OGH Nr7/48

OGHNr7/487.10.1948

SZ 21/143

Normen

RAO §9
RAO §10
RAO §11
RAO §20
RAO §25
RAO §9
RAO §10
RAO §11
RAO §20
RAO §25

 

Spruch:

Für die Anwendung des § 25, lit. a RAO. ist eine Anstellung bei einer Stadt mit eigenem Statut einem besoldeten Staatsamt gleichzuhalten.

Entscheidung vom 7. Oktober 1948, Nr 7/48.

I. Instanz: Ausschuß der Kärntner Rechtsanwaltskammer in Klagenfurt.

Text

Der Ausschuß der Kärntner Rechtsanwaltskammer hat einem Obermagistrat einer Stadt mit eigenem Statut die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte verweigert.

Der Oberste Gerichtshof hat der Berufung gegen diese Entscheidung nicht Folge gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Begründung

Es ist richtig, daß § 20, lit. a RAO. ausdrücklich nur die Führung eines "besoldeten Staatsamtes" - mit Ausnahme des Lehramtes - als mit der Ausübung der Rechtsanwaltschaft unvereinbar bezeichnet. Insofern ist also den Ausführungen Lohsing's in seinem Kommentar zur Rechtsanwaltsordnung grundsätzlich zuzustimmen. Nicht aber vermag sich der Oberste Gerichtshof sowohl der Ausführungen des Berufungswerbers, als auch denen des genannten Kommentars anzuschließen, daß es sich bei autonomen Gemeinden mit übertragenem Wirkungskreis nicht um Ausübung eines Staatsamtes handelt. Es würde unbedingt eine zu enge Auslegung des Begriffes "Staatsamt" darstellen, wollte man darunter nur eine Anstellung im Sinne der Dienstpragmatik verstehen. Lohsing verweist darauf, daß Amtsfunktionen, die nicht mit einer Beamtenstellung im Sinne der Dienstpragmatik verknüpft sind, also z. B. als Mitglied einer Staatsprüfungskommission, mit der Rechtsanwaltschaft vereinbar sind.

Er übersieht hiebei jedoch zwei Punkte: einerseits sind solche "Amtsfunktionen" nicht die Ausübung eines "besoldeten" Staatsamtes und anderseits sind sie auch mit dem Grundsatz der Freiheit der Rechtsanwaltschaft vereinbar. Es ist unbedingt notwendig, den Zweck der strittigen Gesetzesstelle und die Absicht des Gesetzgebers zu erforschen und zu berücksichtigen. Der Zweck, der durch die Bestimmungen des § 20, lit. a RAO. erreicht werden soll, ist offensichtlich der, die Unabhängigkeit des Rechtsanwaltes von den Staatsbehörden sicherzustellen. Allerdings hätte der Gesetzgeber dann auch - wie ja eingewendet werden kann - die Abhängigkeit von anderen Behörden, also Länder- und Gemeindebehörden, ja auch die Abhängigkeit von privaten Unternehmen hervorheben müssen.

Es wird daher zu untersuchen sein, ob nicht in allen Fällen, wo eine solche Abhängigkeit durch beruflich besoldete Bindung des Anwaltes an eine andere Stelle besteht, Umstände eintreten, die mit der Ausübung einer freien Rechtsanwaltschaft unvereinbar sind.

Es kommen also im vorliegenden Fall zwei Gesichtspunkte in Betracht:

1. der, daß der Stadtmagistrat als politische Behörde erster Instanz auch die Verwaltungsgeschäfte einer Bezirkshauptmannschaft, also einer Staatsstelle ausübt, der Rechtszug in derartigen Sachen von dieser Stelle auch an die staatliche Oberbehörde geht und es somit nicht verständlich wäre, angesichts dieser Tatsachen zu bezweifeln, daß die Stellung eines Beamten dieser Magistratsbehörde der Ausübung eines besoldeten Staatsamtes gleichzustellen sein soll. Daß die Agenden formell vom Magistrat der Stadt ausgeübt werden, daß die Stadt ihre Beamten selbst besoldet und nicht der Staat, ändert daran nichts. Der Begriff "besoldet" und der Begriff "Staatsamt" sind ja nicht als zusammengehörig in dem Sinn anzusehen, daß die Besoldung vom Staat getragen werden muß. Es handelt sich nur darum, daß das Amt zur Führung von Staatsgeschäften bestellt ist und daß der diese Geschäfte besorgende Beamte hiefür besoldet wird. Es wäre also schon der Umstand, daß der Berufungswerber im Dienste einer Stadt mit eigenem Statut steht, zur Begründung des angefochtenen Beschlusses ausreichend.

Aber es ist noch ein zweiter Umstand mit allem Nachdruck hervorzuheben:

§ 9 RAO. verpflichtet den Anwalt, alle Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten, alle gesetzlich zulässigen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach seinem Gewissen und seiner Vollmacht zu gebrauchen. In diesem Gesetze ist der oberste unverletzliche Grundsatz einer freien Rechtsanwaltschaft ausgesprochen. Nur eine freie Rechtsanwaltschaft ohne Bindung nach irgendeiner Seite kann diesen Verpflichtungen voll genügen und eine solche freie Rechtsanwaltschaft ist es, die der Staat durch die von ihm wieder eingeführte österreichische Rechtsanwaltsordnung fordert.

Von diesen für die Stellung der Rechtsanwaltschaft im Staate geradezu entscheidenden Gesichtspunkten aus gesehen, ist schon die besoldete Bindung des Rechtsanwaltes an irgendein privates Unternehmen oder gar an ein Unternehmen einer öffentlichen Anstalt bedenklich. Die besoldete Bindung aber an eine Behörde, mag sie nun eine Staatsbehörde oder auch eine Landes- oder Gemeindebehörde sein, steht mit dem Grundsatz einer freien Anwaltschaft in unlösbarem Widerspruch. Es ist allerdings richtig, daß der Anwalt nach § 10 RAO. ohne Angabe von Gründen die Vertretung einer Partei ablehnen kann; allein es wird dem an eine Behörde gebundenen Anwalt nicht immer von Haus aus klar sein, ob er nicht bei der Vertretung in einem Widerstreit seiner Anwaltspflichten mit seinen Pflichten als besoldeter Beamter kommt. Es kann sich sehr häufig der Fall ereignen, daß ein solcher Widerstreit erst im Zuge einer Vertretung, vielleicht gerade in einem kritischen Augenblick sichtbar wird, in dem es dann Pflicht des Anwaltes wird, eine Vertretung zu kundigen. Dies kann sogar dazu führen, daß der Anwalt nach § 11, Abs. 2 RAO. innerhalb der Pflichtfrist von 14 Tagen noch eine Vertretungsabhandlung setzen muß, bei der diese Kollision offenbar wird. Diese Erwägungen zeigen, daß die Vebindung der Anwaltschaft mit einem besoldeten Abhängigkeitsverhältnis von einer Behörde mit der Stellung des Anwaltes nicht vereinbar ist.

Es drängt sich daher die Frage auf, ob nicht bei Verfassung der Rechtsanwaltsordnung im § 20c an die Möglichkeit gedacht wurde, die Bestimmung des § 20a sei durch Punkt c genügend ergänzt. Die allgemeine Rechtsansicht geht wohl dahin, daß unter § 20c RAO. Beschäftigungen fallen, die mit dem Ansehen, also mit der Würde des Rechtsanwaltsstandes unvereinbar sind. Es wird gewissermaßen als Sache des Gefühls betrachtet, welche Beschäftigungen dieser Würde nicht entsprechen. Lohsing führt in dieser Richtung ein Hofdekret vom Jahre 1821 über die Frage an, ob ein Rechtsanwalt ein Gastgewerbe betreiben kann, bezeichnet aber im übrigen die Beantwortung als "quaestio facti".

Letzter Standpunkt ist der richtige. Es wird immer auf den einzelnen Fall ankommen, da ja an und für sich die Ausübung eines Gewerbes niemals entehrend sein kann. Aber ein Umstand steht fest: Eine Nebenbeschäftigung, die den Anwalt in seiner Freiheit der Vollmachtsübernahme und der Parteienvertretung behindert, ist geeignet, das Ansehen der Anwaltschaft zu beeinträchtigen. Wenn der Anwalt bei jedem einzelnen Fall prüfen muß, ob er bei Übernahme einer Vertretung nicht mit seinen Beamtenpflichten in Konflikt kommt oder gar während seiner Vertretung diese wegen eines solchen Konfliktes zurücklegen muß, schädigt das sicherlich das Ansehen des Anwaltstandes. Denn das rechtsschutzsuchende Publikum wendet sich ja an den Anwalt eben wegen seiner Freiheit in der Parteienvertretung und das rechtsschutzsuchende Publikum hat ein feines Gefühl dafür, ob der Anwalt diesen Pflichten, unerschrocken gegen jedermann die Rechte der Partei zu vertreten, nachkommen kann oder nicht.

Der Oberste Gerichtshof nimmt daher diesen Fall zum Anlaß, seine Ansicht dahin auszusprechen, daß die Bindung des Anwaltes an ein besoldetes Amt bei einer Behörde eine äußerst sorgfältige Prüfung erfordert, ob nicht durch diese Bindung der oberste Grundsatz der Freiheit der Rechtsanwaltschaft bei der Berufsausübung gefährdet erscheint. Eine jede derartige Gefährdung ist geeignet, dem Ansehen des Standes nachteilig zu sein.

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