OGH 9Os152/86 (9Os153/86)

OGH9Os152/86 (9Os153/86)21.1.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.Jänner 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Kiss als Schriftführerin in der Strafsache gegen Hans Rudolf W*** wegen des Finanzvergehens der versuchten Abgabenhinterziehung nach §§ 13, 33 Abs. 1 und Abs. 3 lit. a FinStrG (aF) über den Einspruch sowie über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das (Abwesenheits-)Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 7.Juli 1986, GZ 6 d Vr 2506/86-33, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Einspruch wird zurückgewiesen.

Hingegen wird der Nichtigkeitsbeschwerde Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Hans Rudolf W*** in Abwesenheit des Finanzvergehens der versuchten Abgabenhinterziehung nach §§ 13, 33 Abs. 1 und Abs. 3 lit. a FinStrG (aF) schuldig erkannt. Darnach hat er in der Zeit vom 28.Februar 1979 bis 31.Juli 1980 in Wien im (Kompetenz-)Bereich des Finanzamtes für den 9., 18. und 19.Bezirk als Finanzstrafbehörde erster Instanz versucht, durch vorsätzliche Nichtabgabe von Erklärungen zur Umsatzsteuer nach Inanspruchnahme ungerechtfertigter Vorsteuerrückvergütungen für die Veranlagungsjahre 1978 und 1979, mithin unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflicht, Abgabenverkürzungen an Umsatzsteuer für das Jahr 1978 in der Höhe von 559.135 S und für das Jahr 1979 in der Höhe von 201.449 S zu bewirken; er wurde hiefür zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Angeklagte bekämpfte dieses Urteil mit Einspruch sowie mit Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung.

Rechtliche Beurteilung

Der Einspruch ist nicht begründet.

Nach dem Inhalt des Protokolls über die Hauptverhandlung vom 29. April 1986 hat der Vorsitzende des Schöffensenats die Anberaumung der nächsten Hauptverhandlung "auf den 7.7.1986, 9.00 Uhr, Saal 15" mündlich verkündet. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, der Verteidiger, der Angeklagte und die für die Finanzstrafbehörde erster Instanz eingeschrittene Privatbeteiligtenvertreterin haben diesen Termin inhaltlich des (vom Angeklagten ungerügt gebliebenen) Hauptverhandlungsprotokolls unter Ladungsverzicht zur Kenntnis genommen (vgl. S 237). Das Einspruchvorbringen, der mündlich verkündete Termin sei "im Trubel des allgemeinen Aufbruches" weder dem Angeklagten noch seinem Verteidiger zur Kenntnis gelangt, findet im Wortlaut der die bezüglichen Vorgänge am Schluß der Hauptverhandlung vom 29.April 1986 betreffenden Protokollierung und in den Ergebnissen der vom Obersten Gerichtshof diesbezüglich zwischenzeitig gemäß § 285 f. StPO veranlaßten Erhebungen (in den Äußerungen des Gerichtes, des Staatsanwaltes und des Privatbeteiligten) - eine vom Verteidiger angekündigte Stellungnahme hiezu blieb allerdings aus - keine Deckung. Darnach haben die am Prozeß beteiligten Parteien bzw. deren Vertreter, nachdem die Verkündung des Beschlusses auf Vertagung (und die Mitteilung) des neuen Hauptverhandlungstermins (7.Juli 1986, 9.00 Uhr) unter Begleitumständen erfolgt war, die den Beteiligten, also dem Angeklagten und dessen Verteidiger, dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft (vgl. S 334) und der Privatbeteiligtenvertreterin (vgl. S 347) die gebotene Kenntnisnahme des Termins ermöglichten, ausdrücklich auf eine schriftliche Mitteilung des bekannt gegebenen Termines verzichtet, was mit dem Vorbringen des Angeklagten, die Bekanntgabe des neuen Termins sei von ihm und von seinem Verteidiger "überhört" worden, unvereinbar ist.

In rechtlicher Beziehung ist hiezu noch folgendes anzumerken:

Nach § 79 Abs. 1 und Abs. 3 StPO hat die Vorladung des Angeklagten zur Hauptverhandlung in erster Instanz prinzipiell durch Zustellung der Ladung zu eigenen Handen des Empfängers zu erfolgen; demnach stellt die bloß mündliche Verständigung vom Hauptverhandlungstermin anstelle der im Gesetz (§ 221 Abs. 1 StPO) angeordneten, eine Belehrung über die Folgen des Nichterscheinens enthaltenden schriftlichen Vorladung an sich eine Gesetzesverletzung dar, die in der Regel - vom Fall der unzweifelhaften Erkennbarkeit, daß sie keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluß üben konnte (SSt. 48/74), abgesehen - grundsätzlich zur Kassierung des Ersturteiles führt. Allerdings kann der Angeklagte insoweit durch einen in der Form einer wirksamen Prozeßerklärung abgegebenen Verzicht auf die Schriftlichkeit der Vorladung zu einem ihm mündlich bekannt gegebenen Termin für die fortgesetzte Verhandlung eine geänderte prozessuale Situation schaffen. Denn es ist ein solcher Verzicht mangels entgegenstehender gesetzlicher Anordnung - anders als in dem im § 180 Abs. 8 StPO angeführten Fall (der Unzulässigkeit des Verzichtes auf Zustellung des Beschlusses des Untersuchungsrichters auf Verhängung der Untersuchungshaft) - durchaus zulässig und auch wirksam (vgl. hiezu auch EvBl. 1983/178 = RZ 1984/54). Der Einspruch war daher zurückzuweisen.

Der auf die Z 4, 5 und 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten hingegen kommt Berechtigung zu.

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen eröffnete der Angeklagte im März 1977 ein in Wien 18., Gentzgasse 21, etabliertes Import-Export-Unternehmen, welches den Klein- und Großhandel mit Textilien, Leder und Mineralien zum Gegenstand hatte. Bis zum Ende des Jahres 1977 hatte er einen Steuerberater mit der Erledigung der abgabenrechtlichen Agenden des Unternehmens betraut. In den Jahren 1978 und 1979 zog er diesen Tätigkeitsbereich an sich und faßte den Entschluß, ungerechtfertigte Vorsteuerrückvergütungen im Rahmen der Umsatzsteuervoranmeldungen in Anspruch zu nehmen; diese beliefen sich im Veranlagungsjahr 1978 auf insgesamt 559.135 S und im Veranlagungsjahr 1979 auf 201.449 S. Das außergewöhnliche Ausmaß der vom Angeklagten geltend gemachten Vorsteuerabzüge und das Unterbleiben einer Umsatzsteuererklärung für das Veranlagungsjahr 1978 veranlaßten das Finanzamt für den 9., 18. und 19.Bezirk, in der Zeit vom 18.Jänner bis 10.April 1980 eine abgabenbehördliche Betriebsprüfung durchzuführen. Da die hiefür benötigten Buchhaltungsunterlagen nach Behauptung des Angeklagten unmittelbar vor Beginn der Betriebsprüfung in Verstoß geraten waren, wurden die Besteuerungsgrundlagen unter Berücksichtigung der aus dem verfügbar gewesenen Jahresabschluß 1977 gewonnenen Verhältniszahlen sowie der vom Angeklagten erstatteten Umsatzsteuervoranmeldungen gemäß § 184 BAO geschätzt. Darauf aufbauend wurden die den Angeklagten treffenden Zahllasten an Umsatzsteuer für die Veranlagungsjahre 1978 und 1979 mit (in Rechtskraft erwachsenen) Bescheiden jeweils in der Höhe festgesetzt, die dem errechneten Ausmaß an ungerechtfertigt in Anspruch genommenen Vorsteuerabzügen entsprach. Den Vorsatz des Täters, durch eine zu niedrige Schätzung seiner Umsätze (?) seitens des Finanzamtes eine Abgabenverkürzung zu bewirken, folgerte der Schöffensenat aus der Abfolge der bezüglichen Geschehnisse (seit der Geschäftsgründung 1977) und aus Vorgangsweisen, die "vor Entdeckung schützen" sollten, nämlich daraus, daß der Angeklagte Umsatzsteuererklärungen für die in Rede stehenden Veranlagungsjahre ebenso unterlassen hatte, wie die Führung einer zur Rekonstruktion der Geschäftsvorgänge geeigneten Buchhaltung, ferner daß er im Zuge der Betriebsprüfung die extreme Höhe der geltend gemachten Vorsteuerabzüge weder durch ein entsprechend großes Warenlager noch durch den Nachweis von unter dem Einkaufspreis getätigten Verkäufen plausibel erklären konnte und zudem die Unauffindbarkeit der von ihm erwiesenermaßen unmittelbar vor Beginn der Betriebsprüfung übernommenen Geschäftsunterlagen behauptete.

Berechtigt ist die Beschwerde schon insoweit, als der Angeklagte - gestützt auf § 281 Abs. 1 Z 9 lit. a, inhaltlich jedoch Z 5 StPO - mit dem Einwand, die Bindung des Strafgerichts an die rechtskräftige Abgabenfestsetzung durch die zuständige Abgabenbehörde enthebe das Gericht nicht von der Verpflichtung, die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen selbständig zu prüfen und dabei insbesondere die Gründe für die Annahme vorsätzlicher Tatbegehung anzuführen, der Sache nach eine unzureichende Begründung der Urteilsannahmen zur inneren Tatseite geltend macht. Bei der vorliegenden Fallkonstellation ist nämlich davon auszugehen, daß der Abgabenbehörde (nach Maßgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen in Verbindung mit den geltend gemachten Vorsteuerabzügen) der grundsätzliche Bestand der die jeweilige Umsatzsteuer betreffenden Abgabenpflicht (unabhängig von weiteren Veranlassungen des Angeklagten) jedenfalls bekannt gewesen war, weshalb die Unterlassung nachfolgender Abgabenerklärungen zur Umsatzsteuer in bezug auf die in Rede stehenden Veranlagungsjahre zwangsläufig zu der Annahme führt, daß der Angeklagte mit einer Festsetzung seiner Abgabenschuld durch die Behörde ohne seine Mitwirkung im Wege einer Schätzung (§ 184 BAO) gerechnet hat (EvBl. 1983/10 = SSt. 53/14). Demzufolge muß ein dem Angeklagten anzulastender Verkürzungsvorsatz denknotwendigerweise auf der Erwartung aufbauen, daß die abgabenbehördliche Schätzung zu einer die wahre Abgabenschuld nicht voll erfassenden Abgabenfestsetzung führen werde. Da es aber dem Grundkonzept des geltenden Umsatzsteuersystems ("Allphasensteuer") entspricht, die zu versteuernden Umsatzdimensionen anhand der Höhe der jeweils geltend gemachten Vorsteuerabzüge zu überprüfen (vgl. Doralt-Ruppe, Grundriß des österreichischen Steuerrechts I 3 , S 264), kann einem steuerpflichtigen Unternehmer, der es auf eine abgabenbehördliche Schätzung seiner Umsatzsteuerschuld ankommen läßt, realistischerweise nicht ohne weiteres die Erwartung unterstellt werden, daß die Abgabenbehörde Warenbestände, von deren Eingang sie durch die geltend gemachten Vorsteuerabzüge Kenntnis erlangt hat, im Zuge des Bemessungsvorgangs bei der Umsatzschätzung lediglich deshalb unberücksichtigt lassen werde, weil Erklärungen zur Umsatzsteuer unterblieben sind. Solcherart stellt nach Lage des Falles der Hinweis auf die Unterlassung der vorgeschriebenen Erklärungen zur Umsatzsteuer selbst im Zusammenhang mit der vom Angeklagten zu vertretenden Unauffindbarkeit der bezüglichen Buchhaltungsunterlagen (für sich allein) noch keine tragfähige Begründung für die Urteilsannahme dar, daß sich der Tätervorsatz auf eine Verkürzung der auf die Veranlagungsjahre 1978 und 1979 entfallenden Umsatzsteuer um (ausschließlich) die Summe der ungerechtfertigten Vorsteuerabzüge erstreckt hat. Dies umsoweniger, als die abgabenbehördliche Betriebsprüfung nach den erstgerichtlichen Konstatierungen bereits am 18.Jänner 1980, sohin zu einem Zeitpunkt eingeleitet worden ist, zu dem die gesetzliche Frist für die Abgabe der Erklärung zur Umsatzsteuer für das Jahr 1979 noch nicht abgelaufen war. Im hier aktuellen Fall des Versuchs einer auf die Höhe ungerechtfertigt geltend gemachter Vorsteuerabzüge beschränkten Verkürzung der Umsatzsteuer durch bloße Unterlassung entsprechender Abgabenerklärungen erweist es sich im Interesse einer mängelfreien Begründung der Annahme der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen nach § 33 Abs. 1 lit. a FinStrG als unumgänglich, jene besonderen Umstände speziell darzutun, welche die Annahme eines auf die Erzielung eines gegenüber der wahren Abgabenschuld vorteilhaften abgabenbehördlichen Schätzungsergebnisses gerichteten Tätervorsatzes - ein solcher könnte etwa im Fall wahrheitswidriger Behauptungen über den Untergang gelagerter Waren oder über die Weiterveräußerung von Waren zu die Einstandspreise nicht übersteigenden Verkaufspreisen indiziert sein - zu tragen vermögen.

Da der von der Beschwerde der Sache nach zu Recht aufgezeigte Begründungsmangel vom Obersten Gerichtshof nicht saniert werden kann und die Durchführung einer neuen Hauptverhandlung sohin unumgänglich ist, war der Schuldspruch schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zu kassieren (§ 285 e StPO), ohne daß es erforderlich gewesen wäre, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen. Nur der Vollständigkeit halber sei im gegebenen Zusammenhang noch bemerkt, daß die Prüfung der Frage, inwieweit der Angeklagte durch die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Vorsteuerabzügen das (vollendete) Finanzvergehen nach § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG oder (bloß) die Finanzordnungswidrigkeit nach § 49 Abs. 1 lit. b FinStrG verwirklicht hat (13 Os 38/86, 13 Os 56/86), auf sich beruhen kann, weil eine Verkürzung der Umsatzsteuer im Voranmeldungsstadium von der Anklagebehörde im vorliegenden Fall nicht inkriminiert worden ist.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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