eingabe vom 16. Oktober 2003, dem Magistrat am 22. Oktober 2003 übergeben, erhoben sie gegen den Baubewilligungsbescheid Berufung.
2. Mit Bescheid vom 30. Juni 2004 wies die belangte Behörde die Berufungen gemäß §66 Abs4 AVG als unzulässig zurück. In der Begründung des Bescheides hielt die belangte Behörde zunächst fest, dass die Berufungswerber als Miteigentümer der Liegenschaft und des Hauses in Wien 3., Rechte Bahngasse 12 Eigentümer einer benachbarten Liegenschaft im Sinne des §134 Abs3 WBO seien. Es treffe zu, dass die Berufungswerber hinsichtlich des beantragten Bauvorhabens betreffend den Dachgeschoßausbau und Aufzugseinbau im erstinstanzlichen Bewilligungsverfahren zu der mündlichen Verhandlung vom 16. Dezember (sic!) 2002 nicht geladen wurden. Den Berufungswerbern sei es somit verwehrt gewesen, im Sinne des §134 Abs3 WBO bei dieser mündlichen Verhandlung vom 16. Dezember 2002 Einwendungen wegen der Verletzung subjektiv-öffentlicher Nachbarrechte im Sinne des §134a WBO gegen das eingereichte Bauvorhaben zu erheben und damit Parteistellung nach §134 Abs3 WBO zu erlangen.
Für einen solchen Fall - Unterbleiben der Ladung zu der mündlichen Verhandlung im Baubewilligungsverfahren - sehe nun die Bestimmung des §134 Abs4 WBO vor, dass der Nachbar, wenn er der Behörde nachweist, dass er ohne sein Verschulden daran gehindert war, die Parteistellung nach §134 Abs3 WBO zu erlangen, seine Einwendungen im Sinne des §134a WBO gegen die Bauführung auch nach dem Abschluss der mündlichen Verhandlung bis längstens drei Monate nach dem angezeigten Baubeginn (§124 Abs2 WBO) vorbringen könne und von diesem Zeitpunkt des Vorbringens dieser Einwendungen an Partei sei. Eine spätere Erlangung der Parteistellung (§134 Abs3 WBO) sei nach dieser Bestimmung des §134 Abs4 WBO ausgeschlossen.
Bei der Bestimmung des §134 Abs3 WBO hätte der Gesetzgeber zwischen der Rechtssicherheit betreffend den Bestand einer Baubewilligung und der Wahrnehmung von Nachbarrechten abzuwägen gehabt. Die Grenze von drei Monaten nach angezeigtem Baubeginn sei eine absolute, es sei irrelevant, aus welchen Gründen die Einwendungen nicht schon vorgebracht worden seien. Eigentum verpflichte im Interesse anderer somit auch, dafür Vorsorge zu treffen, dass bei längerer Abwesenheit ein Vertreter die entsprechenden Rechte und Pflichten wahrnimmt oder zumindest für eine Verständigung des Eigentümers sorgt.
Im vorliegenden Fall sei der Baubeginn bereits am 29. April 2003 angezeigt worden; nach der Aktenlage sei auch tatsächlich mit dem Bau begonnen worden. Demnach wäre der spätest mögliche Zeitpunkt für das Vorbringen von Einwendungen, um noch Parteistellung zu erlangen, der 29. Juli 2003 gewesen. Selbst wenn man das Vorbringen der Beschwerdeführer vom 18. September 2003 als Einwendungen im Sinne des §134a WBO ansieht, so sei diese Einwendung genauso nach Ablauf der Dreimonatsfrist gemäß §134 Abs3 [gemeint wohl: 4] WBO wie die Einbringung der Berufung am 22. Oktober 2003 erfolgt.
Es sei daher keine inhaltliche Auseinandersetzung mit den in der Berufung vorgebrachten Einwendungen gegen das Bauvorhaben möglich und somit spruchgemäß zu entscheiden gewesen. Bemerkt werde, dass nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch dadurch, dass eine Person zu Unrecht als Partei behandelt wird, keine Parteistellung begründet wird.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, die u.a. die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt.
§134 Abs4 vorletzter Satz WBO ermögliche es jeder Behörde durch Nachlässigkeit und jedem Bauführer durch Verzögerung des Baubeginns nach erfolgter Baubeginnsanzeige, die Parteistellung von nicht verständigten potentiellen Parteien zu verhindern.
4. Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Argumenten der Beschwerdeführer entgegen tritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §134 Abs4 der Bauordnung für Wien, LGBl. 11/1930 idF der Novelle LGBl. 61/1998, ein. Mit Erkenntnis vom 2. Oktober 2007, G4/07, hob er die geprüfte Bestimmung als verfassungswidrig auf.
III. Die Beschwerde ist begründet.
Die belangte Behörde hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war.
Die Beschwerdeführer wurden also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.404/1985).
Der Bescheid war daher aufzuheben.
IV. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 180,-, Umsatzsteuer in der Höhe von € 396,- sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 180,- enthalten.
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