VfGH B114/02

VfGHB114/0224.9.2002

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Arzt wegen aufdringlicher und marktschreierischer Werbung durch eine Plakatserie, im Hinblick auf deren durch das äußere Ausmaß hervorgerufene Auffälligkeit; keine seriöse Sachinformation

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs2
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
EMRK Art10
ÄrzteG 1984 §25
ÄrzteG 1998 §53
Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" der Österreichischen Ärztekammer Art3
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs2
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
EMRK Art10
ÄrzteG 1984 §25
ÄrzteG 1998 §53
Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" der Österreichischen Ärztekammer Art3

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist Arzt und - gemeinsam mit seiner Gattin B. F. - geschäftsführender Gesellschafter der "Dr. W. F. GesmbH", die in Wien das "Institut für Sterilitätsbetreuung" als Krankenanstalt nach dem Krankenanstaltengesetz betreibt. Aufgrund der internen Aufgabenverteilung obliegen die Bereiche Werbung und Marketing der Geschäftsführerin B. F.

Nach dem Beschwerdevorbringen beabsichtigte die GesmbH im Frühjahr 1999 eine möglichst wirkungsvolle Information über die bevorstehende Übersiedlung des Instituts; zu diesem Zweck sei die Beratung einer PR-Agentur in Anspruch genommen und schließlich eine Plakatserie "in den großen ostösterreichischen Städten (dem Einzugsbereich der Krankenanstalt)" beschlossen worden. Dazu habe sich die damals im sechsten Monat schwangere B. F. für ein Lichtbild zur Verfügung gestellt. Ihr sei auch die Planung und Durchführung dieser "Werbeaktion 'Übersiedlungsanzeige'" oblegen, zu deren Realisierung über einen Zeitraum von einem Monat insgesamt 805 Plakate in Wien, Linz, St. Pölten, Eisenstadt und Salzburg affichiert worden seien.

Vor der Durchführung dieser Aktion habe die Wirtschaftskammer Wien über entsprechende Anfrage des Beschwerdeführers in einem Schreiben mitgeteilt, dass "eine Werbung auf öffentlichen Plakatflächen bei Übersiedlung des Institutes möglich ist". Die beauftragte PR-Agentur habe in dieser Frage auch die Österreichische Ärztekammer kontaktiert und die telefonische Auskunft erhalten, dass in der standesrechtlichen Werberichtlinie auf Plakatwerbung nicht ausdrücklich eingegangen werde; deren Zulässigkeit habe daher im Gespräch nicht abschließend geklärt werden können.

Der Beschwerdeführer habe Ende 1999 seine Zustimmung zur Plakatserie erteilt.

2. Aufgrund dieser "Übersiedlungsanzeige" wurde der Beschwerdeführer mit Bescheid des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Wien, Niederösterreich und Burgenland, vom 11.1.2001 wegen Verstoßes gegen Art3 lite der Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" iVm §53 Abs1 ÄrzteG 1998 gemäß §139 Abs1 Z2 ÄrzteG 1998 zu einer bedingten Geldstrafe in Höhe von S 30.000,-- sowie zur Tragung der Verfahrenskosten verurteilt.

3. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gab der Disziplinarsenat der Österreichischen Ärztekammer beim Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen mit Bescheid vom 17.9.2001 "mit der Maßgabe nicht Folge [...], dass im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses nach 'Ende 1999' das Wort 'fahrlässig' und statt 'Berufspflicht nach §53 Abs1 ÄrzteG' die Subsumtionsbezeichnung 'Berufspflicht nach §§23, 53 Abs1 ÄrzteG in Verbindung mit Artikel 6 der Richtlinie 'Arzt und Öffentlichkeit'' eingefügt werden".

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die an sich zulässige Information über die Standortverlegung des Instituts im vorliegenden Fall zum Anlass genommen worden sei, das Institut "über bloße sachinformative Belange hinaus mit ersichtlich akquisitorischer Grundtendenz werbewirksam in Szene zu setzen". Die Abbildung einer unbekleideten Schwangeren mit einem Straußenei in der Hand vermittle unter den konkreten Umständen (Plakatausmaß von 2 x 3 Metern) einen Gesamtaussagewert, der den Informationsanlass der Institutsübersiedlung derartig überfrachte, dass von einer (auch mit Adressierung an einen unbestimmten Personenkreis) zulässigen bloßen Übersiedlungsanzeige keine Rede mehr sein könne. Die Anzeige verstoße daher gegen Art3 lite der Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit". Der Beschwerdeführer habe die namentlich auch auf seine Person (und nicht etwa auf die GesmbH) zugeschnittene Werbemaßnahme durch seine ausdrückliche Zustimmung mitgetragen; als Mitgesellschafter und ärztlicher Leiter des Instituts unterliege er den ärztlichen Werbebeschränkungen. Die Voraussetzungen für seine disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit seien daher erfüllt.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG), auf Freiheit der Meinungsäußerung (Art10 EMRK), auf Freiheit der Erwerbsausübung (Art6 StGG) und darauf, nicht wegen einer Tat, die im Zeitpunkt ihrer Begehung nicht strafbar war, bestraft zu werden (Art7 EMRK), behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheids beantragt wird.

5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Die zur Beurteilung des vorliegenden Falles maßgebende

Rechtslage (Dezember 1999) stellt sich wie folgt dar:

§53 Abs1 und 4 ÄrzteG 1998, BGBl. I 169/1998, lauten:

"Werbebeschränkung und Provisionsverbot

§53. (1) Der Arzt hat sich jeder unsachlichen, unwahren oder

das Standesansehen beeinträchtigenden Information im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufes zu enthalten.

...

(4) Die Österreichische Ärztekammer kann nähere Vorschriften über die Art und Form der im Abs1 genannten Informationen erlassen."

Art 3 und Art6 der in Ausführung dieser Verordnungsermächtigung ergangenen - als Verordnung zu qualifizierenden - Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" bestimmen in der hier maßgeblichen Fassung:

"Artikel 3

Das Standesansehen beeinträchtigend ist eine Information, wenn sie Ehre und Ansehen der Ärzteschaft gegenüber der Gemeinschaft, den Patienten oder den Kollegen herabsetzt. Eine standeswidrige Information liegt insbesondere vor bei:

...

e) Selbstanpreisung der eigenen Person oder Darstellung der eigenen ärztlichen Tätigkeit durch reklamehaftes Herausstellen, sowie aufdringlichen oder marktschreierischen Ankündigungen

f) ...

Artikel 6

Der Arzt hat in zumutbarer Weise dafür zu sorgen, daß standeswidrige Werbung für ihn durch Dritte, insbesondere durch Medien, unterbleibt."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. In der Beschwerde wird zunächst eine Verletzung des durch Art7 EMRK gewährleisteten Rechts infolge Gesetzlosigkeit des angefochtenen Bescheids behauptet. Der Bescheid basiere nämlich - in Anbetracht der Tatzeitraums "Ende 1999" - noch auf der zu §25 ÄrzteG 1984 ergangenen Werberichtlinie. Die Verordnungsermächtigung des §25 ÄrzteG 1984 sei aber mit Inkrafttreten des ÄrzteG 1998, BGBl. I 169/1998, außer Kraft getreten; folglich sei auch die Richtlinie als Durchführungsverordnung weggefallen. Eine neue, auf §53 ÄrzteG 1998 gestützte Richtlinie sei erst am 18.12.1999 beschlossen und am 28.6.2000 kundgemacht worden; diese habe daher auf den vorliegenden Fall noch nicht angewendet werden können.

1.2. Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer nicht im Recht. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seiner Entscheidung VfSlg. 6852/1972 ausgesprochen hat, bewirkt die Neufassung eines Gesetzes nicht, dass nach dem Inkrafttreten der Novelle die in diesem Gesetz genannten Materien im Verordnungsweg vollinhaltlich neu zu regeln wären. Wo solche Vorschriften bereits vor diesem Zeitpunkt in Geltung gestanden sind, kommt ihnen die Qualität einer Durchführungsverordnung im Sinne der betreffenden neu gefassten Gesetzesbestimmung insoweit zu, als sie auch in der neuen Fassung Deckung finden. Da die Verordnungsermächtigung des §53 ÄrzteG 1998 mit jener des §25 ÄrzteG 1984 wörtlich ident ist und die auf Grundlage des §25 ÄrzteG 1984 erlassene Richtlinie somit auch in der neuen Bestimmung Deckung fand, war sie als Durchführungsverordnung im Sinne dieser Bestimmung anzusehen.

2.1. Der Beschwerdeführer rügt weiters eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz infolge denkunmöglicher Auslegung des Art3 lite der Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit". Diese Bestimmung habe die Selbstanpreisung der eigenen Person oder Darstellung der eigenen ärztlichen Tätigkeit zum Inhalt; die Plakataktion sei im vorliegenden Fall aber nicht vom Beschwerdeführer, sondern von der Dr. W. F. GesmbH durchgeführt worden. Mit ihrer extensiven Interpretation unterwerfe die belangte Behörde auch Ärzte, die Reklameaktionen von Krankenanstalten billigen, an denen sie als Gesellschafter beteiligt sind, einer disziplinarrechtlichen Verantwortung; dies sei jedoch unzulässig, da für Krankenanstalten eigene, spezifische Werbebestimmungen bestünden.

2.2. Im vorliegenden Fall kann der Verfassungsgerichtshof der belangten Behörde nicht entgegentreten, wenn sie unter Abwägung aller Umstände von einem aus disziplinarrechtlicher Sicht maßgeblichen Zusammenhang zwischen dem Beschwerdeführer und der Plakataktion der GesmbH ausging. Eine Verletzung des Art6 der Werberichtlinie darin zu erblicken, dass der Beschwerdeführer nicht dafür gesorgt hat, dass die auf seine Person zugeschnittene Plakatserie unterbleibt, sondern ausdrücklich seine Zustimmung dazu erteilt hat, ist nicht denkunmöglich. Eine Bestrafung der GesmbH ist durch den angefochtenen Bescheid ebenso wenig erfolgt wie eine Bestrafung des Beschwerdeführers für Handlungen, die in keinem Zusammenhang mit seiner ärztlichen Tätigkeit stehen und daher außerhalb des Wirkungsbereiches des Disziplinarsenates der Österreichischen Ärztekammer lägen (vgl. VfSlg. 15.480/1999). Die behauptete Verfassungsverletzung liegt daher nicht vor.

3.1. Nach dem Beschwerdevorbringen hat die belangte Behörde dadurch, dass sie das in Rede stehende Plakatmotiv als aufdringlich und marktschreierisch iSd Art3 lite der Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" und damit als standeswidrig qualifiziert hat, dieser Bestimmung auch einen gegen Art10 EMRK verstoßenden Inhalt unterstellt. Das Motiv stelle sich "als ein auf den Gegenstand einer Krankenanstalt hinweisendes symbolisches Motiv dar"; die Botschaft des Plakats stehe "in einem unbestreitbar korrektem fachlichen und sachlichen Zusammenhang" und sei daher weder als aufdringlich noch als marktschreierisch anzusehen.

3.2. Der Beurteilung der belangten Behörde, dass die Erkennbarkeit des Sachbezugs zum Fachschwerpunkt des werbenden Instituts für sich allein nicht geeignet sei, die Werbemaßnahme mit den geltenden Werbebeschränkungen zu harmonisieren, und dass von der Abbildung einer unbekleideten Schwangeren mit einem Straußenei in der Hand kein Informationswert ausgehe, der einem spezifischen Bedarf an seriöser Sachinformation Rechnung trage, kann nicht entgegengetreten werden.

Dass eine Standortverlegung eine über den Kreis der eigenen Patienten hinausgehende breitere Information bedingt und dies auch mit Art3 lith der Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" im Einklang steht, hat der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 1.10.2001, V56/00 ua., betont. Dass die Behörde jedoch nicht zuletzt unter Bedachtnahme auf die Auffälligkeit der Plakatserie (Plakatausmaß von 2 x 3 Metern) im Ergebnis davon ausging, dass "der aus naheliegenden Gründen an sich zulässige Informationsbedarf zum Anlass genommen wurde, das von Univ.Prof. Dr. W. F. geleitete und mit seiner Person auch sonst eng verbundene 'Institut für Sterilitätsbetreuung' über bloße sachinformative Belange hinaus mit ersichtlich akquisitorischer Grundtendenz werbewirksam in Szene zu setzen", und somit ein Verstoß gegen Art3 lite der Richtlinie vorliege, unterstellt dieser Bestimmung keinen Art10 EMRK verletzenden Inhalt (zur Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen vgl. VfSlg. 15.481/1999, 15.611/1999).

4.1. Zuletzt rügt die Beschwerde eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Freiheit der Erwerbsausübung. Durch die von der belangten Behörde vorgenommene extensive Interpretation des Art3 lite der Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" würde gleichsam jegliche Werbung verboten; angesichts der Bedeutung von Werbung für die wirtschaftliche Prosperität eines Unternehmens stelle dies aber einen Eingriff in das Grundrecht der Erwerbsausübungsfreiheit dar.

4.2. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung wird mit Rücksicht auf den in Art6 StGG enthaltenen Gesetzesvorbehalt nur verletzt, wenn einem Staatsbürger durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde der Antritt oder die Ausübung einer bestimmten Erwerbsbetätigung untersagt wird, ohne dass ein Gesetz die Behörde zu einem solchen die Erwerbstätigkeit einschränkenden Bescheid ermächtigt, oder wenn die Rechtsvorschrift, auf die sich der Bescheid stützt, verfassungswidrig oder gesetzwidrig ist, oder wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheids ein verfassungsmäßiges Gesetz oder eine gesetzmäßige Verordnung in denkunmöglicher Weise angewendet hat (zB VfSlg. 10.413/1985).

4.3. Diese Voraussetzungen liegen jedoch im vorliegenden Fall - wie bereits unter 2.2. und 3.2. dargetan - nicht vor. Der Beschwerdeführer wurde daher im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung nicht verletzt.

5. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde. Ob der angefochtene Bescheid aber in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. VfSlg. 9454/1982, 12.697/1991, 15.473/1999).

6. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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