Spruch:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 7 Abs 2 StVG, § 89 Abs 6 StPO).
Text
begründung:
Der am 12. September 1980 geborene ungarische Staatsangehörige L***** H***** wurde mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 3. Mai 2011, 4 Hv 28/11v-208, rechtskräftig wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 zweiter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter, dritter und fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG zur Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Dem lag zugrunde, dass er im November 2010 andere einerseits zum Verbringen von 5 kg Kokain von den Niederlanden über Deutschland und Österreich nach Ungarn und nach Österreich zurück und andererseits zur Übergabe von knapp 5 kg Kokain an einen verdeckten Ermittler bestimmte.
Der Genannte ist seit 13. November 2010 in Haft. Seine Überstellung zur Strafvollstreckung nach Ungarn lehnte er ab.
Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 6. Februar 2012, 19 HR 38/12f-10, wurde die Übergabe des L***** H***** an Ungarn zur Strafverfolgung hinsichtlich der aus dem Europäischen Haftbefehl des Stadtgerichts Szombathely vom 20. Dezember 2011, Nr.: 28 Bny 429/2011, ersichtlichen strafbaren Handlungen (qualifizierte, zwischen 1. Februar 2010 und 7. September 2010 in Bezug auf gestohlene Mobiltelefone im Wert von rund EUR 420.000,-- begangene Hehlerei) beschlossen und die angeordnete Übergabe gemäß § 25 Abs 1 Z 6 EU-JZG bis zur Beendigung der Strafhaft zu 4 Hv 28/11v des Landesgerichtes für Strafsachen Graz aufgeschoben.
Im letztangeführten Verfahren beantragte der Verurteilte am 26. März 2013 ein Vorgehen nach § 4 StVG. Dieses lehnte das Erstgericht mit dem angefochtenen Beschluss unter Hinweis auf die Voraussetzungen für eine Zusatzstrafe im Sinne des § 31 StGB im ungarischen Verfahren ab. Die dagegen vom Verurteilten erhobene Beschwerde (ON 297) bleibt im Ergebnis erfolglos.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 4 StVG ist vom Vollzug einer über den Verurteilten verhängten Freiheitsstrafe vorläufig abzusehen, wenn er an eine ausländische Behörde ausgeliefert wird, es sei denn, dass es aus besonderen Gründen des unverzüglichen Vollzuges bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. Das Absehen vom weiteren Vollzug ist bei Vorliegen der in § 4 StVG normierten Voraussetzungen obligatorisch. Das Absehen ist einzig und allein von Erfordernissen der Generalprävention abhängig. Es ist dabei auf die Bedeutung und Schwere der Tat, das dadurch verursachte Aufsehen und die Höhe der Strafe Bedacht zu nehmen, nicht aber auf spezialpräventive Belange (Göth-Flemmich, WK2 ARHG § 37 Rz 7, Pieber in WK2 StVG § 4 Rz 12). Die besonderen generalpräventiven Gründe sind gegen die voraussichtliche Höhe der im Ausland zu erwartenden Strafe abzuwägen. Nach Pieber (aaO Rz 13) und Göth-Flemmich (aaO) ist der Generalprävention Genüge getan, wenn der auszuliefernden Person ein Strafübel droht, das der (restlichen) inländischen Sanktion annähernd gleichwertig ist.
In der Praxis wird in Fällen schwerer Kriminalität nicht vor Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe gemäß § 4 StVG vom weiteren Vollzug abgesehen (Göth-Flemmich aaO). Hiefür spricht im Besonderen, dass eine fiktive Strafbemessung bezüglich eines in einem anderen Rechtskreis anhängigen Verfahrens völlig spekulativ wäre und dass auch die §§ 46 Abs 1 StGB, 133a StVG eine bedingte Nachsicht bzw ein vorläufiges Absehen vom weiteren Strafvollzug bei vorliegenden besonderen generalpräventiven Gründen überhaupt erst nach der Verbüßung von zwei Drittel der Freiheitsstrafe zulassen - womit indirekt auch der inländische generalpräventive Vollzugsbedarf deutlich gemacht wird.
In casu beträgt die bisherige Dauer der Verbüßung der im Inlandsverfahren verhängten sechsjährigen Freiheitsstrafe zwei Jahre und sieben Monate. Daraus ergibt sich ein aktueller Strafrest von drei Jahren und fünf Monaten. In Ungarn droht dem Betroffenen abstrakt eine Freiheitsstrafe von fünf bis zu zehn Jahren. Eine dem § 31 StGB ähnelnde Bestimmung findet sich im ungarischen Rechtsbestand (§§ 83 bis 87, 92 und 93 des ungarischen StGB). Daraus ergibt sich, dass in Ungarn nahezu die angedrohte Höchststrafe fiktiv für alle hier angesprochenen strafbaren Handlungen verhängt werden müsste, um nach gedanklichem Abzug der im Inlandsverfahren verhängten sechsjährigen Freiheitsstrafe auf einen „Strafrest“ zu kommen, der höher wäre als die hiesige Reststrafe. Bei jeder anderen Strafe wäre selbst nach den zitierten Lehrmeinungen noch ein inländischer Strafvollzugsbedarf aus generalpräventiver Sicht vorhanden. Da aber, wie angeführt, eine Prognose, welche Strafe der Beschwerdeführer in Ungarn - gegebenenfalls - erhalten wird, ausreichend belegt und überprüfbar schlicht nicht möglich ist, kann nur in Abhängigkeit von der Tatschwere des dem Inlandsverfahren zugrundeliegenden Verhaltens unter gedanklicher Einbeziehung, dass der Rechtsbrecher mutmaßlich im Ausland, abhängig von der Schwere des dortigen Vorwurfs, eine (der Höhe nach hievon abhängende) Strafe zu gewärtigen haben wird, der generalpräventive inländische Vollzugsbedarf ermittelt werden. Dieser ist hier - wie das Erstgericht im Ergebnis richtig erkannte - angesichts der dem Strafvollzug zugrundeliegenden schweren internationalen Suchtgiftkriminalität, bei der der Rechtsbrecher eine bestimmende Rolle einnahm, mit einer Strafverbüßung von (weniger als der Hälfte der verhängten Strafe) zwei Jahren und sieben Monaten aus abschreckungs-, aber auch integrationspräventiven Überlegungen noch nicht gedeckt.
Oberlandesgericht Graz, Abteilung 10
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