VfGH B1097/11

VfGHB1097/1111.12.2012

B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall
B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall

 

Spruch:

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren.

1.1. Der im Jahr 1988 geborene Beschwerdeführer, ein armenischer Staatsangehöriger, stellte am 1. Oktober 2003 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12. Februar 2004 abgewiesen wurde. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. Dezember 2007 wurde die Berufung abgewiesen. Die Behandlung der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit Beschluss vom 9. April 2008 abgelehnt. Am 18. Dezember 2009 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, der vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 12. Jänner 2010 wegen entschiedener Sache gemäß §68 Abs1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG zurückgewiesen wurde; überdies wurde der Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 Z1 Asylgesetz 2005 in den Herkunftsstaat ausgewiesen. Der Asylgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde mit Entscheidung vom 5. Februar 2010 als unbegründet abgewiesen.

1.2. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen vom 14. Dezember 2007 wurde über den Beschwerdeführer gemäß §§60, 62, 63 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG (idF BGBl. I 157/2005) wegen gerichtlich strafbarer Handlungen (rechtskräftige Verurteilungen wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls und des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch) ein unbefristetes Rückkehrverbot für das österreichische Bundesgebiet erlassen. Mit Eingabe vom 26. September 2008 beantragte der Beschwerdeführer u.a. die "Aufhebung des Rückkehrverbotes gem. §65 FPG". Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen vom 5. März 2009 wurde der Antrag auf Aufhebung des Rückkehrverbotes im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass "nicht absehbar [sei], wann [die vom Beschwerdeführer ausgehende] Gefahr nicht mehr" bestehe. Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 23. August 2011 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen gemäß §66 Abs4 AVG "als unbegründet abgewiesen und der bekämpfte Bescheid bestätigt."

In rechtlicher Hinsicht führte der Unabhängige Verwaltungssenat im Wesentlichen aus, dass einem Fremden gemäß §60 Abs1 FPG nur im Falle eines höchstens 5-jährigen Einreiseverbotes - nicht aber wie im gegenständlichen Fall bei einem unbefristeten Einreiseverbot - das Recht zustehe, dessen Aufhebung zu beantragen. Die fehlende Antragslegitimation führe zwangsläufig zur Zurückweisung des vorliegenden Ansuchens.

1.3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf

Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG), auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) und auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

2. Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen mit Beschluss vom 20. Juni 2012 ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des §60 Abs1 FPG 2005 ein. Mit Erkenntnis vom 3. Dezember 2012, G74/12, hob der Verfassungsgerichtshof die genannte Gesetzesbestimmung mit Ablauf des 31. Dezember 2013 als verfassungswidrig auf.

II. Erwägungen

1. Die - zulässige - Beschwerde ist begründet.

Die belangte Behörde hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.

Der Beschwerdeführer wurde also durch den

angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.404/1985).

Der Bescheid war daher aufzuheben.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-

sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,- enthalten.

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