Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichtes wird im Umfang eines Zuspruchs von S 6.457,26 netto samt 4 % Zinsen seit 13. 8. 1990 als Teilurteil bestätigt.
In seinem übrigen Umfang (Zuspruch von S 25.828,71 netto sA) einschließlich der Kostenentscheidung wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kostenentscheidung wird dem Endurteil vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war auf Grund eines für die Zeit vom 16. 7. 1986 bis 15. 7. 1990 abgeschlossenen Lehrvertrages in der Sommersaison im "Ö***** Hof" in P***** und in der Wintersaison beim Beklagten in dessen Hotel in L***** als Koch- und Kellnerlehrling beschäftigt. Nachdem er sich (nach seinen Behauptungen mit Zustimmung des Beklagten vom 7. bis 12. 3. 1990 freigenommen und anschließend unter Vorlage einer Krankenstandsbestätigung krankgemeldet hatte, erhielt er mit Poststempel 24. 3. 1990 einen Brief des Beklagten, in welchem sich die Arbeitsbescheinigung, die Lohnsteuerkarte, die Abmeldung bei der Gebietskrankenkasse und das Beiblatt zur Lohnsteuerkarte befanden. In diesem Brief teilte der Beklagte dem Kläger mit, daß er abgemeldet worden sei, weil er ohne Zustimmung nach Hause gefahren sei.
Der Kläger begehrte vom Beklagten zuletzt Zahlung
1. einer anteiligen Jahresremuneration vom 1. 11. 1989
bis 6. 3. 1990 S 2.667,13
2. von Feiertagszuschlägen S 841,31
3. einer Urlaubsabfindung S 2.948,82
4. einer Kündigungsentschädigung
gemäß § 1162 b ABGB S 25.828,71
zusammen S 32.285,97 netto.
Er sei vom Beklagten nach Konsumierung der ihm zustehenden Ruhetage (7. bis 12. 3. 1990) während eines Krankenstandes von der Vorarlberger Gebietskrankenkasse (rückwirkend mit 6. 3. 1990) abgemeldet worden.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Ehefrau des Beklagten habe dem Kläger den für 7. bis 12. 3. 1990 erbetenen Urlaub nicht bewilligt. Der Kläger habe darauf erwidert, er werde auf alle Fälle fahren, und habe zu Mitarbeitern gesagt, daß er sich krankschreiben und operieren lassen werde. Da er trotz Aufforderung nicht an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt sei, habe der Beklagte den Kläger ungeachtet des Einlangens einer Krankenstandsbestätigung am 15. 3. 1990 rückwirkend mit 6. 3. 1990 bei der Vorarlberger Gebietskrankenkasse abgemeldet und das Lehrverhältnis gemäß § 15 Abs 3 lit e BAG vorzeitig aufgelöst. Kündigungsentschädigung gebühre dem Kläger daher nicht.
Der Beklagte hat trotz Aufforderung durch das Erstgericht eine Urkunde über die schriftliche Lehrvertragsauflösung nicht vorgelegt.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und traf folgende wesentliche Feststellungen:
Der Kläger vereinbarte mit der Ehefrau des Beklagten, die für sämtliche Personalangelegenheiten zuständig war, bereits im Februar 1990, daß er vom 7. bis 12. 3. 1990 freibekommen werde. Nach Dienstschluß am 6. 3. 1990 meldete sich der Kläger ab und fuhr nach Hause (Kärnten). Da er am Samstag, dem 10. 3. 1990, Schmerzen im Knie bekam, suchte er am Montag, dem 12. 3. 1990, einen Arzt auf, der ihn krank schrieb, und schickte die Krankmeldung sogleich an den Beklagten. Kurz nach dem Arztbesuch am 12. oder 13. 3. rief der Kläger beim Beklagten an und teilte dem Oberkellner mit, daß er operiert werden müsse und nicht kommen könne. Der Oberkellner teilte dem Kläger mit, daß er bereits abgemeldet worden sei.
Das Erstgericht war der Ansicht, daß keine schriftliche Auflösung des Lehrvertrages erfolgt sei. Der Einvernahme der vom Beklagten zum Beweis für die gerechtfertigte Entlassung des Klägers geführten Zeugen habe es nicht bedurft; selbst wenn der Kläger berechtigt entlassen worden wäre, sei diese Erklärung mangels Schriftlichkeit nicht rechtswirksam. Aus diesem Grund sei auch die Parteienvernehmung des Beklagten entbehrlich gewesen. Der Beklagte habe nicht einmal eine mündliche Entlassungserklärung behauptet.
Sei aber die Entlassung nicht rechtswirksam erfolgt, so könne der Kläger wegen ungerechtfertigter Entlassung Schadenersatzansprüche nach § 1162 b ABGB geltend machen.
Das Berufungsgericht verwarf die Berufung, soweit sie Nichtigkeit geltend machte, und gab ihr im übrigen keine Folge. Es sprach aus, daß die Revision nach § 46 Abs 1 Z 1 ASGG zulässig sei.
Die Unterlassung sämtlicher vom Beklagten beantragten Beweisaufnahmen bilde keine Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO. Auch ein Verfahrensmangel liege nicht vor, weil aus rechtlichen Gründen nicht zu prüfen sei, ob der Kläger Entlassungsgründe zu verantworten habe. Die bekämpften Feststellungen über eine Urlaubsvereinbarung für die Zeit vom 7. 3. bis 12. 3. 1990 seien für die rechtliche Beurteilung nicht erforderlich. Das Schreiben der Beklagten vom 24. 3. 1990 erfülle nämlich nicht die Voraussetzungen einer schriftlichen Auflösung des Lehrverhältnisses gemäß § 15 Abs 1 BAG. Mit dieser Sendung seien dem Kläger nur die Arbeitspapiere zugeschickt und bei dieser Gelegenheit mitgeteilt worden, daß er "abgemeldet worden sei". Darin liege keine "empfangsbedürftige Willenserklärung", wie sie zur Beendigung eines Lehrverhältnisses erforderlich sei. Der Beklagte habe nicht einmal behauptet, das Lehrverhältnis schriftlich aufgelöst zu haben.
Da § 15 Abs 1 BAG für die Auflösung eines Lehrverhältnisses ausdrücklich Schriftlichkeit fordere, könne eine formlose Auflösung das Lehrverhältnis nicht beenden. Dem Lehrling stehe es aber im Falle einer rechtsunwirksamen Auflösung frei, das Lehrverhältnis rückwirkend mit dem Zeitpunkt des Zugehens dieser Erklärung dadurch zu beenden, daß er sich mit der einseitigen Auflösungserklärung des Lehrberechtigten ausdrücklich oder schlüssig einverstanden erkläre. Dieses Einverständnis habe der Kläger spätestens mit Schreiben vom 25. 6. 1990 zu erkennen gegeben. Damit sei das Lehrverhältnis zwischen den Parteien rückwirkend mit dem Zeitpunkte der Entlassungserklärung als beendet anzusehen. Das Recht des Lehrlings, Schadenersatz nach § 1162 b ABGB zu verlangen, stehe ihm nicht nur bei einer ungerechtfertigten, sondern auch bei einer auf Grund eines Formfehlers rechtsunwirksamen Auflösung des Lehrverhältnisses zu, weil kein Anlaß bestehe, eine aus Formmängeln unwirksame Entlassung anders als eine ohne wichtigen Grund erfolgte Auflösung zu behandeln. In beiden Fällen habe der Dienstnehmer (Lehrling) das Wahlrecht, entweder das Dienstverhältnis fortzusetzen oder Geldansprüche zu stellen. Das Lehrverhältnis sei frühestens durch das Forderungsscheiben des Klägers an den Beklagten vom 25. 6. 1990 aufgelöst worden, mit dem der Kläger von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht habe.
Die Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, dem Rechtsmittel der Gegenseite nicht Folge zu geben; in den Gründen weist er auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hin.
Die Revision ist zulässig, weil die Vorinstanzen die Rechtsfrage, ob eine schriftliche Entlassungserklärung vorlag, unrichtig gelöst haben. Das Rechtsmittel ist auch teilweise berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 15 Abs 1 BAG kann das Lehrverhältnis rechtswirksam nur bei Vorliegen einer der Voraussetzungen des Abs 2 bis 5 vorzeitig aufgelöst werden. Die Auflösung bedarf ferner zur Rechtswirksamkeit der Schriftform. Diesem Erfordernis ist erst dann vollinhaltlich entsprochen, wenn die Auflösungserklärung von der Lehrvertragspartei, welche die vorzeitige Auflösung bewirken will, unterzeichnet worden ist. Mit der bloßen schriftlichen Mitteilung der vorzeitigen Auflösung beispielsweise an die Lehrlingsstelle (wie hier durch das Schreiben Beilage 5), den Krankenversicherungsträger oder die Berufsschule ist der geforderten Schriftform nicht Genüge getan. Die schriftliche Auflösungserklärung ist an den Vertragspartner des Lehrvertrages (hier: den seit 10. 12. 1989 volljährigen Lehrling selbst) zu richten (Berger-Fida-Gruber, BAG 300 f).
Der Ansicht des Berufungsgerichtes, daß das Schreiben des
Beklagten vom 24. 3. 1990 die Voraussetzungen einer schriftlichen
Auflösungserklärung nicht erfülle, ist nicht zu folgen. Die
Zusendung der Arbeitspapiere ohne Begleitschreiben hätte wohl
nicht ausgereicht, doch hat der Beklagte dem Kläger mitgeteilt,
daß er "abgemeldet worden sei, weil er ohne Zustimmung nach Hause
gefahren sei". Da dieser schriftlichen Mitteilung nach den
bisherigen Behauptungen und Feststellungen kein mündliches
Gespräch zwischen den Streitteilen nach dem Verlassen des
Lehrplatzes durch den Kläger vorausgegangen ist, konnte dieser das Schreiben des Beklagten nur als Erklärung auffassen, daß der Lehrberechtigte das Lehrverhältnis wegen unbefugten Verlassens des Lehrplatzes durch den Lehrling (§ 15 Abs 3 lit e BAG) beenden wollte. Im Hinblick auf diese Situation und die ausdrückliche Nennung eines Auflösungsgrundes liegt trotz der Formulierung, daß der Lehrling "abgemeldet worden sei" keine Wissens-, sondern eine Willenserklärung vor.
Das Berufungsgericht widerspricht sich selbst, wenn es einerseits dem Schreiben vom 24. 3. 1990 nicht den Charakter einer auf Auflösung des Lehrverhältnisses gerichteten Willenserklärung zugebilligt, andererseits aber doch zutreffend im Sinn der bisherigen Rechtsprechung (ZAS 1982, 57 (Marhold) = DRdA 1982, 105 (Jabornegg); Arb 10.176 = DRdA 1983, 109 (Tögl); auch Arb. 10.130) eine Zustimmung des Lehrlings zur einseitigen (rechtsunwirksamen) Auflösungserklärung(!) des Lehrberechtigten annimmt.
Da eine (rechtsunwirksame) mündliche Auflösungserklärung nach dem bisher festgestellten Sachverhalt nicht abgegeben wurde, läge dann, wenn das Schreiben des Beklagten an den Kläger keine schriftliche Auflösungserklärung, sondern eine bloße Wissenserklärung enthielte, überhaupt keine (- also auch keine rechtsunwirksame -) Auflösungserklärung vor, so daß der Kläger auch kein Wahlrecht hätte, anstelle der Fortsetzung des Lehrverhältnisses auf seinen besonderen Entlassungsschutz zu verzichten und die sich aus § 94 GewO 1859, § 1162 b ABGB ergebenden Ansprüche geltend zu machen.
Richtig ist zwar, daß der Beklagte eine schriftliche Auflösungserklärung trotz Aufforderung nicht vorgelegt hat; das Original dieser Erklärung mußte sich aber ohnehin in Händen des Klägers befinden, dessen Parteienvernehmung Grundlage dafür war, daß von den Vorinstanzen das Zugehen des Schreibens vom 24. 3. 1990 mit der darin enthaltenen Mitteilung festgestellt wurde. Die Ausführung des Erstgerichtes, der Beklagte habe nicht einmal eine mündliche Entlassungserklärung behauptet, ist aktenwidrig, hat er sich doch - wenn auch ohne Behauptung einer bestimmten Form - ausdrücklich darauf berufen, daß er infolge unbefugten Verlassens des Lehrplatzes durch den Kläger das Lehrverhältnis gemäß § 15 Abs 3 lit e BAG vorzeitig aufgelöst habe. Der Beklagte hat damit seiner Behauptungspflicht ausreichend entsprochen.
Damit stellt sich aber die Frage, ob der Lehrling bei einer mangels Schriftform rechtsunwirksamen, materiell aber (allenfalls sogar) berechtigten mündlichen Entlassung ebenso wie bei einer ungerechtfertigten Entlassung zwischen der Fortsetzung des Lehrverhältnisses und der Geltendmachung der Ansprüche nach § 94 GewO 1859, § 1162 b ABGB im Sinne der oben zitierten Entscheidung wählen kann, im vorliegenden Fall gar nicht.
Das Erstgericht hat zwar festgestellt, daß der Kläger vom 7. bis 12. 3. 1990 "frei hatte" (Urlaub bzw. "Ruhetage") und daß er am 10. 3. 1990 erkrankte und der Beklagten sogleich eine Krankmeldung übermittelte. Es wies jedoch die zum Beweis des Gegenteils vom Beklagten angebotenen Beweismittel nicht wegen ihrer Untauglichkeit, zu einer anderen Beweiswürdigung zu führen, sondern mit der - vom Berufungsgericht gebilligten - rechtlich aber verfehlten Begründung ab, daß der Kläger selbst im Falle einer gerechtfertigten Entlassung wegen Fehlens einer schriftlichen Auflösungserklärung Anspruch auf Kündigungsentschädigung nach § 1162 ABGB habe. Da dies nicht zutrifft und das Berufungsgericht die Feststellungen über die "Urlaubsvereinbarung" als entbehrlich auch nicht übernommen hat, leidet das Verfahren infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung an wesentlichen Mängeln, welche eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache verhinderten. Da es sich um einen Feststellungsmangel handelt, steht der Umstand, daß das Berufungsgericht einen Verfahrensmangel erster Instanz verneinte, einem Aufgreifen der unterlaufenen Verfahrensfehler nicht entgegen. Das Erstgericht wird daher zur Frage, ob dem Kläger Urlaub (oder aus einem sonstigen Titel Freizeit) bewilligt wurde oder ob er den Lehrplatz unbefugt verlassen hat, auch die vom Beklagten beantragten Zeugen zu hören und diesen als Partei zu vernehmen haben. Säumnisfolgen sind diesbezüglich bisher nicht eingetreten, da das Erstgericht den ausführlich begründeten Antrag des Beklagten, die beiden Zeuginnen und ihn durch das zuständige Rechtshilfegericht zu vernehmen, nicht behandelt hat, so daß der Beklagte gar keine Möglichkeit hatte, doch noch mit den Zeugen zuzureisen.
Von den Verfahrensmängeln ist nur die vom Kläger begehrte Kündigungsentschädigung betroffen. Zu den entlassungsunabhängigen Ansprüchen enthält weder die Berufung noch die Revision irgendwelche Ausführungen. Es hat daher beim Zuspruch der Jahresremuneration, der Feiertagszuschläge und der Urlaubsabfindung zu bleiben. Im übrigen sind jedoch die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.
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