OGH 9ObA245/98i

OGH9ObA245/98i23.12.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Hradil sowie durch die fachkundigen Laienrichter MR Mag. Gerhard Puschner und Mag. Karl Dirschmied als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Emel S*****, Diplomkrankenschwester, ***** vertreten durch Dr. Andreas Mirecki, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Missionskongregation der Dienerinnen ***** als Rechtsträger des O***** Spitals *****, vertreten durch Dr. Christian Kuhn und Dr. Wolfgang Vanis, Rechtsanwälte in Wien, wegen 328.351,57 brutto abzüglich S 19.296 netto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. April 1998, GZ 7 Ra 69/98p-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 16. Dezember 1997, GZ 23 Cga 93/97g-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

I. zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidungen der Vorinstanzen als Teilurteil zu lauten haben:

"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 245.783,96 brutto abzüglich S 19.296 netto samt 4,5 % Zinsen seit 4. 4. 1997 zu zahlen, wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie des Berufungsverfahrens bleiben der Endentscheidung vorbehalten."

Die Kosten des Revisionsverfahrens bleiben der Endentscheidung vorbehalten.

II. den

Beschluß

gefaßt:

Im übrigen wird das angefochtene Urteil hinsichtlich eines Teilbetrages von S 82.567,61 brutto sA aufgehoben.

Die Arbeitsrechtssache wird in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 2. 1. 1991 bis 4. 4. 1997 als Diplomkrankenschwester im Orthopädischen Spital ***** der beklagten Partei beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete durch Entlassung. Der monatliche Bruttolohn der Klägerin betrug zuletzt S 27.382.

Die Klägerin begehrt den Zuspruch von S 328.351,57 brutto sA, bestehend aus entlassungsabhängigen Ansprüchen (Kündigungsentschädigung, Abfertigung und Urlaubsentschädigung) sowie offenen Gehältern, insbesondere Sonderzahlungen. Sie sei unberechtigt entlassen worden. Der Vorwurf, sie habe einer Patientin den Gebrauch der Alarmklingel unmöglich gemacht, treffe nicht zu. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß die Klägerin dadurch, daß sie eine Patientin am Gebrauch der Alarmklingel gehindert habe, den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit gesetzt habe.

In der Nacht vom 3. auf den 4. 4. 1997 hatte die Klägerin Nachtdienst auf einer aus vier Zimmern bestehenden Station. Die Nachbarstation wurde von einer anderen Nachtschwester betreut. Die Läuteinrichtungen der beiden Stationen sind derart geschaltet, daß bei Betätigung der Bettglocke durch einen Patienten das Läuten auf beiden Stationen hörbar ist. Auf der von der Klägerin betreuten Station hatte eine bettlägrige 86-jährige Patientin während dieser Nacht schon etliche Male nach der Klägerin geläutet, wobei sie jedes Mal nur minderwichtige Angelegenheiten, wie etwa das Auf- oder Abdrehen des Lichtes, begehrt hatte. Darüber hinaus hatte diese Patientin auch einige Male nach der Klägerin gerufen ohne zu läuten, weil sie die Glocke nicht gefunden hatte. Die Klägerin war jedes Mal zur Patientin gegangen, um sich nach ihrem Begehren zu erkundigen. Um ca 4,45 Uhr läutete die Patientin erneut, worauf sich die Klägerin zu ihr begab. Die Patientin beendete jedoch selbst in Anwesenheit der Klägerin den Klingelvorgang über eine Dauer von 5 bis 10 Minuten nicht, sodaß die Nachtschwester der Nachbarstation ebenfalls kam, weil sie vermutete, daß die Klägerin ihrer Mithilfe bedürfte, was sich jedoch als unrichtig herausstellte. Die andere Krankenschwester entfernte sich darauf wieder. Nach diesem Vorfall hängte die Klägerin die Glocke so hoch, daß sie von der Patientin nicht mehr erreicht werden konnte. Dadurch war es dieser bis ca 6,45 Uhr, somit auf die Dauer von ca 2 Stunden, bis sie vom Krankenträger zum Röntgen abgeholt wurde, nicht möglich, die Glocke zu betätigen. Die Patientin beschwerte sich bei der Krankenschwester, welche Tagdienst versah und verlangte nach der Stationsschwester. Dieser teilte die Patientin mit, daß sie von der Klägerin beschimpft worden sei und nicht habe läuten können. Eine andere Schwester gab der Stationsschwester die Information, daß sie glaube, daß die Glocke herausgezogen gewesen sei. Als die Klägerin am 4. 4. 1997 um 19,00 Uhr ihren nächsten Nachtdienst antreten wollte, wurde ihr von der Stationsschwester ein bereits vorgefertigtes Entlassungsschreiben überreicht und über Ersuchen der Klägerin auch vorgelesen. Als dabei als Entlassungsgrund verlesen wurde, daß die Klägerin die Glocke einer Patientin herausgezogen hätte, warf die Klägerin spontan ein, daß sie die Glocke nicht herausgezogen, sondern hochgehängt habe. Daraufhin wurde sie aufgefordert, nach Hause zu gehen und am kommenden Montag wieder zu kommen. An diesem Tag wurde ihr das Entlassungsschreiben neuerlich ausgehändigt, wobei das Wort "herausgezogen" gestrichen und durch das Wort "hochgehängt" ersetzt worden war.

Vor dem gegenständlichen Vorfall hatte es keinen ähnlich gelagerten gegeben. Es erfolgten lediglich einige mündliche Ermahnungen der Klägerin durch die Stationsschwester, weil sich Patienten darüber beschwert hatten, daß die Klägerin nicht freundlich gewesen sei.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit dann gesetzt werde, wenn aufgrund des Verhaltens des Arbeitnehmers vom Standpunkt vernünftigen dienstlichen und geschäftlichen Ermessens für den Arbeitgeber die objektiv gerechtfertigte Befürchtung bestehe, daß seine Interessen und Belange durch den Arbeitnehmer gefährdet seien. Dabei sei das Handeln des Dienstnehmers am Kriterium der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung zu messen. Im gegenständlichen Fall sei zu berücksichtigen, daß die Patientin im Laufe der Nacht etliche Male nach der Klägerin geläutet und diese auch gerufen habe, und auch noch zuletzt 5 bis 10 Minuten ununterbrochen geläutet habe, obwohl die Klägerin bereits bei ihr gewesen sei. Ein Notfall oder eine dringende Notwendigkeit, dieser Patientin zur Hilfe zu kommen, habe jedoch nicht bestanden. Im Hinblick auf das Verhalten der Patientin, welches als willkürlich zu bezeichnen sei, sei das Verhalten der Klägerin menschlich verständlich. Ziehe man weiters in Betracht, daß der Klägerin gegenüber nicht der Vorwurf erhoben werden könne, vorher je ein gleichgelagertes Fehlverhalten gesetzt zu haben und daß für die Patientin auch keine Folgen eingetreten seien, könne keine Rede davon sein, daß der beklagten Partei eine Weiterbeschäftigung der Klägerin unzumutbar gewesen sei. Vom Dienstgeber hätte vielmehr erwartet werden können, daß er die näheren Umstände, die zum Verhalten der Klägerin geführt hätten, aufgeklärt hätte und dann mit einer Ermahnung vorgegangen wäre.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und vertrat die Rechtsauffassung, daß das Fehlverhalten der Klägerin nicht so gravierend gewesen sei, daß der Beklagten eine Weiterbeschäftigung unzumutbar gewesen wäre. Eine Ermahnung der Klägerin wäre ausreichend gewesen. Nur bei einem wiederholten Fehlverhalten der Klägerin wäre der Beklagten die Weiterbeschäftigung unzumutbar gewesen.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 27 Z 1 dritter Tatbestand AngG ist insbesondere als wichtiger Grund, der den Dienstgeber zur vorzeitigen Entlassung berechtigt, anzusehen, wenn sich der Angestellte einer Handlung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Dienstgebers unwürdig erscheinen läßt. Strafbarkeit des Verhaltens des Angestellten ist nicht erforderlich; ebensowenig Schädigungsabsicht oder Eintritt eines Schadens. Die Begehungshandlung muß pflichtwidrig und schuldhaft sein (Kuderna Entlassungsrecht2 86). Bei der Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit kommt es vor allem darauf an, ob für den Dienstgeber vom Standpunkt vernünftigen Ermessens die gerechtfertigte Befürchtung bestand, daß seine Belange durch den Angestellten gefährdet seien, wobei nicht das subjektive Empfinden des Dienstgebers entscheidet, sondern an das Gesamtverhalten des Angestellten ein objektiver Maßstab anzulegen ist, der nach den Begleitumständen des einzelnen Falles und nach der gewöhnlichen Verkehrsauffassung angewendet zu werden pflegt (RIS-Justiz RS0029833). Entscheidend ist bei der Prüfung des Gesamtverhaltens das dominierende Merkmal der - die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung hervorrufenden - Vertrauensverwirkung. Eine bloße Beeinträchtigung (Erschütterung) des Vertrauens reicht, sofern es sich nicht wiederholt, nicht aus (Kuderna aaO 87 mwN).

Eine im Stationsdienst einer Krankenanstalt tätige Krankenschwester genießt besonderes Vertrauen des Arbeitgebers, obliegt ihr doch nicht nur die Pflegeroutine, sondern im Bedarfsfall auch die ehestmögliche Herbeiholung ärztlicher Hilfe. Die wichtigste Verständigungsmöglichkeit ist in diesem Zusammenhang zweifelsohne in der Bettklingel zu ersehen. Gerade diese Möglichkeit wurde jedoch von der Klägerin durch Hochhängen der Klingel auf die Dauer von ca zwei Stunden unterbunden. Aus der Feststellung, daß die Klägerin die Glocke so hoch gehängt hatte, daß sie von der Patientin nicht mehr erreicht werden konnte, ergibt sich zwanglos der Schluß, daß sich die hochbetagte Patientin in einem derart eingeschränkten Gesundheitszustand befand, daß es ihr nicht möglich war, sich aufzurichten, aufzusetzen oder aufzustehen, um die von der Klägerin höher als vorgesehen befestigte Klingel betätigen zu können. Der erst in der Berufung erhobene Einwand der Klägerin, die Patientin hätte auch nach ihr rufen können, vermag insofern keinen tauglichen Ersatz des Klingelvorganges darzulegen, als es einerseits an einem konkreten Vorbringen dazu fehlt, daß die Klägerin ein Rufen - beispielsweise bei einem Aufenthalt in einem anderen Zimmer - ebenso wahrgenommen hätte wie ein Klingelzeichen und andererseits durch das Klingelzeichen auch die Nachtschwester der Nebenstation hätte alarmiert werden können, welcher zusätzliche Sicherheitsfaktor durch das Vorgehen der Klägerin aber beseitigt war. Es liegt auf der Hand, daß bei einem nicht auszuschließenden medizinischen Notfall eine durch den Ausfall der Bettklingel verzögerte ärztliche Hilfeleistung zu erheblichen Folgen für die Beklagte hätte führen können.

Der Verstoß der Klägerin ist deshalb als derart gravierend zu beurteilen, daß selbst bei vorangegangenem Wohlverhalten das Vertrauen der Beklagten als Arbeitgeberin derart erschüttert worden ist, daß ihr eine Weiterbeschäftigung der Klägerin selbst innerhalb der Kündigungsfrist nicht mehr zumutbar war. Die auf § 27 Z 1 dritter Tatbestand AngG gestützte Entlassung der Klägerin war daher berechtigt.

Soweit die Klägerin mit ihrem Begehren entlassungsabhängige Ansprüche, nämlich Kündigungsentschädigung (S 115.223,79 brutto), Abfertigung (S 115.223,79 brutto) und anteilige Sonderzahlungen zur Kündigungsentschädigung (S 15.336,38 brutto) geltend macht, erweist sich die Arbeitsrechtssache im Sinne einer Abweisung entscheidungsreif. Hinsichtlich der übrigen Ansprüche auf anteiliges Gehalt vom 1. 4. 1997, aliquoten Urlaubszuschuß 1997, aliquote Weihnachtsremuneration für 1997 und Zulage für einen Nachtdienst im April 1997 und der Urlaubsentschädigung, an deren Stelle nur eine Urlaubsabfindung treten kann, erweist sich die Arbeitsrechtssache als noch nicht spruchreif. Wenngleich diese Beträge der Höhe nach außer Streit gestellt wurden, blieben sie dem Grunde nach bestritten. Insbesondere bedürfen Grund und Fälligkeit der begehrten Sonderzahlungen und allenfalls von der Klägerin bereits verbrauchte Urlaubstage einer Erörterung, wobei der bloße Hinweis auf eine Urkunde (Beilage ./C) entsprechend konkretes Vorbringen nicht zu ersetzen vermag (RIS-Justiz RS0017844). In diesem Zusammenhang wird auch die Widmung des von der Beklagten gezahlten Nettobetrages Beachtung zu finden haben. Da für die zu ergänzenden Feststellungen auch ergänzende Beweisaufnahmen notwendig werden können, war die Rechtssache im Umfang der Aufhebung zur weiteren Verhandlung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

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