OGH 9Os3/84

OGH9Os3/8417.1.1984

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Jänner 1984 unter dem Vorsitz des Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr.

Steininger, Dr. Horak, Dr. Reisenleitner und Dr. Felzmann als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Spies als Schriftführer in der Strafsache gegen Alfred A wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach § 146, 147 Abs. 3, 148, 2. Fall, StGB über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 28. März 1983, GZ 4 b Vr 11.166/82-57, und die Punkte 6 und 22 der Endverfügung vom 13. Oktober 1983, GZ 4 b Vr 11.166/82-62, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Hauptmann, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache gegen Alfred A wegen Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach § 146, 147 Abs. 3, 148, 2. Fall, StGB, AZ 4 b Vr 11.166/82 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, wurde das Gesetz in folgenden Bestimmungen verletzt:

1) durch das Urteil vom 28. März 1983, GZ 4 b Vr 11.166/ 82-57, soweit damit gemäß § 22 Abs. 1 StGB die Unterbringung des Alfred A in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher angeordnet wurde, im § 22 Abs. 2 StGB, 2) durch die Erlassung der Vollzugsanordnung Punkt 6 der Endverfügung GZ 4 b Vr 11.166/82-62 erst am 13. Oktober 1983 im Par 397, erster Satz, StPO, 3) durch die mit Beschluß vom 13. Oktober 1983, GZ 4 b Vr 11.166/82-62, Punkt 22, ausgesprochene Anrechnung der nach Urteilsrechtskraft erlittenen Haftzeit gemäß § 38 Abs. 1 Z 1 StGB in der erwähnten Bestimmung.

Gemäß § 292 StPO wird das Urteil vom 28. März 1983, welches im übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch über die Unterbringung des Alfred A in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher (§ 22 Abs. 1 StGB) aufgehoben und diese Anordnung aus dem Urteil ausgeschaltet. Die darauf beruhenden Anordnungen in der Endverfügung vom 13. Oktober 1983 werden aufgehoben, und es wird dem Erstgericht insoweit das gesetzmäßige Vorgehen aufgetragen.

Text

Gründe:

I) Mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien (als Schöffengericht) vom 28. März 1983, GZ 4b Vr 11.166/82-57, wurde der am 31. Dezember 1946 geborene Alfred A des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen (richtig: gewerbsmäßigen schweren) Betruges nach § 146, 147 Abs. 3, 148, 2. Fall, StGB schuldig erkannt und über ihn nach dem zweiten Strafsatz des § 148 StGB eine Freiheitsstrafe von drei Jahren verhängt, auf welche die Verwahrungsund Untersuchungshaft vom 13. Oktober 1982, 8,05 Uhr, bis 28. März 1983, 11,55 Uhr, gemäß § 38 Abs. 1 Z 1 StGB angerechnet wurde.

überdies wurde gemäß § 22 Abs. 1 StGB die Unterbringung des Alfred A in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher angeordnet. Die Anordnung dieser Maßnahme, um welche der Angeklagte ausdrücklich ersucht hatte (Band II S 93 und 161), wurde vom Erstgericht damit begründet, dem psychiatrischen Sachverständigengutachten zufolge habe Alfred A seine Straftaten unter dem Einfluß seiner abnormen Persönlichkeitsstruktur in Verbindung mit chronischem Alkoholmißbrauch begangen; es sei zu befürchten, daß er auf Grund seiner Gewöhnung an Alkohol rasch wieder rückfällig werden wird, doch sei der Versuch einer Entwöhnung nicht aussichtslos. Da nicht anzunehmen sei, daß die Freiheitsstrafe vor Oktober 1983 'in Kraft gesetzt' werde, werde zum Zeitpunkt der übernahme in Strafhaft vom Angeklagten nur mehr eine zweijährige Strafhaft zu verbüßen sein; der im Urteil angeordneten Maßnahme stehe daher 'die Schranke des § 22 Abs. 2 StGB nicht entgegen'.

Dieses Urteil erwuchs infolge des unmittelbar nach dessen Verkündung abgegebenen Rechtsmittelverzichtes des Staatsanwaltes und des Angeklagten sogleich in Rechtskraft. Dessen ungeachtet erließ der Vorsitzende des Schöffensenates - ohne daß in den Akten ein Grund für die Verzögerung ersichtlich gemacht worden wäre - erst am 13. Oktober 1983 die Endverfügung (ON 62), unter deren Punkt 6 der Vollzug der Maßnahme angeordnet wurde. Unter Punkt 22 dieser Endverfügung wurde 'die Haft des Alfred A vom 28.3.1983, 11.55 Uhr, bis zum 12.10.1983, 8.05 Uhr, gemäß § 38 Abs. 1 Z 1 StGB auf die Strafe angerechnet'. Dem Strafantrittsbericht der Gefangenenhausdirektion I des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19. Oktober 1983 (ON 63) zufolge wurde Alfred A zur Verbüßung der am 28. März 1983 über ihn verhängten Strafe von 'drei Jahren und § 22 StGB', auf welche eine insgesamt vom 13. Oktober 1982, 8.05 Uhr, bis 12. Oktober 1983, 8.05 Uhr, währende Haftzeit angerechnet wurde, am 12. Oktober 1983 um 8.05 Uhr 'in Strafhaft übernommen' und das Strafende mit 13. Oktober 1985, 8.05 Uhr, berechnet.

Rechtliche Beurteilung

II) Durch die Vorgangsweise des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde das Gesetz in mehrfacher Hinsicht verletzt:

Gemäß § 22 Abs. 2 StGB ist von der Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher (ua) dann abzusehen, wenn der Rechtsbrecher mehr als zwei Jahre in Strafhaft zu verbüßen hat. Hiebei ist nicht auf die erkannte Strafe, sondern auf die im Zeitpunkt der Hauptverhandlung verbleibende Vollzugszeit abzustellen (Dokumentation z StGB, S 77), wendet sich doch die zitierte Norm an das über die Einweisung erkennende Gericht. Da zum Zeitpunkt der von diesem zu treffenden Entscheidung die weitere Verfahrensdauer bis zum Eintritt der Urteilsrechtskraft bzw bis zur frühestmöglichen übernahme eines in Untersuchungshaft angehaltenen Rechtsbrechers in Strafhaft nicht vorhersehbar ist, kann die Beurteilung der Zulässigkeit der Einweisung im Hinblick auf das Unterbringungshindernis des ersten Falles des § 22 Abs. 2 StGB nur in einer Prüfung bestehen, ob dem Angeklagten zum Zeitpunkt der Fällung des Einweisungserkenntnisses noch eine zwei Jahre übersteigende Haftzeit bevorsteht, deren Nutzung zur Entwöhnungsbehandlung im Rahmen des Strafvollzuges (s erneut Dokumentation z StGB S 77) möglich wäre. In Spekulationen über die voraussichtliche Dauer eines allfälligen Rechtsmittelverfahrens (oder anderer Verzögerungen der übernahme des Untersuchungshäftlings in Strafhaft) und den danach noch verbleibenden Strafrest - wie sie das Schöffengericht hier anstellte - hat sich das Einweisungsgericht nicht einzulassen. Eine andere Auslegung des § 22 Abs. 2 StGB würde die mit den Intentionen des Gesetzgebers nicht zu vereinbarende Möglichkeit heraufbeschwören, daß eine vom Erstgericht im Hinblick auf die voraussichtliche Verkürzung der Strafhaft durch ein Rechtsmittelverfahren für zulässig erachtete Einweisung sich infolge eines von allen zu einem Rechtsmittel hiegegen Legitimierten abgegebenen Rechtsmittelverzichtes als unzulässig herausstellen, im Zuge des Verfahrens über ein ordentliches Rechtsmittel aber nicht mehr behebbar sein könnte.

An der Gesetzwidrigkeit der Einweisung, die ungeachtet der mehr als zweijährigen Dauer des auch bei Anrechnung der Untersuchungshaft bis zur Urteilsfällung verbleibenden Restes der verhängten Freiheitsstrafe angeordnet wurde, vermögen weder die nachfolgende - möglicherweise allein zur nachträglichen Abstimmung mit den im Urteil angestellten Spekulationen herbeigeführte - Verzögerung der Erlassung der Vollzugsanordnung noch die Anrechnung der nach Urteilsrechtskraft erlittenen Haftzeit als Vorhaft etwas zu ändern; hierin sind vielmehr weitere Gesetzesverletzungen zu erblicken:

So verstößt die erwähnte Säumnis in der Erlassung der Vollzugsanordnung gegen die Vorschrift des § 397 StPO, jedes vollstreckbare Strafurteil ungesäumt in Vollzug zu setzen (worunter im gegenständlichen Fall zufolge der nach § 157 Abs. 1 StVG sinngemäß auch für die Maßnahme nach § 22 StGB geltenden Bestimmung des § 3 Abs. 4 StVG die Veranlassung der übernahme des bisher in Untersuchungshaft befindlichen Verurteilten in den gemäß § 24 Abs. 1 StGB vor der Freiheitsstrafe durchzuführenden Maßnahmenvollzug zu verstehen ist).

Die Anrechnung eines nach Urteilsrechtskraft im Zusammenhang mit der gegenständlichen Strafsache in Haft zugebrachten Zeitraumes auf die Freiheitsstrafe findet weder in § 38 Abs. 1 Z 1 StGB eine materiellrechtliche noch in § 400 StPO formelle Deckung: Beide Vorschriften regeln nur die Anrechnung der Vorhaft, dh einer bis zum Eintritt der Urteilsrechtskraft erlittenen Haftzeit. Die nachfolgende, dem Vollzug des Strafurteiles dienende Haft ('Nachhaft') gilt gemäß § 1 Z 5 StVG ex lege als Strafhaft und ist als solche von den zur Feststellung des kalendermäßigen Endes der Strafzeit berufenen Vollzugsbehörden (§ 11 ff StVG) zu berücksichtigen, und zwar ohne gerichtliche Entscheidung über die Anrechnung (SSt 43/29; EvBl 1983/88

= ÖJZ-LSK 1983/51, 52; Kunst, StVG, Anm 4 zu § 1; Foregger-Serini, StPO 3 , Erl I zu § 397 und Erl I zu § 400 StPO; Lachner in RZ 1977, Sondernummer Österreichische Richterwoche 1976, S 67). Daß die 'Nachhaft' im gegenständlichen Falle durch mehr als sechs Monate mangels Erlassung einer Vollzugsanordnung nach den für die Untersuchungshaft geltenden Vorschriften vollzogen wurde, zog für den Angeklagten keinen Nachteil nach sich, sondern bewirkte im Gegenteil sogar, daß der erwähnte Zeitraum, in welchem der Angeklagte keinen resozialisierenden Maßnahmen im Rahmen des Strafvollzuges unterzogen werden konnte, insbesondere bei einer allfälligen späteren Beurteilung, ob die vom Angeklagten in Strafhaft zugebrachten Zeiten die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Z 2 StGB erfüllen, außer Betracht zu bleiben haben wird (vgl EvBl

1977/76 = ÖJZ-LSK 1976/345;

siehe auch EvBl 1979/123 = JBl 1979, 328).

Zum Nachteil des Angeklagten könnte sich allerdings die (nach der Aktenlage noch nicht vollzogene) gesetzwidrige Einweisung nach § 22 Abs. 1 StGB auswirken, weil sie im Falle ihrer Höchstdauer von zwei Jahren (§ 25 Abs. 1 StGB)über das Ende der Strafzeit hinaus vollzogen werden könnte, aber auch im Falle bedingter Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug die Anhaltung (in Haft und in der vorbeugenden Maßnahme) in einer die Freiheitsstrafe übersteigenden Gesamtdauer nach sich ziehen könnte, sofern es nach Verbüßung der gesamten Freiheitsstrafe zum Widerruf der bedingten Entlassung aus der Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher kommen sollte. Es waren daher die dem Landesgericht für Strafsachen Wien unterlaufenen Gesetzesverletzungen festzustellen und damit kassatorische Wirkung in dem im Spruch bezeichneten Umfang zu verknüpfen. Hinsichtlich der Verspätung in der Erlassung der Strafvollzugsanordnung und der gesetzwidrigen Anrechnung der nach Urteilsrechtskraft erlittenen Haft kann es mangels eines Nachteiles für den Verurteilten bei der Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden haben.

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