Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 199,87 (darin EUR 33,31 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Im November 2003 fand ein gegen die (geplanten) gesetzlichen Eingriffe in die Dienstverträge der Eisenbahner gerichteter, von der Gewerkschaft der Eisenbahner organisierter, Streik statt. Durch die Streikmaßnahmen war es der Beklagten nicht möglich, den Kläger am 4., 13. und 14. November 2003 in seiner Verwendung als Zugbegleiter einzusetzen. Der Kläger, dem bewusst war, dass sich der Streik seiner Kollegen gegen ein gesetzgeberisches Vorhaben richtet, mit dem auch ein Eingriff in seinen Dienstvertrag geplant war, erschien jeweils zu Beginn seiner planmäßigen Dienstschicht, bekundete seine Arbeitsbereitschaft und hielt sich die gesamte vorgesehene Dienstzeit in den Betriebsräumlichkeiten der Beklagten auf. Wegen des Streiks wurde ihm jedoch keine Arbeit zugeteilt. Die Beklagte brachte in der Gehaltsabrechnung unter der Position „Streik" den Klagebetrag in Abzug.
Der Kläger begehrt die Nachzahlung rückständigen Arbeitsentgelts. Er sei nachweislich arbeitsbereit gewesen. Auch im Sinne des Sphärentheorie wäre ein Geldanspruch zu bejahen, weil seine Arbeitsleistung primär durch die Beklagte verhindert worden sei, die sich geweigert habe, die Forderungen der streikenden Mitarbeiter zu erfüllen.
Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, die Umstände, die zum Nichtzustandekommen der Dienstleistungen an den Streiktagen geführt haben, seien nicht auf ihrer Seite gelegen. In der Rechtslehre werde zum Entgeltanspruch des Nichtstreikenden überwiegend die Meinung vertreten, dass die Wirkungen kollektiver Kampfmaßnahmen von der Arbeitnehmerseite nicht dazu führen könnten, dass dem Dienstgeber das Entgeltrisiko für kollektive Aktionen der Arbeitnehmerschaft aufgebürdet würde. Eine ausgewogenen Arbeitsrechtsordnung, die den Streik grundsätzlich dulde, habe auch dafür zu sorgen, dass jede der Arbeitskampfparteien die nachteiligen Folgen ihres Verhaltens grundsätzlich selbst zu tragen habe und diese nicht auf die Angehörigen der anderen Gruppe abgewälzt werden dürften. Der Streik sei auch zugunsten der nichtstreikenden Arbeitnehmer geführt worden, die auch von einem Streikergebnis profitierten. Es lägen keine Umstände auf Seiten der Beklagten vor, die nach § 1155 ABGB eine Entgeltfortzahlung für den Kläger begründeten, zumal die Beklagte keinen Einfluss auf die dem Gesetzgeber vorbehaltene Regelungskompetenz habe.
Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger EUR 376,88 samt 4 % Zinsen zu zahlen; ein Zinsenmehrbegehren wurde (rechtskräftig) abgewiesen. Die Streikmaßnahmen seien als politischer Streik zu werten, da sie sich gegen die beabsichtigten gesetzlichen Eingriffe in die Dienstverträge der Eisenbahner gerichtet haben und die Beklagte keinen Einfluss auf eine Änderung oder Nichtänderung der dem Gesetzgeber vorbehaltenen Regelungskompetenzen hätte nehmen können. Aus der (älteren) Rechtsprechung (SZ 3/84) ergebe sich, dass Streiks im allgemeinen Betriebsstörungen seien, die den arbeitswilligen Dienstnehmern den Entgeltanspruch erhalten, und zwar auch dann, wenn die Arbeit infolge eines Teilstreiks unrentabel und unwirtschaftlich gewesen wäre. Der sich zum Dienst meldende Arbeitnehmer bekunde seine Arbeitsbereitschaft; dass diese nur eine scheinbare gewesen wäre, hätte ihm nachgewiesen werden müssen. Die von der Beklagten behauptete objektive Interessensolidarität der Dienstnehmer bilde keine so starke Grundlage für einen Durchgriff auf den einzelnen Dienstnehmer, dass es gerechtfertigt wäre, den Verhinderungsgrund nicht dem Dienstgeber zuzuordnen. Es wäre der Beklagten auch freigestanden, für eine ähnliche Beschäftigung des Klägers Vorsorge zu treffen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die Revision für zulässig. Ein echtes Streikrecht existiere in Österreich nicht; nur wenige gesetzliche Bestimmungen befassten sich ausdrücklich mit Streik und zudem nur mit Randfragen. Während in Deutschland die Ansicht bestehe, dass der Arbeitskampf ein einheitliches Geschehen sei, das kollektivrechtlich und individualrechtlich nicht anders gedeutet werden könne, weshalb bei Rechtmäßigkeit der Kampfaktion arbeitsvertragliche Konsequenzen ausschieden, stehe die österreichische Lehre auf dem Standpunkt, dass zwischen der Kollektivaktion und der Beurteilung der individualrechtlichen Fragen nach dem Vertragsrecht zu unterscheiden sei. Auch legitime Kollektivaktionen könnten in das Individualarbeitsrecht nicht in einer den Vertragsbruch sanierenden Weise eingreifen. Im Arbeitsverhältnis stehe Entgelt grundsätzlich für geleistete Arbeiten zu. Jede Beteiligung eines Arbeitnehmers an einem Streik führe zum Entfall des Entgeltsanspruchs für die Dauer des Arbeitskampfs, unabhängig davon ob die Gesamtaktion rechtmäßig sei. Der Entgeltanspruch nichtstreikender, kampfbetroffener Arbeitnehmer könne nur auf § 1155 ABGB beruhen. Diese Bestimmung beschränke die Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers auf solche Arbeitsunterbrechungen, die unter Bedachtnahme auf die Umstände des Einzelfalls eindeutig der Einflusssphäre des Arbeitgebers zuzurechnen seien. Nur wenn ein Ereignis über die Arbeitgebersphäre hinaus in vergleichbarer Weise die Allgemeinheit treffe, wie Elementarereignisse (Seuchen, Krieg, Terror) bestehe keine Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers. Nach der Rechtsprechung (SZ 3/84) stelle ein Streik eine Betriebsstörung dar, die den Dienstgeber nicht berechtige, seine Verpflichtungen gegenüber arbeitswilligen Arbeitnehmern zu verweigern. In der Lehre bestünden divergierende Ansichten, wobei insbesondere für den Fall fehlenden Nachweises eines Mangels an Arbeitsbereitschaft die Zahlungspflicht des Arbeitgebers überwiegend bejaht werde. Die den Entgeltanspruch versagende Ansicht stütze sich weniger auf § 1155 ABGB als auf arbeitskampfrechtliche Überlegungen, insbesondere den Solidaritätsgedanken. So werde etwa angenommen, dass die Arbeitsrechtsordnung, die den Streik dulde, dafür zu sorgen habe, dass jede der Kampfparteien die nachteiligen Folgen ihres Verhaltens selbst zu tragen habe und nicht auf die Angehörigen der anderen Gruppe abladen dürfe. Nach dieser Auffassung bedürfe eine ausgewogene Arbeitskampfordnung der Kampfmittelparität. Es werde auch darauf hingewiesen, dass etwa § 13 AlVG zeige, dass die österreichische Rechtsordnung sich darum bemühe, das Arbeitskampfrisiko dem Dienstnehmer zu belassen, weshalb an eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs des § 1155 ABGB zu denken sei. Nach Auffassung des Berufungsgerichts bilde die Rechtsordnung für die Interessensolidarität keine so starke Grundlage, dass das Entgeltrisiko bei Streik (auch) den Nichtstreikenden zuzuordnen wäre. Der Verweis auf die „Kampfparität" als Grundprinzip des Arbeitskampfes könne nicht durchschlagen, weil dieser aus der deutschen Betriebsrisikolehre stammende Grundsatz in Österreich an § 1155 ABGB scheitere. In der Anerkennung eines Entgeltanspruchs Nichtstreikender liege auch keine Diskriminierung der Streikenden, weil diese ihre Arbeitsleistung gezielt nicht erbringen und überdies einen Entgeltausfall - sofern sie Gewerkschaftsmitglieder sind - von der Gewerkschaft bezahlt erhielten. Dem Berufungsgericht seien die Konsequenzen der Rechtsprechung mit Bejahung eines Entgeltsanspruchs nichtstreikender arbeitswilliger Mitarbeiter bei Teilstreik durchaus bewusst; es sehe es aber nicht als seine Aufgabe an, durch Ablehnung des Anspruchs mögliche Missbrauchsszenarien durch Schwerpunktstreiks und Überwälzung des Streikrisikos auf den Arbeitgeber hinanzuhalten. Die (ordentliche) Revision sei wegen des Fehlens neuerer Rechtsprechung zum Entgeltsanspruch arbeitswilliger Arbeitnehmer zulässig.
Rechtliche Beurteilung
In der zu 8 ObA 23/05y ergangenen Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof jüngst zur grundsätzlichen Frage, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber auch nicht streikenden (arbeitswilligen) Arbeitnehmern das Entgelt verweigern kann, unter ausführlicher Darstellung des Meinungsstands in der Lehre Stellung genommen. Der erkennende Senat schließt sich diesen Ausführungen an, sodass es ausreicht, darauf zu verweisen. Den Arbeitgeber trifft somit grundsätzlich zumindest die Obliegenheit, den Arbeitnehmer unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass er die angebotene Arbeitsleistung nicht annehmen will oder kann. Er kann sich daher nicht erst im Nachhinein darauf berufen, die Arbeitsbereitschaft des im Betrieb anwesenden Arbeitnehmers sei für ihn deshalb nicht von Vorteil gewesen, weil wegen des Streiks des Großteils der Belegschaft der gesamte Betrieb stillgestanden sei.
Im vorliegenden Fall ist der Kläger jeweils zum planmäßigen Dienstbeginn im Betrieb erschienen, hat - soweit dies möglich war - seine Arbeitsbereitschaft bekundet und die gesamte planmäßige Dienstzeit in den Betriebsräumlichkeiten verbracht. Damit hat er zweifellos seine Arbeitsbereitschaft angeboten, ohne dass es zu deren Zurückweisung durch die Beklagte gekommen wäre, die ihm insbesondere auch nicht die Möglichkeit eröffnet hat, mit ihrem Einverständnis den Betrieb zu verlassen und die vorgesehene Dienstzeit anderweitig zu nutzen. Die schon in 8 ObA 23/05y geforderte (ernstliche und eindeutige) Erklärung, die Dienste des Klägers (streikbedingt) nicht in Anspruch zu nehmen, hat die Beklagte somit nicht abgegeben. Hat sie aber nur die Entgegennahme der angebotenen Arbeitsbereitschaft nicht abgelehnt, kann sie die Zahlung des auf die Streiktage entfallenden Lohns jedenfalls nicht verweigern.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.
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