OGH 9ObA29/19h

OGH9ObA29/19h15.5.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.

 Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber und ADir. Gabriele Svirak als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei ***** K*****, gegen die beklagte Partei Ö***** AG, *****, vertreten durch B&S Böhmdorfer Schender Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Jänner 2019, GZ 9 Ra 57/18w‑32, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 30. Oktober 2017, GZ 6 Cga 119/16m‑27, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00029.19H.0515.000

 

Spruch:

 

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung nunmehr zu lauten hat:

„Das Klagebegehren, es möge festgestellt werden, dass das Dienstverhältnis zwischen den Parteien über den 21. September 2016 hinaus aufrecht besteht, wird abgewiesen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.068,32 EUR (darin 344,72 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 1.489,86 EUR (darin 248,31 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der Beklagten seit 1991 als Vertragsbediensteter beschäftigt. Seit einem Arbeitsunfall im Jahr 2008 gehört er dem Kreis der begünstigten Behinderten iSd BEinstG an.

Der Kläger war bei der Beklagten viele Jahre als Portier beschäftigt. Im April 2015 teilten der Leiter der Organisationseinheit Produktion und temporäre Einsätze Mag. S. sowie der Leiter des *****marktes P. dem Kläger mit, dass er nunmehr dem *****markt dienstzugeteilt sei. Daraufhin äußerte der Kläger gegenüber Mag. S. wörtlich: „I grob die ein“. Mag. S. und P. fühlten sich durch die Aussage des Klägers nicht bedroht, weil sie den Kläger und dessen mitunter harsche Ausdrucksweise schon lange kannten und ihm auch eine entsprechende Erregung über die neue, für ihn unbefriedigende berufliche Situation zugestanden.

Ebenfalls im Jahr 2015 unterstellte der Kläger einer Juristin der Personalabteilung, Unterlagen aus seinem Personalakt, in den er Einsicht nehmen wollte, herausgenommen zu haben. Dabei schlug er einen Ton an, der eine andere Mitarbeiterin der Personalabteilung verstörte. Bedroht fühlte sie sich jedoch nicht.

Anlässlich eines Termins beim Sozialministeriumservice im Dezember 2015, bei dem zwischen den Parteien ein Schlichtungsgespräch stattfinden sollte, verweigerte der Kläger dem Vertreter der Beklagten Mag. L. den Handschlag zur Begrüßung und äußerte: „Ich wünsche Ihnen den Tod“. Beim Verlassen des Raumes sagte der Kläger zu Mag. L.: „Ach fallen Sie doch von mir aus tot um.“

Der Kläger pflegte grundsätzlich eine „sehr direkte“ Kommunikation und verwendete dabei mitunter heftige Worte. Seine Dienstzuteilung zum *****markt empfand er als Ungerechtigkeit. Dies brachte er ua durch einen getragenen Anstecker mit der Aufschrift „Unzufriedener unterbezahlter Mitarbeiter“ zum Ausdruck. Der Kläger wurde während aufrechten Dienstverhältnisses zur Beklagten nicht wegen unangemessenen oder beleidigenden Verhaltens gegenüber Mitarbeitern oder Vorgesetzten ermahnt.

Um auf seine für ihn unbefriedigende berufliche Situation hinzuweisen, versandte der Kläger im Rahmen eines „Gewinnspiels“ am 6. 9. 2016 einen „Wunschzettel ans Christkind“. Dabei handelt es sich um eine von der Beklagten erstellte und allen Mitarbeitern im Wege der Mitarbeiterzeitung zugesandte Postkarte, auf der sich auf der Vorderseite folgender Vordruck befindet:

„24 WÜNSCHE ANS CHRISTKIND

Auf der Rückseite von „Meine *****“ finden Sie 24 mögliche Wünsche ans Christkind.

Schreiben Sie Ihre 3 Wünsche auf diese Postkarte und schicken Sie uns diese bis 23. 9. 2016.

Aus allen Einsendungen zieht das Meine *****‑Christkind die glücklichen Gewinnerinnen und Gewinner.“

Auf der Rückseite dieser Postkarte schrieb der Kläger unter der vorgedruckten Überschrift „MEIN WUNSCHZETTEL ANS CHRISTKIND“ handschriftlich Folgendes (hier hervorgehoben durch Fettdruck):

„1.  PFÄHLT N… (Name auf der Postkarte ausgeschrieben)

2.  HÄNGT P... (Name auf der Postkarte ausgeschrieben) + CO

3.  HÖRT AUF ZU LÜGEN BETRÜGEN + DISKRIMINIEREN “.

Der Kläger füllte anschließend das Namensfeld und Adressfeld richtig aus und gab als Kontakt (Tel./E‑Mail/Dienststelle) an: „FUCK-U/SHITON-U“.

Ing. N. ist Personalleiter der Beklagten, DI Dr. P. Vorstandsvorsitzender der Beklagten. Der Kläger hielt es nicht ernstlich für möglich, dass sich diese Personen vor ihm fürchten könnten.

Unmittelbar nach Einlangen dieses Wunschzettels wurde der Kläger von der Beklagten am 20. 9. 2016 entlassen.

Wegen dieses Vorfalls erstatteten Ing. N. und DI Dr. P. gegen den Kläger Strafanzeige. Das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses über den Entlassungszeitpunkt hinaus. Die Entlassung sei unberechtigt erfolgt, weil er den Wunschzettel an keine Person adressiert habe, er sich aufgrund der Meinungsfreiheit wünschen könne, was immer er wolle, keine Namen „angeschrieben“ habe und seine E‑Mail‑Adresse codieren dürfe wie er wolle. Wegen seiner unglücklichen Wortwahl gegenüber der Juristin der Personalabteilung habe er sich bei dieser bereits entschuldigt. Die Äußerungen gegenüber Mag. L. hätten seinen Grund in dessen provokantem Verhalten gehabt. Im *****markt würden unzumutbare Arbeitsbedingungen herrschen.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte Klageabweisung. Die Entlassung sei wegen Untreue, Vertrauensunwürdigkeit und erheblichen Ehrverletzungen des Klägers berechtigt erfolgt. Da sich der Kläger bereits zuvor abwertend gegenüber Vorgesetzten verhalten habe, sei für sie eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses mit dem Kläger unzumutbar.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht führte dazu begründend aus, dass es sich beim „Wunschzettel ans Christkind“ weder um eine ernst gemeinte Drohung noch um eine erhebliche Ehrverletzung durch den Kläger gehandelt habe. Der Entgleisung des Klägers sei zwar kein unmittelbares Verhalten der Beklagten vorausgegangen, doch schon das Zusenden der mit dem entsprechenden Vordruck versehenen Postkarte habe beim Kläger, der durch seine Versetzung in den *****markt nach langer Betriebszugehörigkeit in hohem Maß frustriert gewesen sei, ein Gefühl der Wut erzeugt, welches sich im Ausfüllen des „Wunschzettels“ entladen habe. Es sei daher weniger von einer Absicht des Klägers auszugehen, durch die Postkarte das Ansehen und die soziale Wertschätzung von Ing. N. und DI Dr. P. durch den Vorwurf niedriger Gesinnung herabsetzen zu wollen, als von einer Unmutsäußerung über seine als ungerecht empfundene berufliche Situation. Auch wenn die Rhetorik des Klägers mitunter äußerst rau und teilweise ungehörig gewesen sei, sei zu berücksichtigen, dass der Kläger von der Beklagten nie ermahnt worden sei. Die Weiterbeschäftigung des Klägers sei der Beklagten auch deshalb zumutbar, weil es sich bei der Beklagten um ein sehr großes Unternehmen handle, Ing. N. und DI Dr. P. den Kläger bis zu dem Vorfall nicht einmal gekannt hätten und wohl auch in Hinkunft kein persönlicher Kontakt zwischen ihnen und dem Kläger bestehen werde. Die ordentliche Revision ließ es wegen der Einzelfallabhängigkeit nicht zu.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten wegen Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung im Sinne einer vollständigen Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Dem Kläger wurde vom Obersten Gerichtshof die Revisionsbeantwortung freigestellt; er machte davon aber keinen Gebrauch.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist entgegen dem– den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil sich die Berufungsentscheidung als korrekturbedürftig erweist (§ 502 Abs 1 ZPO). Die Revision ist iSd Abänderungsantrags der Beklagten berechtigt.

1. Der Kläger unterliegt der Dienstordnung (DO) der Beklagten, die seit Inkrafttreten des Poststrukturgesetzes (PTSG) zum 1. 5. 1996 als Kollektivvertrag gilt (§ 19 Abs 4 PTSG).

2. Nach § 50 Abs 1 DO kann das Dienstverhältnis, wenn es für bestimmte Zeit eingegangen wurde, vor Ablauf dieser Zeit, sonst aber ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist, von jedem Teil aus wichtigen Gründen gelöst werden. Ein wichtiger Grund, der den Dienstgeber zur vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses (Entlassung) berechtigt, liegt insbesondere vor, wenn der Bedienstete sich einer besonders schweren Verletzung der Dienstpflichten oder einer Handlung oder einer Unterlassung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Dienstgebers unwürdig erscheinen lässt, insbesondere wenn er sich Tätlichkeiten oder erhebliche Ehrverletzungen gegen Vorgesetzte oder Mitbedienstete zuschulden kommen lässt oder wenn er sich in seiner dienstlichen Tätigkeit oder im Zusammenhang damit von dritten Personen Vorteile zuwenden lässt (§ 50 Abs 2 lit b DO).

3.1. Unter den Begriff Ehrverletzungen fallen alle Handlungen und Äußerungen, die geeignet sind, das Ansehen und die soziale Wertschätzung des Betroffenen durch Geringschätzung, Vorwurf einer niedrigen Gesinnung, üble Nachrede, Verspottung oder Beschimpfung herabzusetzen und auf diese Weise das Ehrgefühl des Betroffenen, wenn er davon erfährt, zu verletzen (RS0029827 [T13]). Die Ehrenbeleidigung muss objektiv geeignet sein, im erheblichen Maße ehrverletzend zu wirken und muss im gegenständlichen Fall diese Wirkung auch hervorgerufen haben (RS0029827 [T25]). Entscheidend ist, ob die Ehrenbeleidigung nach ihrer Art und nach den Umständen, unter welchen sie erfolgt, von einem Menschen mit normalen Ehrgefühl nicht anders als mit dem Abbruch der Beziehungen beantwortet werden kann (RS0029827 [T2]).

3.2. Erhebliche Ehrverletzungen verlieren nach der Rechtsprechung nur dann den Charakter eines Entlassungsgrundes, wenn die Umstände des Falles die Beleidigung als noch entschuldbar erscheinen lassen (RS0029653; RS0060938). Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Ehrverletzung des Dienstnehmers infolge einer Provokation durch unangemessenes, unmittelbar vorhergehendes Verhalten des Dienstgebers erfolgte oder ganz allgemein die vom Dienstnehmer begangene Ehrverletzung als situationsbedingt entschuldbare Fehlreaktion zu werten ist (RS0029653 [T5, T7]). In diesen Fällen einer verständlichen Erregung oder Entrüstung ist die Schuldintensität derart gering, daß dem Dienstgeber eine Weiterbeschäftigung des Dienstnehmers zumutbar ist (RS0060929).

4.1. Nach den dargestellten Grundsätzen der Rechtsprechung hat der Kläger durch seine Einträge zum „Wunschzettel an das Christkind“ den Entlassungsgrund der erheblichen Ehrverletzung verwirklicht. Sich vom „Christkind“ den Tod oder die Tötung zweier namentlich genannter Vorgesetzter zu wünschen, hatte mit einer noch sozialadäquaten Darlegung der Unzufriedenheit mit einer bestimmten beruflichen Situation nichts zu tun, sondern war nur kränkend und herabwürdigend, wozu die ebenfalls beleidigende, nicht näher substantiierte Aufforderung kam, das Lügen, Betrügen und Diskriminieren zu beenden. Diese schriftlichen Äußerungen des Klägers waren objektiv geeignet, in erheblichem Maße ehrverletzend zu wirken. Dass die Äußerungen auf die angesprochenen Vorgesetzten des Klägers im Besonderen und die Beklagte im Allgemeinen auch diese Wirkung hervorgerufen haben, bestätigt nicht nur die unmittelbar nach Bekanntwerden des Vorfalls ausgesprochene Entlassung des Klägers, sondern auch die sofortige Strafanzeige gegen den Kläger durch Ing. N. und DI Dr. P.

4.2. Das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf das der Kläger pocht, stellt keinen Freibrief für persönliche Beleidigungen und Verunglimpfungen dar (vgl 8 ObA 196/02k; 8 ObA 51/13b [Pkt 2.]). Die schriftlichen Äußerungen des Klägers gehen weit über den zulässigen Rahmen sachlicher Kritik über die beruflichen Umstände des Klägers hinaus. Ihnen lag auch kein unmittelbar vorangehendes Verhalten der Beklagten zugrunde, das die Beleidigung als noch irgendwie entschuldbar erscheinen ließe. Die beleidigenden Äußerungen des Klägers erfolgten auch nicht in der Situation einer unmittelbaren Provokation bzw plötzlichen, situationsbedingten verständlichen Entrüstung des Klägers.

4.3. Dass der Kläger von der Beklagten wegen seiner früheren harschen und beleidigenden Ausdrucksweise nicht verwarnt worden war, ist richtig, hier aber für die Bejahung des Entlassungsgrundes der erheblichen Ehrverletzung nicht entscheidend (vgl 8 ObA 21/06f [Pkt 3.]). Nach der Rechtsprechung können auch einmalige empfindliche Ehrverletzungen – wie sie hier vorliegen – einen Entlassungsgrund darstellen (RS0028819). Die Schwere des Anlassfalls machte es für die Beklagte unzumutbar, den Kläger in ihrem Unternehmen weiter zu beschäftigen. Bei dieser Beurteilung ist die Größe des Unternehmens der Beklagten kein entscheidender Aspekt, richten sich doch die Beleidigungen des Klägers gegen den Vorstandsvorsitzenden und den Personalleiter der Beklagten, sohin gegen die Beklagte in ihrer Gesamtheit. Dass die namentlich beleidigten Personen den Kläger bis dahin möglicherweise noch nicht kannten, nimmt den Ehrverletzungen nicht die Erheblichkeit.

Der Revision der Beklagten ist danach Folge zu geben und das Klagebegehren in Abänderung der klagestattgebenden Entscheidungen der Vorinstanzen abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Nicht zugesprochen werden können die begehrten Pauschalgebühren für die Berufung: Gemäß § 16 Abs 1 Z 1 lit a GGG beträgt die Bemessungsgrundlage in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten, soweit nicht ein Geldbetrag Gegenstand der Klage ist, 750 EUR. Da arbeitsrechtliche Rechtsmittelverfahren zweiter Instanz (TP 2 Anm 5 GGG) bei einem Berufungsinteresse bis 2.500 EUR gebührenfrei sind, fallen für die Berufung keine Pauschalgebühren an.

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