OGH 9ObA180/01p

OGH9ObA180/01p19.9.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter DI Walter Holzer und Anton Beneder als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. Norbert S*****, Rechtsanwalt, *****, vertreten durch Dr. Christian Hopp, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Marie***** K*****, Angestellte, *****, vertreten durch Dr. Clement Achammer, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung sA (Streitwert S 300.000; Revisionsinteresse S 150.000), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. Mai 2001, GZ 13 Ra 12/01i-78, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG zurückgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist (§ 46 Abs 1 ASGG). Eine derartige Rechtsfrage wird von der Revisionswerberin nicht aufgezeigt:

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass die Feststellung oder Nichtfeststellung bestimmter Tatsachen aus der freien Beweiswürdigung der Vorinstanzen resultiert, die vom Obersten Gerichtshof nicht überprüft werden kann (RIS-Justiz RS0043061); auch die Frage, ob noch weitere Zeugen zu vernehmen gewesen wären, betrifft die nicht revisible Beweiswürdigung (vgl RIS-Justiz RS0043320). Dass das Berufungsgericht die Behandlung der Mängelrüge der Klägerin mangels gesetzmäßiger Ausführung zu Unrecht abgelehnt habe, wird von der Revisionswerberin nicht als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens bekämpft (vgl RIS-Justiz RS0043231). Das rechtliche Gehör wird dann verletzt, wenn einer Partei die Möglichkeit vor Gericht zu verhandeln, durch ungesetzlichen Vorgang, insbesondere durch Unterlassung der Zustellung entzogen wurde (§ 477 Abs 1 Z 4 ZPO); von einem Ausschluss der Beklagten von der Verhandlung kann jedoch im Zusammenhang mit der Frage, ob vom Erstgericht noch weitere Zeugen zu vernehmen gewesen wären, keine Rede sein (vgl Kodek in Rechberger, ZPO**2 § 477 Rz 7).

Das Neuerungsverbot - eine Besonderheit des österreichischen Rechtsmittelverfahrens - umfasst sowohl das Verbot, neue Ansprüche und Einreden zu erheben, als auch das Verbot, neue Tatsachen und Beweismittel geltend zu machen (§ 482 ZPO). Die im gesamten Verfahren qualifiziert vertretene Revisionswerberin (§ 63 Abs 1 ASGG) beruft sich nicht auf das Vorliegen einer Ausnahme vom Neuerungsverbot (vgl hiezu Kodek aaO § 482 Rz 1 ff), sondern stellt dieses insgesamt in Frage, indem sie - allerdings ohne nähere Begründung - geltend macht, das Neuerungsverbot sei nicht mit den Grundsätzen eines fairen Verfahrens nach der EMRK vereinbar.

Richtig ist, dass nach Art 6 EMRK Jedermann Anspruch darauf hat, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche zu entscheiden hat. Der Grundsatz eines fairen Verfahrens verlangt, dass der Betroffene seine Rechte effektiv vertreten kann (Mayer, B-VG**2 Art 6 EMRK II.2 mwN). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes rechtfertigt Art 6 EMRK keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit von Rechtsmittelbeschränkungen (4 Ob 27/97t; 6 Ob 44/99k; RIS-Justiz RS0044057, RS0074833, RS0102361). Unter der Voraussetzung, dass der Zugang zu den Gerichten gewahrt ist, bleibt die weitere Ausgestaltung der Gerichtsbarkeit dem Ermessen der Staaten überlassen. Art 6 EMRK enthält zur Frage der Anfechtbarkeit gerichtlicher Entscheidungen keinen Hinweis (9 Ob 336/00b), geschweige denn zur Frage eines Neuerungsverbotes im Rechtsmittelverfahren. Das Recht auf Zugang zu den Gerichten gewährt kein Recht auf einen Instanzenzug oder - wo ein solcher besteht - auf Gerichtsbarkeit in allen Instanzen (SZ 64/1; RIS-Justiz RS0043962); um so weniger kann aus dieser Bestimmung eine Unzulässigkeit des Neuerungsverbotes im Rechtsmittelverfahren abgeleitet werden. Der Auffassung der Revisionswerberin, durch das Neuerungsverbot werde gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens verstoßen, kann daher nicht beigetreten werden. Die Parteien hatten in erster Instanz ausreichende und gleiche Gelegenheit zu Stellungnahmen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (SZ 64/1).

Nach dem anwaltlichen Selbstverständnis zählt das Gebot der anwaltlichen Verschwiegenheit zu den tragenden Säulen des Anwaltsberufs schlechthin - eine Advokatur ohne streng verstandene Verschwiegenheitsverpflichtung wäre schlichtweg nicht denkbar (AnwBl 1989/3104; Arnold, ÖJZ 1982, 1; Fichtenbauer, AnwBl 1993, 69 mwN ua). Schutzobjekt der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht sind die Parteiinteressen. Für die berufsmäßige Parteienvertretung durch Rechtsanwälte kommt dem Umstand besondere Bedeutung zu, dass sich die Klienten darauf verlassen können, dass seitens des Rechtsanwaltes und seiner Mitarbeiter keinerlei Informationen an Dritte gelangen. Erst dieses Vertrauen ermöglicht die Offenheit des Klienten gegenüber seinem Rechtsanwalt, die erforderlich ist, damit seine Interessen bestmöglich gewahrt werden können (Eypeltauer in DRdA 1997/46, 391). Die Schweigepflicht umfasst die anvertrauten Angelegenheiten und die dem Anwalt sonst in seiner beruflichen Eigenschaft bekannt gewordenen Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse seiner Partei gelegen ist (Fichtenbauer aaO). Diese Sichtweise beschränkt sich nicht auf österreichische Rechtsanwälte. So verpflichtet etwa auch Art 6 liechtensteinisches Rechtsanwältegesetz (ähnlich wie § 9 Abs 2 RAO) Rechtsanwälte zur Verschwiegenheit über die ihnen anvertrauten Angelegenheiten. Ob sich die Verschwiegenheitspflicht auch nach liechtensteinischem Recht - ohne besondere Vereinbarung - auf die Angestellten und Hilfskräfte der Rechtsanwälte erstreckt (vgl § 9 Abs 3 RAO; Fasching III 422; Eypeltauer aaO; AnwBl 1989/3104), kann hier auf sich beruhen, weil sich die Beklagte gegenüber dem Kläger, einem liechtensteinischen Rechtsanwalt, ohnehin im Anstellungsvertrag vom 3. 11. 1992 ausdrücklich verpflichtete, über alle Wahrnehmungen, die sie im Büro des Arbeitgebers macht, gegenüber Dritten - auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses - strengstes Stillschweigen zu wahren. Des weiteren verpflichtete sich die Beklagte auch in einer gesonderten Verschwiegenheitserklärung vom 11. 1. 1993, über alle Umstände, die ihr im Rahmen ihrer Arbeitsleistung beim Kläger zur Kenntnis gelangen werden oder die ihr auch sonst über Umstände und Verhältnisse ihres Arbeitgebers oder dessen Auftraggeber bekannt werden sollten, Außenstehenden gegenüber die volle Verschwiegenheit zu bewahren.

Unter Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen werden Umstände verstanden, die nicht allgemein bekannt sind und an deren Geheimhaltung der Arbeitgeber ein objektiv berechtigtes Interesse hat; unlautere Geschäftspraktiken oder gesetzwidriges Verhalten zählen aber in der Regel nicht dazu (Kuderna, Entlassungsrecht**2 134). Dieser Ansicht ist jedenfalls zu folgen, als es um die Aufdeckung strafrechtlich relevanter Tatbestände geht. Es wird nicht bezweifelt, dass ein Arbeitnehmer im Interesse der Allgemeinheit zur Erstattung einer Strafanzeige berechtigt ist, wobei er allerdings grundsätzlich in einer für seinen (ehemaligen) Arbeitgeber möglichst schonenden Form vorzugehen hat (Krejci in Rummel, ABGB3 § 1162 Rz 130; Martinek/Schwarz/Schwarz, AngG7 606 f; Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht8 300; Tomandl/Schrammel, Arbeitsrecht Bd 24 177; Arb 6.771; DRdA 1997/46 [Eypeltauer]; Weiß in DRdA 1999/18; RdW 1999, 223 ua).

Die Grenzziehung ist gerade bei Angestellten von Rechtsanwälten wegen des Schutzes von Klienteninteressen besonders heikel (Spielbüchler in Floretta/Spielbüchler/ Strasser, Arbeitsrecht I4 193). Dass aber ein Fernsehinterview einer Angestellten eines Rechtsanwalts über Umstände, die ihr ausschließlich im Rahmen ihrer Tätigkeit bei diesem Rechtsanwalt bekannt geworden sind, verknüpft mit dem Vorwurf der Mitwisserschaft bzw Mitwirkung des Rechtsanwalts an strafbaren Handlungen, a priori nicht die Annahme einer besonders schonenden Vorgangsweise gegen den ehemaligen Arbeitgeber indiziert, liegt auf der Hand. Ob derartige Interviews in besonders gelagerten Einzelfällen im Hinblick auf die Schwere der strafbaren Handlungen und den hiedurch drohenden Schaden dennoch gerechtfertigt sein können, kann nicht allgemein behandelt werden, weil dies nur nach genauester Abwägung im Einzelfall gesagt werden kann. Dass der von der Beklagten befürchtete Schaden durch die ohnehin gegen den Kläger erstatteten Strafanzeigen bzw anhängigen Strafverfahren, die allerdings später mangels stichhältiger Beweise zurückgelegt bzw eingestellt wurden, allein nicht abwendbar gewesen wäre, wurde jedenfalls in erster Instanz nicht dargetan. Die besondere Abhängigkeit von den jeweiligen Umständen des konkreten Einzelfalls steht aber der Annahme einer erheblichen, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage iSd § 46 Abs 1 ASGG entgegen, sofern keine krasse Fehlbeurteilung des Berufungsgerichtes vorliegt. Eine solche wird von der Revisionswerberin im vorliegenden Fall nicht dargetan. Die Verschwiegenheitspflicht wird im Übrigen schon mit einem Verstoß verletzt, sodass letztlich dahingestellt bleiben kann, ob die Beklagte - abgesehen von dem genannten Fernsehinterview - die Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem Kläger auch durch Erklärungen gegenüber anderen Personen oder Medien verletzt hat.

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