European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:009OBA00029.24S.1023.001
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Arbeitsrecht, Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerin ist eine österreichische Gesellschaft mit beschränkter Haftung und ein Luftverkehrsunternehmen iSd §§ 101 ff Luftfahrtgesetz.
[2] Der Beklagte ist der in einer deutschen „Heimatbasis“ der Klägerin gebildete Betriebsrat.
[3] Die Klägerin begehrte vom Beklagten die Feststellung der Nichtigkeit der Betriebsratswahl und hilfsweise deren Aufhebung als rechtswidrig.
[4] Das Erstgericht wies die Klage a limine zurück. Sei ein einheitlicher Betrieb iSd § 134 Abs 3 ArbVG anzunehmen, sei für eine in § 50 Abs 2 ASGG genannte Rechtsstreitigkeit, die sich nur auf eine bestimmte Arbeitsstätte des Luftverkehrsunternehmens beziehe, gemäß § 5 Abs 2 ASGG das Gericht örtlich zuständig, in dessen Sprengel sich die betroffene Arbeitsstätte befinde. Die vorliegende Rechtsstreitigkeit beziehe sich nur auf jene Arbeitsstätte der Klägerin, in welcher der beklagte Betriebsrat gebildet worden sei. Es fehle daher an der örtlichen Zuständigkeit eines österreichischen Gerichts und damit auch an der internationalen Zuständigkeit der österreichischen Gerichte.
[5] Das Rekursgericht bestätigte die Zurückweisung der Klage. Es ließ den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, dass es keine höchstgerichtliche Rechtsprechung gebe, auf deren Basis die Zuständigkeitsfrage („eindeutig“) beantwortet werden könne.
Rechtliche Beurteilung
[6] Der Revisionrekurs der Klägerin ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist, nicht zulässig:
[7] 1. Die Klägerin behandelt im Revisionsrekurs nur die Rechtsfrage der Auslegung des § 5 Abs 2 ASGG in Zusammenschau mit § 134 Abs 3 ArbVG. Damit zeigt sie keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (§ 502 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG) auf.
[8] 2. Für das Vorliegen einer gesicherten Rechtsprechung reicht bereits eine Entscheidung aus, die zwar bisher die einzige geblieben ist, die aber ausführlich begründet wurde und im Schrifttum nicht auf substanziierte Gegenstimmen gestoßen ist (RS0103384).
[9] 3. Der Oberste Gerichtshof befasste sich bereits zu 9 ObA 155/08x ausführlich mit dem Verhältnis von § 5 Abs 2 ASGG und § 134 Abs 3 ArbVG und kam nach Auseinandersetzung mit der Literatur zum Ergebnis:
„Wollte man im Fall des § 134 Abs 3 ArbVG den Unternehmenssitz immer als Betriebsort festlegen, würde dies zu einer vom Gesetzgeber mit Sicherheit nicht gewollten Verkomplizierung in der Form führen, dass beispielsweise Angelegenheiten, die nur den Wiener, Linzer oder Grazer Standort der Beklagten beträfen, jedenfalls in Innsbruck auszutragen wären. Eine solche Absicht kann aber dem Gesetzgeber des ASGG gerade nicht unterstellt werden. Eine teleologische Betrachtung des § 5 Abs 2 ASGG ergibt vielmehr, dass dann, wenn der Betriebsbegriff des § 134 Abs 3 ArbVG anzuwenden ist, und ein Streit im Sinn des § 50 Abs 2 ASGG sich nur auf eine bestimmte Betriebsstätte des Unternehmens bezieht, die örtliche Zuständigkeit desjenigen Gerichts gegeben ist, in dessen Sprengel sich die betroffene Betriebsstätte befindet.“
[10] Der aus dieser Entscheidung gewonnene Rechtssatz (RS0124962) lautet:
„Ist ein einheitlicher Betrieb im Sinn des § 134 Abs 3 ArbVG anzunehmen, ist für eine in § 50 Abs 2 ASGG genannte Rechtsstreitigkeit, die sich nur auf eine bestimmte Betriebsstätte des Luftverkehrsunternehmens bezieht […], ungeachtet des Unternehmenssitzes in einem anderen Gerichtssprengel gemäß § 5 Abs 2 ASGG die örtliche Zuständigkeit desjenigen Gerichts gegeben, in dessen Sprengel sich die betroffene Betriebsstätte befindet.“
[11] 4. Gegenteilige Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs oder kritische Stellungnahmen in der Literatur liegen nicht vor.
[12] 5. Die Vorinstanzen haben sich an der zitierten Entscheidung orientiert. Der Revisionsrekurs enthält keine (neuen) Argumente, die erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der zitierten Entscheidung wecken könnten, und wirft insofern keine erhebliche Rechtsfrage auf. Vor allem bietet die Entscheidung keinen Anhaltspunkt für das Argument der Klägerin, mit dem Begriff „Betriebsstätte“ wäre nicht die „Arbeitsstätte“ iSd § 134 Abs 3 ArbVG gemeint, sondern der (wo auch immer gelegene) „Standort“ des einheitlichen Betriebs. Die Auslegung der Klägerin würde den in der zitierten Entscheidung angestellten teleologischen Erwägungen zu § 5 Abs 2 ASGG, insbesondere der betonten Bedeutung des räumlichen Naheverhältnisses des Rechtsstreits zum zuständigen Gericht, deutlich widersprechen.
[13] 6. Unter einer Arbeitsstätte (§§ 34 Abs 1, 134 Abs 3 ArbVG) ist im weitesten Sinn eine örtlich abgrenzbare Einrichtung zu verstehen, in der Arbeitsergebnisse hervorgebracht werden könnten (vgl 9 ObA 311/93; Windisch‑Graetz in ZellKomm3 § 34 ArbVG Rz 2 mwH). Das Rekursgericht hat die „Heimatbasis“ der Klägerin in Deutschland unter Zugrundelegung des Vorbringens in der Klage als Arbeitsstätte angesehen. Im Revisionsrekurs behauptet die Klägerin, die „Heimatbasis“ sei keine Arbeitsstätte, weil weder Büroräumlichkeiten vorhanden seien noch Arbeitsergebnisse erzielt würden. Allerdings setzt sich die Revisionsrekurswerberin nicht mit ihrem weiteren Klagevorbringen auseinander, wonach etwa die von ihr gehaltenen Flugzeuge auch am Standort der „Heimatbasis“ in Deutschland durch vertraglich gebundene Wartungsdienste gewartet werden. Insbesondere sei sie an diesem Standort auch als Leasinggeberin für ein dort angesiedeltes Unternehmen tätig und hätte die Auflösung der Leasingvereinbarung eine sofortige Verlegung der „Heimatbasis“ an einen anderen Standort zur Folge. Vor diesem Hintergrund zeigt die Revisionsrekurswerberin daher keine Unvertretbarkeit der Auslegung ihres Klagevorbringens durch das Rekursgericht im Einzelfall (RS0042828) auf.
[14] 7. Auch die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen, der Streit über die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit einer Betriebsratswahl beziehe sich ausschließlich auf jene – nicht im Sprengel des Erstgerichts gelegene – Arbeitsstätte der Klägerin, in der der Betriebsrat gewählt worden sei, hält sich im Rahmen der zitierten Entscheidung. Das Vorbringen der Klägerin, wonach es bestimmte Reflexwirkungen einer gültigen Betriebsratswahl für eine im Sprengel des Erstgerichts gelegene Arbeitsstätte gebe, ändert daran nichts. Das gilt umso mehr, also solche Reflexwirkungen nicht Gegenstand des Klagebegehrens sind; dieses bezieht sich allein auf die Betriebsratswahl in der nicht im Sprengel des Erstgerichts gelegenen Arbeitsstätte der Klägerin.
[15] 8. Weitere Argumente zur Zulässigkeit des Revisionsrekurses bringt die Klägerin nicht vor. Das Rechtsmittel ist daher zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 und § 528 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).
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