Normen
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
VStG §51e Abs3
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
VStG §51e Abs3
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal (Art6 Abs1 EMRK) verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Niederösterreich ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seiner Rechtsvertreterin die mit EUR 2.340,- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom 7. Oktober 2003 wurde über den Beschwerdeführer wegen Übertretung des §94 und §94b iVm. §135 Abs1 Z24 des Niederösterreichischen Jagdgesetzes eine Geldstrafe von EUR 70,- (Ersatzfreiheitsstrafe: 54 Stunden) verhängt, weil er ungeachtet der Beschilderung das jagdliche Sperrgebiet im Revierteil "Rodsaum", KG Zeiselmauer, Parz. Nr. 22 betreten habe, obwohl dieses ordnungsgemäß durch entsprechende Tafeln mit der Aufschrift "Befristetes jagdliches Sperrgebiet" ausgewiesen gewesen sei.
2. Die gegen dieses Straferkenntnis eingebrachte - selbst verfasste - Berufung enthält eine ausführliche Darstellung des Sachverhalts aus der Sicht des Beschwerdeführers. Noch innerhalb der Berufungsfrist wurde mit ergänzendem Schriftsatz die persönliche Einvernahme des Beschwerdeführers zum Sachverhalt beantragt. Der unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (in der Folge: UVS) gab der Berufung mit Bescheid vom 22. Juni 2004 - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - keine Folge.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die gemäß Art144 B-VG erhobene Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal gemäß Art6 Abs1 EMRK behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.
Der UVS als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der Entfall einer mündlichen Verhandlung wurde von der belangten Behörde mit dem Hinweis auf §51e VStG - ohne jedoch einen konkreten Tatbestand dieser Bestimmung anzuführen - begründet.
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VfSlg. 16.624/2002 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EGMR dargelegt, dass den Verfahrensgarantien des Art6 EMRK durch ein Tribunal nur entsprochen wird, wenn dieses über volle Kognitionsbefugnis sowohl im Tatsachen- als auch im Rechtsfragenbereich verfügt. Da dem Verwaltungsgerichtshof im Gegensatz zum UVS keine volle Kognitionsbefugnis im Tatsachenbereich zukommt (vgl. das Urteil des EGMR 23. Oktober 1995, Gradinger, ÖJZ 1995, 954), muss die Verfahrensgarantie der mündlichen Verhandlung vom Unabhängigen Verwaltungssenat erfüllt werden (vgl. dazu auch EGMR im Fall Baischer vom 20. Dezember 2001, ÖJZ 2002, 394, Z28 bis 30).
In seinem Erkenntnis vom 18. Juni 2003, B1312/02, hat der Verfassungsgerichtshof zur Anwendung des - im vorliegenden Fall in Betracht kommenden - §51e Abs3 VStG ausgesprochen, dass es verfassungswidrig wäre, allein aufgrund der Höhe der angefochtenen Geldstrafe (weniger als EUR 500,-) ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Die Bestimmung räumt jedoch Ermessen ein und lässt damit eine verfassungskonforme Anwendung im Einzelfall zu. Soweit es Art6 EMRK gebietet, muss der UVS - verfassungskonform - eine mündliche Verhandlung jedenfalls durchführen, sofern die Parteien nicht darauf verzichtet haben (vgl. VfSlg. 16.624/2002).
2.2. Der Beschwerdeführer hat in einem die Berufung ergänzenden Schriftsatz den Antrag "auf persönliche Einvernahme seiner Person zum Sachverhalt" gestellt. Von einem Verzicht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim UVS kann daher im vorliegenden Fall nicht die Rede sein.
2.3. Mit der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung kommt aber die Anwendung des §51e Abs3 VStG, der den UVS allenfalls ermächtigt hätte, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen, schon von seinen Voraussetzungen her nicht mehr in Betracht. Daraus folgt aber auch, dass der UVS verpflichtet gewesen wäre, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Diese Unterlassung führt nicht nur zur Gesetzwidrigkeit des Bescheides, sondern hat - da im Beschwerdefall keine besonderen Gründe erkennbar sind, die im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zu Art6 EMRK allenfalls den Entfall einer mündlichen Verhandlung rechtfertigen könnten (vgl. EGMR 19.2.1998, Fall Allan Jacobsson gegen Schweden, RJD 1998-I, S. 154, Rz. 46 ff.; EGMR 26.4.1995, Fall Fischer gegen Österreich, Serie A Nr 312, Rz. 43 f.) - auch die Verletzung des Art6 Abs1 EMRK zur Folge (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom 25. Februar 2003, B1421/02, sowie vom 22. September 2003, B1482/02).
3. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid sohin in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal gemäß Art6 Abs1 EMRK verletzt worden.
Der angefochtene Bescheid war schon aus diesem Grund aufzuheben.
4. Der Kostenspruch beruht auf §88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von EUR 360,- sowie der Ersatz der entrichteten Eingabegebühr (§17a VfGG) enthalten.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)