OGH 9ObA93/16s

OGH9ObA93/16s29.9.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martina Rosenmayr‑Khoshideh und Robert Hauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** eU, *****, vertreten durch Dr. Peter Lessky, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei J***** M*****, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in Wien, wegen 2.835 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 18. Februar 2016, GZ 8 Ra 87/15w‑43, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00093.16S.0929.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Sittenwidrigkeit liegt insbesondere dann vor, wenn der Vertrag eine krasse einseitige Benachteiligung eines Vertragspartners enthält. Im Hinblick auf den Grundsatz der Privatautonomie wird die Rechtswidrigkeit wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nur dann bejaht, wenn die Interessenabwägung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen ergibt oder wenn bei einer Interessenkollision ein grobes Missverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen besteht (RIS‑Justiz RS0045886). Dies ist jeweils anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0042881 [T6, T8]). Ob Sittenwidrigkeit vorliegt, ist daher nicht aufzugreifen, wenn das Berufungsgericht bei dieser Entscheidung – wie hier – die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens nicht überschritten hat (RIS‑Justiz RS0042881 [T8]).

Im Anlassfall nahm die Beklagte von 3. 9. 2012 bis 31. 1. 2014 an einem von der Klägerin veranstalteten Ausbildungslehrgang zur Vermittlung der praktischen und theoretischen Kenntnisse für den Friseurberuf teil. Dazu schlossen die Parteien einen „Ausbildungs- und Praktikantenvertrag“ ab, aufgrund dessen die Beklagte an die Klägerin ein Schulgeld zu bezahlen hatte. Dies bestand aus einer Einschreibegebühr von 200 EUR, einem Betrag von 1.400 EUR (exklusive USt) an Materialkosten für Scheren, Kämme, Bürsten, Trainingsmaterial und Schulungsunterlagen, einer Unterrichtsgebühr für die ersten vier Monate von je 480 EUR (inklusive USt) und für die weiteren Monate von je 241,20 EUR. Außerdem fielen Prüfungsgebühren an. Für den theoretischen und praktischen Unterricht waren insgesamt 337 Tage vorgesehen, wobei der Beklagten im Vertrag 20 Abwesenheitstage zugestanden wurden. Für den Fall, dass die Beklagte nach Verbrauch dieser Abwesenheitstage vom Unterricht fern bleiben sollte, behielt sich die Klägerin das Recht zur sofortigen Vertragsauflösung und der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen vor. Darüber hinaus legte der Vertrag fest, dass ab dem 21. Abwesenheitstag für jeden weiteren Abwesenheitstag als Ausgleich für den Verdienstentgang des Ausbildners dem Teilnehmer/in der Betrag von 70 EUR in Rechnung gestellt wird.

Das Berufungsgericht begründete die Sittenwidrigkeit der letztgenannten Vertragsbestimmung damit, dass die bloß an die Abwesenheit der Beklagten ab dem 21. Tag geknüpfte weitere, über die ohnehin von ihr geleistete Unterrichtsgebühr hinausgehende, Zahlungsverpflichtung von (pauschal) 70 EUR für jeden Abwesenheitstag ab dem 21. Tag, ohne dass der Beklagten dafür ein entsprechendes Äquivalent gewährt werde, sachlich nicht gerechtfertigt sei. Durch die dadurch geschaffene besonders gravierende Ungleichgewichtslage in den durch den Vertrag festgelegten Rechtspositionen werde die Beklagte auch gröblich benachteiligt. Ein durch die Abwesenheit eines Teilnehmers des Ausbildungslehrgangs verursachter Verdienstentgang eines Ausbildners sei nicht erkennbar.

Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts vermag die Klägerin in ihrer Revision nicht aufzuzeigen. Dass der Schulbetrieb nur dann kostendeckend arbeiten könne, wenn die angemeldeten Teilnehmer auch anwesend seien, ist schon im Hinblick auf die von jedem Teilnehmer – unabhängig von seiner Anwesenheit – zu tragende Unterrichtsgebühr nicht nachvollziehbar. Von einer Drucksituation der Beklagten zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ist das Berufungsgericht ohnehin nicht ausgegangen.

Die Frage, ob es sich im vorliegenden Fall um einen Ausbildungsvertrag oder um einen Arbeitsvertrag gehandelt habe, muss daher nicht mehr geprüft werden.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.

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