OGH 9ObA42/94

OGH9ObA42/9416.3.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Christian Kleemann und Thomas Mais als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Gerhard N*****, Kaufmann, ***** vertreten durch Dr.Norbert Kosch und andere Rechtsanwälte in Wiener Neustadt, wider die beklagte Partei Gani S*****, Hausbesorger, ***** vertreten durch Dr.Ladislav Margula, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12.November 1993, GZ 34 Ra 81/93-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 3.November 1992, GZ 15 Cga 41/92-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 2.175,36 bestimmten Kosten des Revisionsverfahren (darin enthalten S 362,56 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Ehegattin des Beklagten ist seit 1.1.1991 Hausbesorgerin im Hause *****. Sie bewohnt gemeinsam mit dem Beklagten die in diesem Haus befindliche Dienstwohnung top Nr 2. Angesichts der im November 1991 deutlich sichtbaren Schwangerschaft der Gattin des Beklagten faßte die Hausverwalterin den Entschluß, das Hausbesorgerdienstverhältnis mit ihr zu beenden und mit dem Beklagten ein auf sechs Monate befristetes Hausbesorgerdienstverhältnis zu begründen. Sie konzipierte daher eine Selbstkündigung durch die Gattin des Beklagten zum 30.November 1991 und gleichzeitig einen auf sechs Monate befristeten Hausbesorgerdienstvertrag für den Beklagten. Diese Urkunden legte sie beiden zur Unterschrift vor. Die Gattin des Beklagten ist Analphabetin und spricht nicht deutsch. Der Beklagte spricht leidlich deutsch, kann aber nicht in deutsch lesen und schreiben. Er erkundigte sich daher über den Inhalt der ihnen vorgelegten Urkunden. Die Hausverwalterin setzte dem Beklagten auseinander, daß seine Gattin in Karenz gehen müsse und er den Hausbesorgerposten übernehmen solle. Er verstand sie nicht und brachte ihr gegenüber zum Ausdruck, daß er "nichts verstehe" und aus diesem Grund am nächsten Tag wieder kommen wolle. Die Hausverwalterin reagierte auf diese Erklärungen sehr ungehalten. Sie forderte beide in lautem, sehr energischen Ton auf, die Urkunden zu unterfertigen. Der Beklagte und seine Gattin waren durch den Ton der Hausverwalterin derart eingeschüchtert, daß sie die Urkunden in Unkenntnis des Inhaltes unterfertigten. Die Urkunden verblieben bei der Hausverwalterin, die keine Ausfertigungen an den Beklagten und seine Gattin ausfolgte.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die klagende Partei die Räumung der Dienstwohnung infolge Ablaufs des befristeten Hausbesorgerdienstvertrages des Beklagten mit 31.5.1992.

Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Das Dienstverhältnis zwischen seiner Gattin und dem Kläger sei nach wie vor aufrecht. Mit dem Beklagten bestehe ein Hausbesorgerdienstvertrag mit der Ergänzung, daß er so lange dauert, als seine Gattin sich im Karenzurlaub befinde.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Grundsatz, daß der Inhalt einer ungelesenen Urkunde zum Erklärungsinhalt des Unterschreibenden werde, gelte nur soweit, als der Erklärungsempfänger davon ausgehen durfte, daß der Urkundeninhalt auch ungelesen in Kauf genommen werde. Die Hausverwalterin habe nicht darauf vertrauen dürfen, daß durch die Unterfertigung eines für die Gattin des Beklagten unverständlichen Schriftstückes eine Beendigung des Dienstverhältnisses herbeigeführt werde oder daß die Unterfertigung des Hausbesorgerdienstvertrages durch den Beklagten ein auf sechs Monate befristetes Dienstverhältnis begründet habe. Im Sinne ihrer Erklärungen, der Beklagte werde für die Dauer des Karenzurlaubes seiner Ehegattin zum Hausbesorger bestellt, durfte sie allenfalls davon ausgehen, daß mit dem Beklagten ein Hausbesorgerdienstverhältnis für die Dauer der Schutzfrist und eines allfälligen Karenzurlaubes zustande gekommen sei. Das Hausbesorgerdienstverhältnis mit der Gattin des Beklagten sei daher aufrecht. Der Beklagte leite seine Benützungsrechte, ohne daß es einer Prüfung seiner eigenen Ansprüche bedürfe, vom Benützungsrecht seiner Gattin ab. Der Räumungsanspruch sei daher zu verneinen.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und führte noch ergänzend aus, daß auf Grund der Einschüchterung des Beklagten und seiner Gattin durch die Hausverwalterin von einer Drucksituation auszugehen sei und diese daher nicht darauf vertrauen durfte, daß der Beklagte und seine Gattin den Inhalt der Urkunden ungelesen in Kauf nehmen wollten. Sie habe außerdem als Vertreterin des Dienstgebers die Fürsorgepflicht verletzt, weil sie den Beklagten und seine Gattin über Inhalt und rechtliche Konsequenz der vorbereiteten Urkunden nicht besonders aufgeklärt habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei stellt den Antrag, der Revision des Klägers keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Wer eine Urkunde unterschreibt, macht den durch seine Unterschrift gedeckten Text zum Inhalt seiner Erklärung, auch wenn er ihm unbekannt war, er ihn nicht verstanden hat oder ihn nicht lesen konnte (ZAS 1973/29; EvBl 1973/15; SZ 58/183; JBl 1990, 373 ua). Diese Erklärung ist jedoch wie jede andere Erklärung anfechtbar (SZ 58/183), wenn Willensmängel vorliegen, insbesondere, wenn es sich um außergewöhnliche, unübliche Klauseln handelt, die durch die "Rahmenvorstellung", die derjenige von einer Urkunde haben muß, die er ungelesen unterfertigt, nicht gedeckt sind (ZAS 1973/29).

Die den Kläger vertretende Hausverwalterin erklärte den Inhalt der von ihr verfaßten Urkunden nur so, daß die Gattin des Beklagten in Karenz gehen und er den Hausbesorgerposten übernehmen soll. Von der dann in die Urkunden aufgenommenen Selbstkündigung durch die Gattin des Beklagten und die Befristung von sechs Monaten war nicht die Rede. Auf den Einwand des Beklagten, daß er nichts verstehe und aus diesem Grund am nächsten Tag wieder kommen wolle, hat die Hausverwalterin ungehalten reagiert und den Beklagten und seine Gattin in lautem und sehr energischem Ton zur Unterfertigung der Urkunden aufgefordert. Sie hat daher in Kenntnis des Umstandes, daß der Beklagte und seine Gattin nicht verstanden, worum es ging, Erklärungen erschlichen, mit denen der Beklagte und seine Gattin, selbst wenn sie die Äußerungen der Hausverwalterin verstanden hätten, als Urkundeninhalt objektiverweise nicht rechnen hätten müssen. Es lag daher Dissens vor (WBl 1988, 161). Es handelte sich um unredlicherweise unterschobene Bedingungen, die nicht besprochen worden waren. Damit konnte die Hausverwalterin als Erklärungsempfängerin nicht davon ausgehen, daß der Beklagte und seine Gattin den ihnen unbekannten Urkundeninhalt auch ungelesen in Kauf nehmen würden. An den in Täuschungsabsicht erschlichenen Inhalt der Urkunden besteht aber keine Bindung. Es besteht ein Anfechtungsrecht (Koziol-Welser Grundriß9 I 137; SZ 59/126). Dies macht der Beklagte insofern geltend, als er sich auf das aufrechte Bestehen des Dienstverhältnisses seiner Gattin beruft und geltend macht, daß mit ihm ein Hausbesorgerdienstvertrag abgeschlossen worden sei, der solange dauert, als seine Gattin in Karenz sei. Inhaltlich begehrt er daher nicht die Aufhebung sondern die Anpassung des Vertrages durch die Ausscheidung der nicht vom Konsens umfaßten Bedingungen, die bei Täuschung im Rahmen des § 872 ABGB zulässig ist (Rummel in Rummel ABGB2 Rz 7 zu § 870; Rz 7a zu § 872; Koziol-Welser aaO 137; JBl 1991, 584).

Der Täuschende kann der Vertragskorrektur nur dann und soweit widersprechen, als dies ein redlicher Vertragspartner könnte (SZ 59/126). Die Einwendung, daß er den Vertrag anders nicht geschlossen hätte, kann er nur zum Schutz eigener, sachlich begründeter wesentlicher Interessen entgegensetzen, nicht aber, um den betrügerisch herausgelockten Vorteil zu behalten (SZ 59/126; JBl 1991, 584).

Auf die erschlichene Kündigung und Befristung bis 31.5.1992 kann sich der Kläger daher nicht berufen.

Dies führt dazu, daß das Recht zur Benützung der Dienstwohnung durch den Beklagten auf einen aufrechten Hausbesorgerdienstvertrag gegründet ist. Ob es sich vom Hausbesorgerdienstvertrag des Beklagten oder seiner Gattin ableitet, ändert nichts am Ergebnis und braucht daher nicht weiter geprüft zu werden.

Der Revision ist daher keine Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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