Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Arbeitsrechtssache wird an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Von den bei der beklagten Partei beschäftigten Klägerinnen sind die Erst- bis Elft- sowie die Fünfzehnt- und Sechszehntklägerinnen als OP-Bedienerinnen im L***** Unfallkrankenhaus tätig. Zu ihren Aufgaben gehört unter anderem die Reinigung der OP-Räume sowie des Gipszimmers. Die Zwölft- bis Vierzehntklägerinnen sind als Stationsgehilfinnen in der Intensivbettenstation eingesetzt. Die Siebzehntklägerin ist seit 18.9.1993 im Karenzurlaub.
Mit der vorliegenden Klage verlangen die Erst- bis Viertklägerinnen, die Sechst- und Siebentklägerinnen, die Neunt- bis Elftklägerinnen sowie die Vierzehnt- und Fünfzehntklägerinnen je S 43.786,68 brutto sA, die Fünftklägerin S 18.856,47 brutto sA, die Achtklägerin S 40.434,57 brutto sA, die Zwölftklägerin S 38.423,14 brutto sA, die Sechzehntklägerin S 37.082,22 brutto sA und die Siebzehntklägerin S 17.988,18 brutto sA. Mit Ausnahme der Dreizehnt- und Siebzehntklägerinnen begehren die Klägerinnen auch die Feststellungen, daß ihnen für die für die beklagte Partei erbrachten Arbeiten eine Gefahrenzulage im Sinne des § 43 Abs 2 Z 1 lit b DO.C (S 31 ff), in eventu nach § 43 Abs 2 Z 2 lit a (S 49) bzw lit b (S 119) DO.C zustehe, weil sie ihre Reinigungstätigkeit auch während des Betriebes von Röntgenapparaten durchzuführen hätten.
Die beklagte Partei beantragte, die Klagebegehren abzuweisen. Die genannte Gefahrenzulage diene zur Abgeltung der Strahlengefährdung. Die Klägerinnen hätten jedoch in den Betriebsräumen grundsätzlich solange keine Arbeit zu verrichten als dort mit radiodiagnostischen oder radiotherapeutischen Geräten hantiert werde. Nur ausnahmsweise könne es vorkommen, daß die Klägerinnen während einer radiodiagnostischen Tätigkeit im Gipszimmer arbeiten. Es gebe aber eine Anweisung, daß dem Reinigungspersonal durch Abgabe eines Warnzeichens das Verlassen des Gipszimmers ermöglicht wird. Im übrigen sei eine "überwiegende Verwendung" erst dann anzunehmen, wenn in mindestens mehr als der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt werde. Das sei bei den Klägerinnen, die einer Strahlengefährdung nicht ausgesetzt seien, nicht der Fall.
Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Es traf im wesentlichen noch folgende Feststellungen:
Die Erst- bis Elft- sowie die Fünfzehnt- bis Siebzehntklägerinnen haben bzw hatten als OP-Bedienerinnen die Aufgabe, die Operationssäle vor und nach den Operationen, das Gipszimmer, die Wundversorgung sowie den Schockraum vor- bzw nach den ärztlichen Behandlungen zu reinigen. Dabei ist die Zweitklägerin ausschließlich im Gipszimmer und in der Wundversorgung, die Drittklägerin und die Sechstklägerin ausschließlich im OP-Bereich, der sich im ersten Obergeschoß des Krankenhauses befindet, eingesetzt. Die übrigen OP-Bedienerinnen sind in gleicher Weise je nach Bedarf in allen Arbeitsbereichen, nämlich in den Operationssälen, im Gipszimmer sowie im Schockraum und in der Wundversorgung beschäftigt.
Soweit sich die Klägerinnen im OP-Bereich befinden, verlassen sie bei Operationsbeginn den Operationsraum. In der sogenannten Waschstraße des "Reinigungsraumes" reinigen sie mit Ausnahme der Instrumente das sonstige OP-Zubehör. Dieser Raum dient auch der Wasserentnahme und der Aufbewahrung von Bürsten und Saugern. Im OP-Bereich befinden sich zwei fixe Röntgengeräte und drei bis vier fahrbare Röntgenapparate. Täglich sind drei bis vier Operationssäle gleichzeitig in Betrieb. Bei den meisten Patienten werden Abschlußröntgen gemacht. Wird ein Operationssaal wieder rasch benötigt, wird das Abschlußröntgen im sogenannten "Röntgen- und Gipsraum" angefertigt. Dieser Raum wäre zwar durch einen Bleivorhang zum Gang des OP-Bereiches abzuschließen, doch geschieht dies selten. Bei einem Arbeitseinsatz ausschließlich in diesem Bereich sind die OP-Bedienerinnen durchschnittlich fünfmal pro Tag während einer Röntgenaufnahme im Operationssaal oder vor dem Röntgen- und Gipsraum. Bei großen Operationen mit zwei verschiedenen Eingriffen, die etwa ein- bis zweimal pro Monat vorgenommen werden, haben die OP-Bedienerinnen überdies bereits die Wäsche wegzuräumen oder aufzuwischen, obwohl noch ein Zwischenröntgen gemacht wird. Es bleibt für sie keine Zeit, den Raum zu verlassen.
Im sogenannten "Siebener-OP", der sich außerhalb des Operationsbereiches befindet, kommt ein mobiles Röntgen zum Einsatz. Auch dort kann es vorkommen, daß sich die OP-Bedienerinnen noch im Saal aufhalten, wenn ein Abschlußröntgen gemacht wird.
Gleichartige Arbeiten fallen auch im Schockraum mit zwei fixen Röntgengeräten und im Notfall-OP mit fahrbaren Apparaten im Erdgeschoß an. Hier werden Aufnahme-, Zwischen- und Abschlußröntgen gemacht. Wenn etwa ein offener Bruch zu behandeln und eine größere Menge Blut zu beseitigen ist, haben die OP-Bedienerinnen noch während der Behandlung dazwischen wegzuräumen. Bei einem durchschnittlichen Normaldienst in allen drei Arbeitsbereichen der OP-Bedienerinnen halten sie sich hier etwa 1 1/2 Stunden pro Dienst auf. Bei durchschnittlicher Auslastung des Schockraums und des Notfalls-OP ist davon auszugehen, daß OP-Bedienerinnen im Rahmen ihrer dort verbrachten Arbeitszeit maximal durchschnittlich zweimal pro Tag zugegen sind, während eine Röntgenaufnahme gemacht wird.
Der sogenannte "Gipsbereich" ist im Erdgeschoß. Es gibt dort drei Gipskojen, drei Wundversorgungskojen, ein Sondergipszimmer, einen Bildumwandler, die sogenannte Wundversorgung und zwei Aufenthaltsräume. Insgesamt sind in diesem Bereich vier Röntgengeräte installiert, davon ein Bildumwandler. Die drei Gipskojen verfügen über zwei Röntgengeräte, die auf einer Schiene an der Wand verschiebbar sind und in allen drei Kojen eingesetzt werden können. Diese Kojen haben zwar einen Bleivorhang, doch ist dieser jeweils vor der ersten und dritten Koje zusammengeschoben, sodaß jeweils ein Teil des Eingangs zur Koje frei ist. Auch bei Röntgenaufnahmen wird dieser Vorhang nicht zugezogen. Die von den OP-Bedienerinnen benützten Waschbecken an der Rückwand des Gipsbereiches sind zu den Kojen hin offen. Es gibt hier keine Möglichkeit der Abtrennung der Kojen. Trotz der vorgesehenen mobilen Bleiwand vor dem Bildwandlerraum ist dieser Raum meist auch dann offen, wenn der Bildwandler gerade in Verwendung ist. Es kommt etwa zweimal pro Tag vor, daß sich eine OP-Bedienerin unmittelbar im Bereich oder unmittelbar vor einer Koje befindet, ohne daß diese durch eine Bleiwand oder einen Bleivorhang gegen Röntgenstrahlung abgeschirmt wäre. Bei einem üblichen Arbeitseinsatz einer OP-Bedienerin in allen drei Bereichen war bis 1995 davon auszugehen, daß sie sich während eines Achtstundendienstes im ungünstigsten Fall maximal zehnmal im unmittelbaren Nahbereich von Röntgenaufnahmen aufhielten. In der Wundversorgung gibt es kein Röntgen.
Der Aufgabenbereich der Zwölft-, Dreizehnt- und Vierzehntklägerinnen als Stationsgehilfinnen im Intensivbereich besteht in der Aufbereitung und Wartung der Geräte, die unmittelbar an Patienten eingesetzt sind. Es gibt dort ein mobiles Röntgen; zwischen den Kojen und der Intensivstation sind fixe Bleitrennwände. Es werden durchschnittlich zehn Röntgen pro Tag gemacht. Den Stationsgehilfinnen ist es nicht möglich, sich bei jeder Aufnahme rechtzeitig zu entfernen.
Beim Einsatz von Röntgengeräten und Bildwandlern besteht eine Gefährdung nur dann, wenn das Gerät betrieben wird. Dabei entsteht ein Strahlenfeld, wodurch ein Großteil des Raumes mit Röntgenstrahlung erfüllt ist. Die Stärke dieser Strahlung ist vom Abstand zum Primärstrahl abhängig. Die Aufnahmen werden von den Röntgenassistentinnen gemacht. Diese sind angewiesen, darauf aufmerksam zu machen, daß nun eine Aufnahme erfolge. Die OP-Bedienerinnen haben die Anweisung, zu dieser Zeit nicht in den entsprechenden Räumen zu arbeiten, sondern die Aufnahme abzuwarten. Solange die Aufnahme gemacht wird, dürfen sie sich nicht in den Räumen aufhalten. Nach der an die Anwender der Röntgenstrahlung als Verantwortliche gerichteten Arbeitsanweisung vom 23.6.1995 müssen die vorhandenen Strahlenschutzeinrichtungen bei allen Röntgenexpositionen verwendet werden. Die Vorhänge seien zu schließen, das Glockensignal im Gipszimmer müsse rechtzeitig betätigt werden. Bleigummiwände und Schutzschürzen für die Patienten und das Personal seien einzusetzen. Während der Anwendung von Röntgenstrahlen dürfen sich im Kontroll- und Überwachungsbereich nur entsprechend geschützte, beruflich strahlenexponierte Personen aufhalten.
Trotz dieser Dienstanweisung kommt es immer wieder vor, daß die Röntgenassistentinnen bei Vornahme einer Aufnahme keine Warnhinweise geben oder daß dies so kurzfristig erfolgt, daß für die OP-Bedienerinnen und Stationsgehilfinnen nicht ausreichend Zeit bleibt, sich aus dem Raum zu begeben. Dies geschieht sowohl im OP-Bereich als auch im Gipszimmer und im Intensivbereich. In dem dem Schockraum angeschlossenen Notfall-OP wird die Dienstanweisung bei der Behandlung von akuten Fällen am wenigsten beachtet.
Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß weder eine überwiegende Verwendung der Klägerinnen in Betriebsräumen, in denen radiodiagnostische oder radiotherapeutische Geräte verwendet werden, vorliege noch bestehe eine solche Verwendung im Betriebsräumen, die in funktionellem Zusammenhang stehen. Einerseits hätten die Klägerinnen die Dienstanweisungen, daß sie in diesen Räumen nur dann tätig werden sollten, wenn die Geräte nicht im Betrieb sind, zu beachten und andererseits sei die sporadische Anwesenheit von maximal zehnmal pro Tag während des Betriebs solcher Geräte keine "überwiegende Verwendung" in diesem Betriebsräumen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die Revision zulässig sei. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, daß die Kollektivvertragsparteien von einem gesetzeskonformen Verhalten des Arbeitgebers, der die entsprechenden Arbeitnehmerschutzbestimmungen einhalte, ausgegangen seien. Vereinzelte Verstöße der Arbeitnehmer gegen die Anweisungen des Arbeitgebers dürften nicht dazu führen, daß eine Entgeltregelung, die für gesetzeskonformes Verhalten vorgesehen sei, auf davon abweichende Verhaltensweisen übertragen werde. Es sei nicht Ziel kollektivvertraglicher Bestimmungen, die Umgehung des Gesundheitsschutzes durch Entgeltanreize zu fördern.
Es treffe zwar zu, daß es nicht auf die reine Bestrahlungszeit ankommen könne, es sei im Kollektivvertrag aber auf die "Verwendung" der Geräte abgestellt. Damit sei klar, daß die zeitliche Belastung ein maßgeblicher Faktor sei. Daraus folge aber, daß die "Betriebsräume" eben nur während der Zeit der "Verwendung" des radiodiagnostischen Gerätes als solche im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden könnten. Hingegen seien jene Zeiten, in denen schon nach der Art der Verwendung des Betriebsraums ein Einsatz von radiodiagnostischen Geräten nicht in Betracht komme, nicht als für die Bemessung der Gefahrenzulage geeignet anzusehen. Soweit die Klägerinnen auch in Zeiten tätig werden, in denen eine Verwendung von radidiagnostischen Gerät in Betracht komme, sei kein Überwiegen hinsichtlich der übrigen Zeiten (mehr als die Hälfte der Arbeitszeit) festzustellen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Klägerinnen mit dem Antrag, den Leistungsbegehren vorläufig mit eingeschränkten (außer Streit gestellten) Beträgen und den Feststellungsbegehren zur Gänze stattzugeben. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Die DO.C enthält unter der Überschrift "Gefahrenzulage" unter anderem folgende Bestimmungen:
§ 43 Abs 2: Zur Abgeltung einer Strahlengefährdung gebührt eine Gefahrenzulage im Ausmaß der nachstehend angeführten Hundertsätze des Lohnes nach Lohngruppe II, Dienstklasse A Bezugsstufe 1,
1.) Arbeitern, die in Betriebsräumen (§ 1 Z 4 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung) tätig sind, in denen radiodiagnostische oder radiotherapeutische Geräte verwendet werden oder in denen mit Radionukleiden hantiert wird (Aufbereitung, Applikationen oder Messung), und zwar bei
a) ausschließlicher Verwendung in diesen Betriebsräumen 11,5 vH,
b) überwiegender Verwendung in diesen Betriebsräumen 9,0 vH;.......
Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen stellt diese kollektivvertragliche Entgeltbestimmung nicht auf einen wünschenswerten Sollzustand, sondern auf die bloße Tatsache der Verwendung von Arbeitern in Betriebsräumen ab, in denen radiodiagnostische oder radiotherapeutische Geräte verwendet werden. Da die Gefahrenzulage zur Abgeltung einer Strahlengefährdung gewährt wird, trifft es zwar zu, daß die genannten Geräte auch in Betrieb sein müssen, doch ist es keine Voraussetzung, daß die Geräte ständig oder zeitlich überwiegend in Betrieb sind. Das "Überwiegen" der Verwendung in den Betriebsräumen bezieht sich auf die Arbeitnehmer. Es kann dem Berufungsgericht auch darin nicht beigepflichtet werden, daß demselben Betriebsraum gewissermaßen eine Doppelfunktion zukomme. Wenn die Geräte in Verwendung seien, sei er ein Betriebsraum im Sinne des § 43 Abs 2 DO.C, ansonsten komme ihm keine weitere Bedeutung zu.
Nach den bisherigen Feststellungen ist vielmehr davon auszugehen, daß die Klägerinnen einer ständigen Strahlengefährdung ausgesetzt sind bzw daß die Siebzehntklägerin es war. Als OP-Bedienerinnen bzw Stationsgehilfinnen arbeiten sie zumindest überwiegend (§ 34 Abs 6 DO.C) in Betriebsräumen, in denen während ihrer Anwesenheit auch radiodiagnostische Geräte verwendet werden. Mangels Einschränkung der kollektivvertraglichen Zulagenregelung auf eine "zulässige" Verwendung der Klägerinnen oder auf bestimmte Zeitausmaße in der Exposition steht ihnen daher die begehrte Gefahrenzulage gemäß § 43 Abs 2 Z 1 lit b DO.C zu. Auf die eventualiter geltend gemachten Ansprüche nach § 43 Abs 2 Z 2 lit a bzw b DO.C ist nicht mehr weiter einzugehen.
Das Verfahren ist jedoch noch nicht spruchreif, weil das Berufungsgericht auf die Beweisrüge der beklagten Partei in ihrer Berufungsbeantwortung nicht eingegangen ist. In dieser bekämpft die beklagte Partei aber die für die Entscheidung wesentlichen Feststellungen der Anwesenheit bei Röntgenaufnahmen, der Strahlengefährdung der Klägerinnen und daß sie sich überhaupt jemals in unmittelbarer Nähe eines radiodiagnostischen oder radiotherapeutischen Geräts befunden hätten, wenn dieses in Verwendung gewesen sei (S 180). Diese Beweis- und Tatsachenrüge wiederholt sie in ihrer Revisionsbeantwortung (S 270 f). Da der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz ist, muß die insoweit nicht erledigte Berufungsbeantwortung zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen.
Die Kostenentscheidung ist in § 52 ZPO begründet.
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