European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00030.22K.0324.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerin und gefährdete Partei (in der Folge: Klägerin) begehrt mit ihrer Klage vom Beklagten und Gegner der gefährdeten Partei (in der Folge: Beklagter) die Unterlassung der Abwerbung von Mitarbeitern der Klägerin oder bestimmter, einzeln genannter „konzernverbundener Unternehmen“ der Klägerin, wobei diese Unterlassungsverpflichtung ein Jahr nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Streitteile entfallen solle. Verbunden mit der Klage beantragte sie die Erlassung einer inhaltsgleichen einstweiligen Verfügung.
[2] Der Beklagte beantragte in seiner Äußerung die Abweisung des Antrags auf Erlassung der einstweiligen Verfügung.
[3] Das Erstgericht erließ ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung die beantragte einstweilige Verfügung im Umfang des Gebots an den Beklagten, die Abwerbung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Klägerin ab sofort und bis zur Rechtskraft des über die Unterlassungsklage ergehenden Urteils zu unterlassen. Das Mehrbegehren, den Beklagten zur Unterlassung der Abwerbung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern „konzernverbundener Unternehmen“ der Klägerin zu verpflichten, wies es hingegen ab. Im Umfang der Abweisung des Antrags auf Erlassung der einstweiligen Verfügung erwuchs die Entscheidung des Erstgerichts mangels Anfechtung in Rechtskraft.
[4] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Beklagten teilweise Folge und verpflichtete den Beklagten, die Abwerbung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Klägerin ab sofort bis zur Rechtskraft des über die Unterlassungsklage ergehenden Urteils, längstens jedoch bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Streitteilen zu unterlassen.
[5] In seinem gegen diese Entscheidung erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs zeigt der Beklagte keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO auf:
Rechtliche Beurteilung
[6] 1.1 Der Beklagte rügt im Revisionsrekurs als Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz und als Mangel des Rekursverfahrens, dass sich das Rekursgericht mit dem von ihm im Rekurs geltend gemachten Verfahrensmangel der Unterlassung seiner Einvernahme und der damit verbundenen vorgreifenden Beweiswürdigung des Erstgerichts nicht auseinandergesetzt habe. Das Erstgericht habe ausschließlich auf Basis der vorgelegten Urkunden entschieden. Wäre der Beklagte einvernommen worden, hätte er bescheinigen können, keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Klägerin abgeworben zu haben.
[7] 1.2 Das Rekursgericht hat das Vorliegen des behaupteten Mangels des Verfahrens erster Instanz – der unterlassenen Einvernahme des Beklagten – verneint, sodass dieser nicht neuerlich im Revisionsrekursverfahren geltend gemacht werden kann (RS0042963 [T49]).
[8] 1.3 Auch im Provisorialverfahren ist der Oberste Gerichtshof nur Rechts‑ und nicht Tatsacheninstanz und hat von demjenigen Sachverhalt auszugehen, den das Rekursgericht als bescheinigt angesehen hat. Auch wenn das Erstgericht seine Feststellungen nur aufgrund von Urkunden getroffen hat, ist die Überprüfung der Beweiswürdigung nur durch das Rekursgericht zulässig (RS0002192 [T28]). Es gehört zur Beweiswürdigung (hier: Bescheinigung), wenn die Tatsacheninstanzen der Ansicht sind, dass weitere Beweise an dem festgestellten Sachverhalt nichts ändern könnten; auch diese sogenannte vorgreifende Beweiswürdigung ist in der dritten Instanz nicht überprüfbar (RS0043099; 7 Ob 80/18t). Der im Zusammenhang damit behauptete Mangel des Rekursverfahrens liegt nicht vor: Das Rekursverfahren wäre nur dann mangelhaft, wenn sich das Rekursgericht mit einer – auch im Provisorialverfahren zulässigen (RS0005656 [T7]) – Beweisrüge überhaupt nicht befasst hätte (RS0043371 [T32]).
[9] 2. Im Provisorialverfahren hat zwar in der Regel aufgrund der Anwendbarkeit der Garantien des Art 6 EMRK eine mündliche Verhandlung stattzufinden (vgl 6 Ob 181/18p mwH). Eine solche ist jedoch auch nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 15. 10. 2009, Bsw 17056/06, Micallef gegen Malta (RS0127445) nicht unter allen Umständen zwingend geboten, um den Verfahrensgarantien des Art 6 EMRK im Provisorialverfahren Genüge zu tun (4 Ob 106/18v; vgl auch die vom Revisionsrekurswerber für seinen Standpunkt zitierte Entscheidung 1 Ob 61/10t). Dass das rechtliche Gehör des Beklagten durch die ihm eingeräumte Möglichkeit, sich zur beantragten einstweiligen Verfügung zu äußern, im vorliegenden Fall gewahrt wurde (vgl nur RS0005915 [T17]; RS0006048), stellt er in seinem Revisionsrekurs nicht in Frage. Mit seiner Argumentation, das Erstgericht hätte eine mündliche Verhandlung durchzuführen gehabt, in deren Rahmen seine Einvernahme hätte erfolgen können, sodass er sein Vorbringen, er habe keine Mitarbeiter der Klägerin abgeworben, bescheinigen hätte können, greift der Revisionsrekurswerber inhaltlich wiederum nur die Beweiswürdigung der Vorinstanzen an, was aber aus den dargestellten Gründen nicht zulässig ist.
[10] Der Revisionsrekurs war daher mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
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