OGH 9ObA6/09m

OGH9ObA6/09m15.12.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Robert Hauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei J***** B*****, Buslenker, *****, vertreten durch Klein, Wuntschek & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei Graz AG - Stadtwerke für kommunale Dienste, 8011 Graz, Andreas Hofer Platz 15, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltgesellschaft mbH in Graz, wegen 75,59 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil und den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5. November 2008, GZ 7 Ra 75/08s-20, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 7. Februar 2008, GZ 49 Cga 119/07d-13, teils bestätigt, teils abgeändert und teils aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1) Die „Revision" wird, soweit sie sich gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts richtet, zurückgewiesen.

2) Im Übrigen wird der Revision Folge gegeben.

Die (Teil-)Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Arbeitsrechtssache im hievon betroffenen Umfang an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des hierauf entfallenden Verfahrens dritter Instanz sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger ist seit 1984 bei der Beklagten beschäftigt. Er ist als Buschauffeur eingesetzt und befährt als solcher mit Linienbussen der Beklagten das Straßennetz im Grazer Einzugsgebiet. Auf das Dienstverhältnis kommt der Kollektivvertrag für die Dienstnehmer der Verkehrsbetriebe der Grazer Stadtwerke AG (in der Folge: Kollektivvertrag) zur Anwendung. Im Rahmen des von der Beklagten erstellten Dienstplans wird der Kläger überwiegend zu geteilten Diensten eingeteilt. Das bedeutet, dass er zwischen dem Ende eines Dienstteils und dem Beginn des nächsten Dienstteils eine Wegstrecke zurücklegen muss, um zu seinem im Zuge des Dienstplans vorgegebenen nächsten Abfahrtsort zu gelangen. Dafür kann der Kläger kostenlos die öffentlichen Verkehrsmittel der Beklagten benützen. Er erhält für diese Dienstwege von der Beklagten einen monatlichen Pauschalbetrag von 17,39 EUR brutto. Diese pauschale Abgeltung wird für jeden Arbeitnehmer, abgestellt auf den jeweiligen Dienstplan, durchgerechnet und beträgt zwischen 9 und 18 EUR brutto. Für die ab 1. 7. 2006 neu eingetretenen Arbeitnehmer der Beklagten werden aus Einsparungsgründen keine pauschalen Abgeltungen mehr für die zwischen zwei geteilten Diensten liegenden Zeitintervalle geleistet.

Die Dienstpläne werden den Mitarbeitern der Beklagten im Vorhinein zugemittelt. Aufgrund des Dienstplans fertigt der Kläger vorbereitende kalendarische Aufzeichnungen über die bevorstehenden geteilten Dienste an.

Im Mai 2007 war der Kläger im Krankenstand, erhielt aber die pauschale Abgeltung von 17,39 EUR brutto ausgezahlt. In diesem Monat hätte der Kläger (unter Berücksichtigung von Warte- bzw Umsteigzeiten von je 5 Minuten) zwischen zwei Diensten folgende Wegzeiten absolvieren müssen:

Datum Teildienstende Teildienstbeginn Wegzeit

1. 5. 07 14:12 Uhr 15:03 Uhr 17 Min.

2. 5. 07 7:57 Uhr 9:15 Uhr 32 Min.

2. 5. 07 12:15 Uhr 13:47 Uhr 17 Min.

3. 5. 07 10:15 Uhr 12:47 Uhr 39 Min.

7. 5. 07 18:37 Uhr 19:34 Uhr 32 Min.

8. 5. 07 17:32 Uhr 18:27 Uhr 20 Min.

9. 5. 07 14:41 Uhr 16:08 Uhr 33 Min.

13. 5. 07 12:12 Uhr 12:50 Uhr 22 Min.

20. 5. 07 17:27 Uhr 18:34 Uhr 30 Min.

21. 5. 07 17:17 Uhr 18:27 Uhr 20 Min.

22. 5. 07 14:30 Uhr 15:27 Uhr 15 Min.

25. 5. 07 10:27 Uhr 14:41 Uhr 28 Min.

26. 5. 07 10:10 Uhr 10:55 Uhr 17 Min.

27. 5. 07 9:15 Uhr 10:09 Uhr 15 Min.

337 Min.

Am Jakominiplatz befindet sich ein Aufenthalts- und Mannschaftsraum, in dem die Arbeitnehmer der Beklagten die Pausen verbringen können. Dort gibt es auch Automatenkaffee und die Möglichkeit, Jausen einzunehmen. Die Dienstpläne sind auf das Grazer Verbundnetz abgestellt. Die Hauptablösen zwischen den geteilten Diensten befinden sich in der Garage, am Jakominiplatz sowie am Hauptbahnhof, wobei für den Kläger der Dienstbeginn zumeist bei der Garage in der Kärntner Straße liegt. In den Unterbrechungszeiten zwischen den geteilten Diensten fallen für den Fahrer keine bestimmten Aufgaben an; auch auf der Fahrt zum nächsten Abfahrtsort muss er keine eigenen Lenktätigkeiten verrichten. Er muss aber Dienstkleidung tragen.

Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Zahlung von 75,59 EUR brutto sA an restlicher Wegzeitenabgeltung für Mai 2007. Zwischen den geteilten Diensten müsse er oftmals Dienstwege quer durch ganz Graz zurücklegen, um zum vorgegebenen Abfahrtsort des nächsten Dienstteils zu gelangen. Die dafür aufgewendete Zeit sei nicht als „Weg zur Arbeit" und daher als Freizeit, sondern gemäß § 2 AZG als Arbeitszeit zu qualifizieren, die in Form von zuschlagspflichtigen Überstunden abzugelten sei. Die dafür von der Beklagten gezahlte Pauschalabgeltung von 17,39 EUR brutto monatlich entspreche nicht dem tatsächlichen Zeitaufwand. Schon aufgrund der Kürze der Unterbrechungsintervalle könne der Kläger diese Zeit nicht sinnvoll (privat) nützen; die Zeit reiche oft gerade aus, um den Abfahrtsort des folgenden Dienstteils rechtzeitig zu erreichen. Durch diese Betriebswege komme es auch zu einer Verkürzung der Arbeitspausen zwischen den geteilten Diensten. Für Mai 2007 errechne sich daher bei einem Gesamtausmaß der notwendigen Dienstwege von 337 Minuten (5,62 Stunden) eine Restforderung des Klägers in der Höhe des Klagebetrags. Dass der Kläger im Mai 2007 im Krankenstand war, ändere an seinem Anspruch nichts, weil ihm nach den Bestimmungen des EFZG auch im Krankenstand derselbe Lohn gebühre und es nur auf den tatsächlichen Lohnausfall im Krankenstandszeitraum ankomme. Der Kläger hätte im Mai 2007, wäre er nicht krank gewesen, laut Dienstplan Dienst getan und deshalb die oben angeführten Wegzeiten zwischen den geteilten Diensten zurücklegen müssen.

Im Übrigen habe die Beklagte die Wegzeiten bis etwa Jahresmitte 2006 allen Mitarbeitern gezahlt. Erst mit diesem Zeitpunkt sei die Beklagte einseitig von ihrer bisherigen Praxis abgegangen. Der geltend gemachte Anspruch werde daher auch auf die ursprüngliche Vereinbarung bzw auf eine betriebliche Übung gestützt.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die vom Kläger geltend gemachten Zeiten seien keine Dienstzeiten, sondern Wege zur Arbeit, die nicht abzugelten seien. Es handle sich um Reisebewegungen, die gemäß § 33 Abs 2 des Kollektivvertrags nur bei Verrichtung konkreter Arbeitsleistungen über die Reisezeit hinaus zu vergüten seien. Zudem erhalte der Kläger für Inanspruchnahmen außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit eine Reihe von Zusatzvergütungen - wie etwa jene für Vorbereitungs- und Abschlussarbeiten gemäß § 23a Abs 2 des Kollektivvertrags - was als ausreichend anzusehen sei. Im Übrigen habe der Kläger im Mai 2007 keinen einzigen Tag gearbeitet, sodass er auch keine Mehrleistungen erbracht habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 38,19 EUR brutto sA statt und wies das Mehrbegehren ab.

Arbeitsort des Klägers sei das gesamte Liniennetz der Beklagten. Die Arbeitszeitunterbrechungen bei geteilten Diensten innerhalb eines Arbeitstags seien - soweit nicht ohnehin Lenkpausen - grundsätzlich keine Arbeitszeiten. Dies gelte nach der Rechtsprechung jedenfalls für Unterbrechungsintervalle zwischen zwei Dienstteilen bei einer Mindestdauer von zwei Stunden, wobei diesfalls ein Entlohnungsanspruch nicht bestehe. Vergleichbar lange Zeitintervalle zwischen den geteilten Diensten des Klägers habe es nur am 2. 5., 3. 5., 9. 5., 21. 5. und am 25. 5. 2007 gegeben. Die Intervalle an diesen Tagen seien wesentlich länger gewesen, als die Summe aus 30-minütiger Ruhepause und notwendiger Fahrzeit zum Beginn des folgenden Dienstteils. An diesen Tagen bestehe demnach kein Entlohnungsanspruch. An den übrigen Tagen seien hingegen die Zeitintervalle zwischen den geteilten Diensten so kurz, dass ausgehend von der notwendigen Fahrzeit einschließlich der Ruhepause von einer Inanspruchnahme des Arbeitnehmers durch den Dienstgeber auszugehen sei. Die Verwendung der Zeit einer Ruhepause für die Fahrt vom Ende des ersten Dienstteils zum Beginn des zweiten sei dem Dienstnehmer nicht zumutbar. Für 1. 5., 2. 5. (zweiter Dienstteil), 7. 5., 8. 5., 13. 5., 20. 5., 22. 5., 26. 5. und 27. 5. 2007 ergebe sich demnach eine abzugeltende Wegzeit im Ausmaß von 200 Minuten, was 3,33 Stunden entspreche. Ausgehend von einem Grundlohn von 11,03 EUR errechne sich unter Hinzurechnung eines 50%igen Zuschlags und unter Abzug der pauschalen Abgeltung von 17,39 EUR ein dem Kläger zuzuerkennender Betrag von 38,19 EUR brutto (richtig: 37,70 EUR brutto). Das Mehrbegehren des Klägers sei abzuweisen.

Das von beiden Seiten angerufene Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Hingegen gab es der Berufung des Klägers Folge und änderte das Ersturteil in ein Teilurteil ab, mit dem die Beklagte zur Zahlung von 57,06 EUR brutto sA verpflichtet wurde. Im Übrigen, nämlich hinsichtlich des verbleibenden Klagebegehrens von 18,53 EUR brutto sA, hob das Berufungsgericht das Ersturteil auf und verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, dass die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei.

Zu Recht rüge der Kläger, dass sich das Erstgericht mit der von ihm behaupteten Anspruchsgrundlage einer betrieblichen Übung nicht auseinandergesetzt habe. Die regelmäßige, vorbehaltlose Gewährung bestimmter Leistungen könne eine solche Betriebsübung begründen, die zum Inhalt der einzelnen Arbeitsverträge werde und von der nur mehr mit Zustimmung des Arbeitnehmers abgegangen werden könne. Der Kläger habe vorgebracht, dass ihm die notwendigen Dienstwege bis Jahresmitte 2006 gezahlt worden seien; erst dann sei die Beklagte einseitig davon abgegangen. Mit diesem Vorbringen habe sich das Erstgericht nicht auseinandergesetzt. Dies werde im fortgesetzten Verfahren nachzuholen sein.

Schon jetzt sei dem Kläger aber ein Teil seines Begehrens zuzusprechen: Das Erstgericht habe den Anspruch des Klägers auf Abgeltung der Wegzeiten nur für jene Tage als berechtigt angesehen, an denen die Unterbrechungszeiten unter Einbeziehung der halbstündigen Ruhepause gemäß § 71 Abs 2 des Kollektivvertrags einer „Inanspruchnahme" des Arbeitnehmers gleichgekommen seien. Dieser Ansicht sei im Ergebnis beizupflichten, auch wenn die Anwendbarkeit dieser kollektivvertraglichen Bestimmung, die im Übrigen eine ununterbrochene Dienstleistung von sechs Stunden voraussetze und auf die sich keine der Parteien berufen habe, zur Lösung der hier zu klärenden Rechtsfrage nichts beitragen könne.

Der Arbeitsort des bei einem städtischen Verkehrsunternehmen im Linienverkehr (Personenbeförderung) tätigen Klägers sei im Sinne der Rechtsprechung das gesamte Liniennetz der Beklagten. Die Beklagte könne sich daher nicht mit Erfolg auf § 33 Abs 2 des Kollektivvertrags stützen, der vorsehe, dass die außerhalb der Normalarbeitszeit verwendeten „reinen Reisezeiten" nur dann vergütet werden, wenn in dieser Zeit konkrete Arbeitsleistung verrichtet werden müsse. Reisezeiten seien Zeiten, in denen der Arbeitnehmer über Auftrag des Arbeitgebers vorübergehend seinen Dienstort (seine Arbeitsstätte) verlasse, um an anderen Orten seine Arbeitsleistung zu erbringen, sofern der Arbeitnehmer während der Reisebewegung keine Arbeitsleistung zu erbringen habe. Da der Kläger bei jenen Strecken, die er zwischen den Dienstteilen zurücklege, den vereinbarten Arbeitsbereich nicht verlasse, seien die dafür aufgewendeten Wegzeiten keine Reisezeiten.

§ 2 Abs 1 Z 1 AZG definiere Arbeitszeit als die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen. Jene Zeit, die der Dienstnehmer brauche, um den Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte (und retour) zurückzulegen, sei grundsätzlich nicht als Arbeitszeit zu beurteilen, weil sie vor Dienstbeginn oder nach Dienstende liege. Diese „Wegzeiten" seien nicht als Arbeitszeiten zu qualifizieren und daher auch nicht abzugelten, obwohl ein Kollektivvertrag andere Regelungen treffen könne. Die Wegzeit zwischen dem Beginn und dem Ende der Arbeit sei hingegen grundsätzlich als Arbeitszeit zu werten. Im Fall des Klägers sei die Zeit zwischen den (geteilten) Diensten eine Dienstunterbrechung, allenfalls auch eine Arbeitspause, nach deren Ende der Dienst an einem anderen Abfahrtsort fortzusetzen sei. Die nicht zur Arbeitszeit zählende Wegzeit werde als jene Zeit definiert, die der Arbeitnehmer für den Weg von der Wohnung (oder der sonstigen Stätte, an der er gerade Freizeit verbringe) zur Arbeitsstätte und zurück benötige. Bei geteilten Diensten könne nicht uneingeschränkt davon gesprochen werden, dass der Kläger nach Ende des ersten Dienstteils über „Freizeit" zu verfügen imstande ist.

In der Entscheidung 9 ObA 102/93 habe der Oberste Gerichtshof die zwischen einem „Zweiteiler-Dienst" liegenden Pausen von zumindest zwei bis fünf Stunden deshalb nicht als Arbeitszeit qualifiziert, weil nicht von einer Inanspruchnahme des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber auszugehen sei. Daraus sei aber weder abzuleiten, dass für die Qualifikation als Arbeitszeit eine gewisse Höchstdauer der Arbeitspause nicht überschritten werden dürfe, noch, dass die Wegzeiten des Klägers - unabhängig von der Dauer der Arbeitspause - keinesfalls abzugelten seien. Auch aus der Entscheidung 9 ObA 135/05a sei für den Standpunkt der Beklagten nichts zu gewinnen. Sie zeige aber, dass der Oberste Gerichtshof die Zeit zwischen den geteilten Diensten als durch den Dienstplan bedingte Arbeitszeitunterbrechung gewertet habe. Zwar sei ebenfalls von Arbeitspausen ausgegangen worden, hinsichtlich deren Gestaltung die Lenker frei seien; die Möglichkeit, solche „Quasi"-Freizeiten zu nutzen, sei aber sehr eingeschränkt. Darauf, ob und in welcher Weise Dienstnehmer die Zeiten der Arbeitsunterbrechung für sich in Anspruch nehmen können, komme es jedoch nur ab einem gewissen zeitlichen Ausmaß an. Entscheidend sei, dass die Wegzeit zum Abfahrtsort des zweiten oder folgenden Dienstteils einerseits nicht in jedem Fall als Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte qualifiziert werden könne, weil sie nicht vor Dienstbeginn oder nach Dienstende liege. Andererseits sei diese Wegzeit durch den von der Beklagten erstellten Dienstplan bedingt, entspreche also einer „Inanspruchnahme" des Dienstnehmers, die im besonderen Maße dann zutage trete, wenn die (geringe) Dauer der Arbeitsunterbrechung gerade noch ausreiche, um nach Beendigung des ersten Dienstteils den Beginn des zweiten noch rechtzeitig zu erreichen. Insoweit schließe sich das Berufungsgericht der in 9 ObA 102/93 geäußerten Rechtsauffassung, die Wegzeit zum Antrittsort des zweiten Dienstteils gehöre nicht zum dienstlichen Aufgabengebiet, sondern falle in die Freizeit oder Pause und sei daher Wegzeit vom (zum) Arbeitsort, nicht an. Erst ab einer bestimmten Dauer der Arbeitsunterbrechung könne von einem „Arbeitsende" gesprochen werden, zumal dem Dienstnehmer dann ein ausreichend großer Zeitraum zur Verfügung stehe, über den er sinnvoll - gleichsam einer Freizeitgestaltung - verfügen könne. Dieser Zeitrahmen könne vernünftigerweise nicht unter 120 Minuten liegen. Daraus folge, dass im Fall des Klägers nur die Wegzeiten am 3. 5. (Arbeitsunterbrechung 152 Minuten) und am 25. 5. (Arbeitsunterbrechung 254 Minuten) nicht zustehen, alle anderen Ansprüche jedoch berechtigt seien. Insgesamt errechneten sich daher für den Klagezeitraum entgeltpflichtige Wegzeiten von 270 Minuten bzw 4,5 Stunden. Daraus errechne sich nach Abzug der vom Kläger bezogenen Pauschalabgeltung ein zuzusprechender Betrag von 57,06 EUR. Dieser Betrag sei dem Kläger mit Teilurteil zuzusprechen; im Übrigen sei das Ersturteil zur Prüfung der Behauptung einer Betriebsübung aufzuheben.

Die Revision sei zuzulassen, weil das Verfahren einen Musterprozess darstelle, von dem viele Dienstnehmer betroffen seien. Allenfalls sei das Berufungsgericht von der Entscheidung 9 ObA 102/93 abgegangen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die berufungsgerichtliche Entscheidung im Sinn der „gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern". Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

I. Soweit die Beklagte - wie sich aus Anfechtungserklärung und Rechtsmittelantrag ihrer Revision ergibt - auch den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluss bekämpft, ist ihr Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen. Das Berufungsgericht hat den Rekurs an den Obersten Gerichtshof gegen diesen Aufhebungsbeschluss nicht iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO zugelassen. Daher ist gegen diesen Aufhebungsbeschluss kein Rechtsmittel zulässig (E. Kodek in Rechberger³ § 519 Rz 18 mwN).

II. Die Revision gegen das berufungsgerichtliche Teilurteil ist hingegen zulässig und teilweise auch berechtigt.

II.1. Wegzeiten, die der Arbeitnehmer aufzuwenden hat, um von seiner Wohnung zu seiner Arbeitsstätte bzw von der Arbeitsstätte wieder zurück zu seiner Wohnung zu gelangen (Arbeitswege), gehören nicht zur Arbeitszeit (RIS-Justiz RS0051331; 9 ObA 102/93 = DRdA 1994, 53 [Spitzl]; 8 ObA 36/04h). Sie liegen vor Arbeitsbeginn oder nach Arbeitsende und stellen keine unmittelbare Erfüllung des Arbeitsvertrags dar, sondern dienen nur dazu, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seine arbeitsvertraglich geschuldeten Pflichten zu erfüllen (Mazal, Wegezeiten in der Bauwirtschaft, in FS Cerny [2001] 295 [301]). Sie sind der Freizeit des Arbeitnehmers zuzurechnen und diesem nur bei entsprechender Vereinbarung zu vergüten (4 Ob 92/82; 9 ObA 102/93 mwN).

II.2. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind Wegzeiten, die zwischen geteilten Diensten anfallen. Der Oberste Gerichtshof hat sich mit der rechtlichen Einordnung solcher Wegzeiten in der schon von den Vorinstanzen erörterten Entscheidung 9 ObA 102/93 auseinandergesetzt. Auch damals waren zwischen dem ersten und dem zweiten Teil eines Zweiteiler-Dienstes liegende Arbeitsunterbrechungen - die damals zwischen zwei und fünf Stunden betrugen - zu beurteilen, während derer der Arbeitnehmer eine bestimmte Wegstrecke zurückzulegen hatte, um an den für die zweite Hälfte seines Dienstes vorgesehenen Abfahrtsort zu gelangen. Der Oberste Gerichtshof vertrat dazu die Rechtsauffassung, dass es sich weder bei den Unterbrechungen selbst noch bei den zurückzulegenden Wegzeiten um Arbeitszeit handle, zumal während dieses Zeitraums keine Inanspruchnahme des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber erfolge. Die Honorierung der Wegzeiten im Sinn der zur Reisezeit von im Außendienst tätigen Mitarbeitern entwickelten Rechtsprechung lehnte der Oberste Gerichtshof mit der Begründung ab, dass die Wegzeiten nicht zum dienstlichen Aufgabengebiet zählen, sondern vielmehr der Freizeit des Arbeitnehmers zuzurechnen und daher den Wegzeiten zum und vom Arbeitsort gleichzusetzen seien.

In seiner Entscheidung zu 9 ObA 135/05a hat der Oberste Gerichtshof diese Sichtweise - wenn auch nur am Rande - bekräftigt.

II.3.1. Die arbeitszeitrechtlichen Regelungen des Kollektivvertrags für die im Verkehrsdienst beschäftigten Arbeitnehmer lassen sich wie folgt zusammenfassen: Anders als für andere Arbeitnehmergruppen, für die die Arbeitszeit nach § 66 Abs 1 des Kollektivvertrags 40 Stunden wöchentlich beträgt, gilt nach § 69 Abs 1 des Kollektivvertrags für die im Verkehrsdienst beschäftigten Arbeitnehmer die Fünf-Arbeitstage-Woche mit der Maßgabe, dass die Arbeitszeit im Durchschnitt pro Dienstplanwoche 33 Stunden und 26 Minuten beträgt. Die Arbeitstage, der Beginn und das Ende der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit, die Dauer und Lage der Arbeitspausen etc sind im Einvernehmen mit dem Betriebsrat festzulegen. Der Dienstplan ist dem Betriebsrat innerhalb von acht Tagen zur Herstellung des Einvernehmens bekannt zu geben (§ 60 Abs 1 lit c des Kollektivvertrags). Die Diensteinteilung hat dergestalt zu erfolgen, dass die nach den jeweils geltenden gesetzlichen Bestimmungen vorgesehenen Ruhezeiten eingehalten werden (§ 67 Abs 1 des Kollektivvertrags). Gemäß § 67a des Kollektivvertrags kann die tägliche Lenkzeit für im Busbetrieb tätige Arbeitnehmer maximal neun Stunden, zweimal pro Dienstplanwoche 10 Stunden, betragen (Abs 1), eine tägliche Einsatzzeit von 14 Stunden darf jedoch nicht überschritten werden (Abs 2). Die im Verkehrsdienst beschäftigten Arbeitnehmer leisten geteilten Dienst mit der Maßgabe, dass spätestens nach einer ununterbrochenen Dienstleistung von sechs Stunden eine Ruhepause von mindestens einer halben Stunde einzuschalten ist, die nicht auf die Arbeitszeit angerechnet und daher nicht entlohnt wird (§ 71 Abs 2 des Kollektivvertrags). Für im Busbetrieb beschäftigte Personen ist gemäß § 71 Abs 3 des Kollektivvertrags nach einer ununterbrochenen Lenkzeit von höchstens 4,5 Stunden zudem eine Lenkpause einzulegen.

II.3.2. Die im Liniendienst eingesetzten Fahrer und Lenker sind gemäß § 23a Abs 2 des Kollektivvertrags dazu verpflichtet, so rechtzeitig vor Dienstbeginn am Einsatzort zu sein, dass das Fahrzeug im geprüften und einsatzfähigen Zustand übernommen bzw eine planmäßige Ausfahrt gewährleistet werden kann. Zur Abgeltung der Vor- und Nachbereitungszeiten werden pro Diensttag 10 Minuten als Arbeitszeit angerechnet. Die Vor- und Nachbereitungszeiten beinhalten insbesondere den Nachkauf von Fahrscheinen, die Prüfung, Übernahme und Übergabe der Wagen, die Abrechnung der Fahrzettel, die Verfassung von schriftlichen Dienstmeldungen, die Durchführung von Fahrschein- und Geldbestandskontrollen durch Vorgesetzte sowie die Eintragung in das Mängelbuch und in das Fahrtenbuch (Abs 3).

II.3.3. Die Entlohnung von Reisezeiten regelt § 33 des Kollektivvertrags: Nach dessen Abs 2 werden außerhalb der Normalarbeitszeit verwendete reine Reisezeiten den Arbeitnehmern nur dann vergütet, wenn innerhalb dieser Zeiten konkrete Arbeitsleistungen verrichtet werden mussten.

II.4. Beide Vorinstanzen haben sich grundsätzlich an den oben wiedergegebenen Vorentscheidungen des Obersten Gerichtshofs orientiert, nach denen die Wegzeiten zwischen geteilten Diensten nicht zum dienstlichen Aufgabengebiet zu zählen, sondern vielmehr der Freizeit des Arbeitnehmers zuzurechnen und daher den Wegzeiten zum und vom Arbeitsort gleichzusetzen seien. Sie sind diesen Entscheidungen aber - mit unterschiedlicher Begründung und in unterschiedlichem Umfang - hinsichtlich solcher Zweiteiler-Dienste nicht gefolgt, bei denen die zwischen den beiden Dienstteilen gelegene Zeit gering und daher die Möglichkeit des Arbeitnehmers, über die ihm zwischen den Diensten zur Verfügung stehende Zeit zu verfügen, sehr beschränkt ist. Diese Rechtsauffassung steht weder mit den genannten Entscheidungen noch mit dem aus dem Kollektivvertrag ableitbaren Willen der Kollektivvertragsparteien in Einklang.

II.5. Die Kollektivvertragsparteien haben der Besonderheit des Verkehrs- und insbesondere des Lenkdienstes durch detaillierte Regelungen Rechnung getragen. So haben sie die im Zusammenhang mit der Übernahme von Fahrzeugen am Einsatzort bestehenden Pflichten des Lenkers, aber auch die ihm zustehende Abgeltung für die Vor- und Nachbereitungsarbeiten bis ins Detail geregelt. Auch eine spezielle Regelung über die Arbeitszeit - diese beträgt für die im Verkehrsdienst beschäftigten Arbeitnehmer nur 33 Stunden und 26 Minuten - ist im Kollektivvertrag enthalten. Eine Regelung über die Honorierung der zwischen den beiden Teilen eines Zweiteiler-Dienstes anfallenden Wegzeiten haben sie hingegen nicht getroffen, obwohl ihnen - wie die Regelung des § 71 Abs 2 des Kollektivvertrags zeigt - die Tatsache, dass die im Verkehrsdienst beschäftigten Dienstnehmer geteilte Dienste leisten, bewusst war.

Zu Recht verweist die Revisionswerberin in diesem Zusammenhang auf § 33 Abs 2 des Kollektivvertrags über die Honorierung der Reisezeiten, nach dem die außerhalb der Normalarbeitszeit verwendeten reinen Reisezeiten nur dann vergütet werden, wenn in dieser Zeit konkrete Arbeitsleistungen verrichtet werden. Das Berufungsgericht hat diese Regelung als für die hier zu beurteilende Frage irrelevant erachtet, weil nach der allgemeinen Definition dieses Begriffs von Reisezeiten nur dann gesprochen werden könne, wenn der Arbeitnehmer vorübergehend seinen Dienstort verlasse. Dies sei aber nicht der Fall, weil der Dienstort eines Linienbuslenkers das gesamte Liniennetz sei und daher der Kläger bei den hier zu beurteilenden Wegen den Dienstort nicht verlasse. Mögen diese Überlegungen des Berufungsgerichts im Allgemeinen auch zutreffen, so ist aber aus § 33 Abs 2 des hier zu beurteilenden Kollektivvertrags dennoch die klare Absicht der Kollektivvertragsparteien ersichtlich, Reisebewegungen oder Fahrten der vom Kollektivvertrag umfassten Arbeitnehmer nur dann zu honorieren, wenn dabei konkrete Arbeitsleistungen verrichtet werden. Es kann den Kollektivvertragsparteien nicht zugesonnen werden, sie hätten die Absicht gehabt, diesen Grundsatz nur für außerhalb des Grazer Stadtgebiets zurückgelegte Fahrten zu normieren, nicht aber für Fahrten innerhalb des Stadtgebiets. Dies wäre ein durch nichts zu begründender, unverständlicher Wertungswiderspruch.

Der Entscheidung 9 ObA 102/93 ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. In dieser Entscheidung wurde die Rechtsprechung zur Reisezeit von im Außendienst tätigen Arbeitnehmern nicht als auf die zwischen den Dienstteilen des Zweiteiler-Dienstes anfallenden Wegzeiten anwendbar erachtet. Während nämlich für Arbeitnehmer im Außendienst (zB Monteure) die Reisetätigkeit von einem Kunden zum anderen zum vereinbarten Aufgabengebiet zu rechnen sei, sei dies bei der Wegzeit des Buslenkers zum Antrittsort des zweiten selbständigen Dienstteils nicht der Fall. Diese Überlegungen stehen - wie die zitierte Entscheidung in ihrer Gesamtheit - mit der hier vertretenen Auffassung in völligem Einklang.

Gerade im Hinblick auf die im konkreten Fall getroffenen Regelungen im Kollektivvertrag, die der Besonderheit des Lenkdienstes und auch der Zweiteiler-Dienste hinreichend Rechnung tragen, besteht daher keine Veranlassung, von den oben wiedergegebenen Vorentscheidungen abzugehen.

II.6. Der Revision der Beklagten gegen das angefochtene Teilurteil ist daher stattzugeben. Auch die Berechtigung des von diesem Teilurteil erfassten Anspruchsteils hängt von der noch zu klärenden Frage ab, ob sich der Kläger mit Erfolg auf eine Betriebsübung stützen kann. Insoweit kann auf die Ausführungen im Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Urteile der Vorinstanzen waren daher aufzuheben und die Arbeitsrechtssache auch im hievon betroffenen Umfang zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

II.7. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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