European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00075.15T.0924.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung nunmehr zu lauten hat:
„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 604,80 EUR samt 8,38 % Zinsen aus 37,80 EUR seit 1. 6. 2011, 1. 7. 2011, 1. 8. 2011, 1. 9. 2011, 1. 10. 2011, 1. 11. 2011, 1. 12. 2011, 1. 1. 2012, 1. 2. 2012, 1. 3. 2012, 1. 4. 2012, 1. 5. 2012, 1. 6. 2012, 1. 7. 2012, 1. 8. 2012 und 1. 9. 2012 zu bezahlen, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 354,67 EUR (darin 59,11 EUR USt) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 325,25 EUR (darin 54,21 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 222,91 EUR (darin 37,15 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist gelernte Schneiderin und bei der Beklagten seit 1. 9. 1978 als Ankleiderin beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis ist der Kollektivvertrag zwischen dem Theatererhalterverband Österreichischer Bundesländer und Städte sowie dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft Kunst, Medien, Sport, freie Berufe, Sektion Technik in Veranstaltungsbetrieben vom 1. 9. 2001 (im Folgenden nur Kollektivvertrag bzw KV) anwendbar. Nach § 28 Z 1 KV (Lohngruppeneinteilung) unterfällt die Tätigkeit der Klägerin grundsätzlich der Lohngruppe H („Ankleider [zB Schneider]“). Sie wurde von der Beklagten jedoch schon bei Beginn des Dienstverhältnisses in die (höhere) Lohngruppe G („In ihrem erlernten Beruf verwendete Mitarbeiter mit erhöhtem Verantwortungsbereich...“) eingereiht. Der Tätigkeitsbereich der Klägerin ist seit Beginn des Dienstverhältnisses gleich geblieben.
Am 18. 11. 1991 gewährte die Beklagte der Klägerin, wie allen dem Kollektivvertrag unterliegenden Mitarbeitern (mit Ausnahme des Publikumsdienstes), eine außertourliche Gehaltsvorrückung (unstrittiger Inhalt der Beilage ./1). Demzufolge wurde die Klägerin mit Wirksamkeit vom 1. 4. 1991 in die nächsthöhere Lohngruppe G1 („Techn. Angestellte“), Stufe 5, umgereiht. Die Beklagte zahlte der Klägerin von Mai 2011 bis August 2012 ein Entgelt entsprechend der Lohngruppe G1, Stufe 16 (nach 30 Dienstjahren).
Die Klägerin begehrt der Höhe nach unstrittige monatliche Gehaltsdifferenzen von jeweils 37,80 EUR für die Zeit von Mai 2011 bis August 2012. Bei linearer Einstufung habe sie nach 32 Dienstjahren einen kollektivvertraglichen Anspruch auf ein monatliches Grundgehalt von 2.146,16 EUR laut Lohngruppe G1, Stufe 17.
Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass nur Dienstzeiten in der jeweiligen Lohngruppe für die Vorrückung in die nächste Gehaltsstufe maßgebend seien. Durch die freiwillige „Umreihung“ in die höhere Lohngruppe G1 habe der Klägerin auch kein Nachteil entstehen können.
Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 4 Z 4, § 32 Z 4 erster Satz KV sei die Vordienstzeitenanrechnung nicht auf jene Zeiten beschränkt, die der Dienstnehmer in der jeweiligen Lohn- oder Gehaltsgruppe zurückgelegt habe, sondern es seien sämtliche Beschäftigungszeiten voll anzurechnen. Eine andere Beurteilung sehe der Kollektivvertrag auch im Falle einer freiwillig gewährten Gehaltsvorrückung nicht vor. Ausgehend von einer Beschäftigungsdauer von mehr als 32 Jahren sei die Klägerin im klagsgegenständlichen Zeitraum nach der Lohngruppe G1, Stufe 17, zu entlohnen. Da der Kollektivvertrag insofern eine eindeutige Regelung biete, ließ das Berufungsgericht die ordentliche Revision nicht zu.
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem auf Klagsabweisung gerichteten Revisionsantrag. Nach dem Kollektivvertrag seien nur jene Dienstzeiten anzurechnen, die in der betreffenden Gehaltsstufe zurückgelegt worden seien. Zudem finde eine freiwillige Lohnerhöhung nach § 32 Z 4 Satz 2 und 3 KV keine Berücksichtigung.
Die Klägerin beantragt in ihrer vom Senat freigestellten Revisionsbeantwortung , die Revision der Beklagten mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und berechtigt.
Die Klägerin stützt ihren Klagsanspruch im Revisionsverfahren auf § 32 KV, ohne aber dem Aspekt der hier von der Beklagten vorgenommenen freiwilligen Höherreihung besondere Beachtung zu schenken. Eine andere Anspruchsgrundlage macht sie nicht geltend. Aus dieser Kollektivvertragsbestimmung lässt sich ihr Anspruch jedoch nicht ableiten:
§ 32 KV (Grundsätzliches, Wechsel in neue Lohn‑/Gehaltsgruppe) lautet auszugsweise:
„1. Die Lohn- und Gehaltsansätze sowie die Zulagenordnung enthalten lediglich die kollektivvertragliche Mindestentlohnung. Günstigere Vereinbarungen sind möglich.
2. Haben vor dem Inkrafttreten dieses Kollektivvertrages günstigere einzelvertragliche Vereinbarungen bestanden, bleiben diese aufrecht.
3. Aus Anlass des Inkrafttretens der Lohn-/Gehaltsansätze gem. § 34 KV hat keine Erhöhung der bisherigen Bezüge bei Wechsel der Lohn-/Gehaltsgruppe zu erfolgen, sofern der bisherige Bezug die Entlohnung nach dem nachstehenden Gehaltsschema übersteigt; dies gilt auch bei Funktions-, Verwendungs- oder Leiterzulagen. ...
4. Die Einreihung in eine höhere neue Lohn-/Gehaltsgruppe hat entsprechend den gemäß KV oder BV anzurechnenden Beschäftigungsjahren zu erfolgen. Darüber hinaus freiwillig oder einzelvertraglich gewährte Vorrückungen sind nicht zu berücksichtigen. Kommt es daher nach dieser Bestimmung zu einem zusätzlichen Entgelt, ist es bei künftigen Vorrückungen in der gleichen Lohn-/Gehaltsgruppe aufrecht zu erhalten, und zwar zu den bisherigen Bedingungen (z.B. gegebenenfalls auch Einbeziehung in Sonderzahlungen bzw. Valorisierung, wenn dies bisher so behandelt wurde).“
Dass die Klägerin aufgrund der Stellenbeschreibung im Dienstvertrag (§ 7 Z 3 KV) und, weil sich ihre Tätigkeit seit diesem Zeitpunkt nicht verändert hat, nicht der Lohngruppe G1 zugehörig wäre, wird von ihr nicht in Frage gestellt. Das erstinstanzliche Vorbringen der Beklagten, der Klägerin sei durch die Umreihung in die Lohngruppe G1 gar kein Nachteil entstanden, weil sie nie einen Anspruch auf Umreihung in die Lohngruppe G1 gehabt habe, wurde von der Klägerin daher auch nicht bestritten.
Da die Lohn‑ und Gehaltsansätze des anzuwendenden Kollektivvertrags nach § 32 Z 1 Satz 1 KV nur die kollektivvertragliche Mindestentlohnung enthalten, ist in der freiwilligen Höherreihung und Einstufung der Klägerin in die Lohngruppe G1, Stufe 5, die Vereinbarung einer von der kollektivvertraglichen Entlohnung abweichenden Entlohnung zu sehen, die nach Maßgabe der Günstigkeit für die Klägerin (jedenfalls auch für den klagsgegenständlichen Zeitraum) zulässig war und ist (§ 32 Z 1 Satz 2 KV). Auf eine andere Vereinbarung mit der Beklagten, aus der hervorginge, dass der Klägerin mit der freiwilligen Umreihung durch die Beklagte im Jahr 1991 ein Gehalt der Lohngruppe G1 bei gleichzeitiger linearer Einstufung in die gleiche Gehaltsstufe zukommen sollte, beruft sich die Klägerin auch nicht.
Aus § 32 Z 4 KV ist für die Klägerin nichts zu gewinnen. Diese Bestimmung ist ihrem Wortlaut nach zwar grundsätzlich bei jeder Einreihung in eine höhere Lohn‑/Gehaltsgruppe anzuwenden, und zwar ohne Einschränkung darauf, ob die Einreihung eine Gehaltserhöhung darstellen sollte (also freiwillig gewährt wurde) oder durch eine Änderung der Tätigkeit oder wegen des Inkrafttretens der Lohn-/Gehaltsansätze des KV nötig wurde. Gerade im systematischen Zusammenhang mit der Bestimmung des § 32 Z 1 Satz 2 KV, wonach eine günstigere Entlohnung ausdrücklich zulässig sein sollte, ist aber davon auszugehen, dass die Bestimmung des § 32 Z 4 KV nur den Wechsel in eine neue Lohn- oder Gehaltsgruppe erfassen sollte, die durch eine Änderung der Tätigkeit oder der rechtlichen Rahmenbedingungen (Inkrafttreten der neuen Lohn‑ bzw Gehaltsgruppen; vgl dazu auch § 32 Z 3 KV) nötig wurde. Für die Kollektivvertragsparteien bestand auch kein Anlass, Vorgaben für den Fall einer freiwilligen Höherreihung zu machen, muss doch die dem Dienstnehmer ‑ in Form einer Höherreihung gewährte ‑ Lohn‑/Gehaltserhöhung des Dienstgebers insgesamt günstiger sein, als die kollektivvertragliche Mindestentlohnung (§ 32 Z 1 Satz 2 KV). Da dies hier aber unabhängig davon der Fall ist, ob zur Berechnung des kollektivvertraglichen Mindestentgelts nach dem Kollektivvertrag eine Beschäftigungsdauer der Klägerin von mehr als 30 oder mehr als 32 Jahren heranzuziehen ist, muss auf die von den Vorinstanzen vorgenommene Kollektivvertragsauslegung (auch zu § 4 Z 4 und § 7 Z 4 KV) nicht weiter eingegangen werden.
Zusammengefasst kann mit einem Dienstnehmer nach dem Kollektivvertrag zwischen dem Theatererhalterverband Österreichischer Bundesländer und Städte sowie dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft Kunst, Medien, Sport, freie Berufe, Sektion Technik in Veranstaltungsbetrieben vom 1. 9. 2001 eine im Vergleich zum kollektivvertraglichen Mindestentgelt günstigere Vereinbarung abgeschlossen werden (§ 32 Z 1 Satz 2 KV). Geschieht dies in Form einer freiwilligen Umreihung in eine höhere Lohn-/Gehaltsgruppe durch den Dienstgeber, dann ist damit ‑ ohne gesonderte Vereinbarung zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer ‑ nach dem Kollektivvertrag nicht automatisch auch eine linear gleichbleibende Einstufung verbunden.
Der Revision der Beklagten ist danach Folge zu geben und das Klagebegehren in Abänderung der klagsstattgebenden Entscheidungen der Vorinstanzen abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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