Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S
21.375 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 3.562,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 2.9.1956 geborene, verheiratete Kläger hat zwei Kinder und war bei der beklagten Partei ab 1.6.1994 bis zur Arbeitgeberkündigung zum 31.10.1998 als Angestellter im Außendienst beschäftigt. Er erhielt im letzten Jahr an Fixum, Provision, Produktionszulage und Anschaffungsbeitrag, Bonifikation, Wettbewerbsprämie, Weihnachtsgeld, Betreuungspauschale, Bilanzgeld und Urlaubsgeld insgesamt S 493.343 ausgezahlt, was einem monatlichen Durchschnittseinkommen von brutto S 41.111,91 entspricht. Bis 3.12.1998 erhielt der Kläger infolge einer von der Beklagten auszuzahlenden Urlaubsentschädigung kein Arbeitslosengeld. Ab 3.12.1998 bezog er dieses für ca vier Monate in der Höhe von ca S 15.000 monatlich. In der Versicherungsbranche können Außendienstmitarbeiter binnen ein bis zwei Monaten eine neue Arbeitsstelle mit einem Entgelt im ersten Jahr zwischen S 13.000 und S 15.000 brutto an Fixum finden. Im zweiten und dritten Jahr reduziert sich das Fixum und die Provisionen steigen zugleich und ermöglichen insgesamt ein höheres Einkommen. Im Innendienst ist mit einer Suchzeit von mindestens einem halben Jahr zu rechnen. Binnen kürzerer Zeit ist eine Anstellung äußerst unwahrscheinlich. Für normale Innendienstmitarbeiter ist im ersten Jahr ein geringeres Monatseinkommen als S 15.000 netto erzielbar.
Ab 1.12.1998 machte sich der Kläger als Versicherungsagent selbständig und arbeitet seither mit mehreren Versicherungsunternehmen zusammen, die im einzelnen nicht feststellbar sind. Er erhält nur Agenturprovisionen, keine fixen Spesen und auch kein Fixum. Die ersten Monate nach Beginn seiner Tätigkeit liefen wirtschaftlich etwas schlechter. Dann stiegen die Provisionsumsätze; derzeit sind sie wieder gesunken. Durchschnittlich beträgt der Provisionsumsatz des Klägers ca S 50.000. Er verfügt über ein eigenes Büro mit einer geringfügig beschäftigten Mitarbeiterin. Sein Jahresergebnis für 1999 wird voraussichtlich weder Verlust noch Gewinn ergeben. Er hat in seiner selbständigen Tätigkeit ein wesentlich geringeres, zumindest aber mehr als 10 % geringeres monatliches Einkommen zur Verfügung als während des aufrechten Dienstverhältnisses bei der Beklagten. An Gesamteinkommen in der Versicherungsbranche für Außendienstmitarbeiter ist innerhalb eines Jahres mit monatlich netto S 15.000 zu rechnen. In der Folge steigert sich dies innerhalb von drei bis fünf Jahren auf ca S 25.000 netto. Das bei der Beklagten erzielte Durchschnittseinkommen hätte der Kläger binnen einer Jahresfrist nach Kündigung weder im Innendienst noch im Außendienst bei einem anderen Versicherungsunternehmen verdienen können. Die Gattin des Klägers ist Hausfrau, seit Jahren schwer krank und bezieht weder Pension noch Pflegegeld. Der Kläger ist Eigentümer einer Eigentumswohnung und hat Schulden von S 200.000. Er hat monalich für Annuitäten und Betriebskosten S 6.000 zu zahlen. Weitere Auslagen in Höhe von S 10.000 betreffen eine Privatzusatzversicherung, eine Autoversicherung und eine Lebensversicherung. Das Bankkonto des Klägers ist mit S 250.000 überzogen. Er wird von der Schwiegermutter unterstützt, wobei die Unterstützung zurückzuzahlen ist.
Der Kläger begehrt die Aufhebung der Kündigung als sozialwidrig.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.
Das Erstgericht nahm die wesentliche Interessenbeeinträchtigung im Sinne des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG als gegeben an, weil die finanzielle Schlechterstellung ein solches Ausmaß erreicht habe, dass eine fühlbare Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage damit verbunden sei.
Es erkannte daher im Sinne des Klagebegehrens.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, dass es das Klagebegehren abwies.
In seiner rechtlichen Beurteilung schloss sich das Berufungsgericht der vom Obersten Gerichtshof abgelehnten Rechtsprechung des seinerzeit als Beschwerdeinstanz gegen die Bescheide der Einigungsämter zuständigen Verwaltungsgerichtshofes an, wonach als maßgeblicher Zeitpunkt für die Einschätzung der Interessenbeeinträchtigung jener der Bescheiderlassung des Einigungsamtes heranzuziehen sei. Es vermeinte daher, dass die nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Kündigung eingetretene, in keinem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Kündigung stehende Umstände, die in der Annahme der selbständigen Tätigkeit des Klägers zu ersehen seien, heranzuziehen seien und daher das Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit aber auch der Bezug des Arbeitslosengeldes entscheidend dafür sei, dass die für die Sozialwidrigkeit erforderliche Beeinträchtigung insgesamt nicht erreicht werde. Im Übrigen sei der Kläger für die Interessenbeeinträchtigung behauptungs- und beweispflichtig, sodass die Feststellung, dass der Kläger ein wesentlich geringeres, zumindest aber ein mehr als 10 % geringeres monatliches Einkommen erziele, zu seinen Lasten lediglich eine nachgewiesene Minderung von 10 % ergebe, die aber für die Anfechtung einer Kündigung wegen Sozialwidrigkeit nicht maßgeblich sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Wiederherstellung des Urteiles der ersten Instanz abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision des Klägers keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Das Absehen von einer Vorgangsweise nach § 473a ZPO durch das Berufungsgericht bildet hier keinen Verfahrensmangel, weil die von der klagenden Partei nunmehr relevierten Feststellungen über ihre Einkommensituation nicht nur in den Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes enthalten sind (vgl S 359 und 361dA), sondern auch in der Berufung der beklagten Partei darauf Bezug genommen wurde. Dadurch wurde eine Rügepflicht des Klägers als Berufungsgegner in der Berufungsbeantwortung ausgelöst (RIS-Justiz RS0113473; 10 ObS 54/00i). Der Kläger hat seinen Provisionsumsatz von S 50.000 monatlich nicht bestritten, sondern nur gemeint, dass daraus kein Gewinn erzielbar gewesen sei (AS 421) und dieses Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit aus rechtlichen Gründen nicht maßgeblich sei. Er hat auch die Feststellung des Erstgerichtes (S 361) nicht gerügt, dass er ein "zumindest aber mehr als 10 % geringeres monatliches Einkommen zur Verfügung hatte als während des aufrechten Arbeitsverhältnisses zur beklagten Partei."
Die Rechtsrüge ist nicht berechtigt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist bei der im Kündigungsanfechtungsverfahren zunächst vorweg zu prüfenden, vom Arbeitnehmer zu behauptenden und zu beweisenden wesentlichen Interessenbeeinträchtigung (9 ObA 55/92) eine vom Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Konkretisierungszeitpunkt) abzustellende Prognose über die nach diesem Zeitpunkt aller Voraussicht nach wirksam werdenden Folgen der Kündigung für die wesentlichen Interessen des Arbeitnehmers zu erstellen (Arb 10.771 ua). Auch eine künftige Entwicklung der Verhältnisse nach der Kündigung und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist heranzuziehen, soweit sie mit der angefochtenen Kündigung noch in sachlichem oder zeitlichem Zusammenhang steht. Die Interessensbeeinträchtigung muss im Rahmen einer rational nachvollziehbaren Prognose vorhersehbar sein, wobei es auf objektive Faktoren als Folge der Kündigung und ihrer Vorhersehbarkeit ankommt (Floretta, Zum Grundtatbestand der Sozialwidrigkeit im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzrecht WBl 1991, 14 ff; Grillberger, Neue Tendenzen im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz? WBl 1990, 7 f; RIS-Justiz RS0051785; SZ 63/68; ecolex 1996, 398).
Künftige Entwicklungen sind im Sinne der Rechtsprechung auch ex ante zu berücksichtigen, wenn sie objektiv vorhersehbar waren, was aber jeweils von den Umständen des Einzelfalles abhängt. Objektiv vorhersehbar sind nicht nur die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt dahin, dass der Arbeitnehmer eine gleichartige Arbeitsstelle als unselbständig Beschäftigter findet, sondern auch die bei bestimmten Berufen in der selbständigen und unselbständigen Arbeitswelt üblichen Varianten der Berufsausübung und der Branche, wie hier die als angestellter Außendienstmitarbeiter oder als selbständiger Versicherungsmakler. Dies steht mit der im Verfahren festgestellten Prognose nicht im Widerspruch, weil sich diese nur mit der Möglichkeit des Klägers, als unselbständig Erwerbstätiger Beschäftigung zu finden, befasst. Dass die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit unvorhersehar gewesen wäre, wurde nicht vorgebracht.
Die Beweislast für die Interessenbeeinträchtigung trifft den Arbeitnehmer (SZ 63/68). In diesem Zusammenhang hat er daher auch zu behaupten und zu beweisen, inwieweit durch die durch die Kündigung bewirkte finanzielle Schlechterstellung eine fühlbare und ins Gewicht fallende Beeinträchtigung der wirschaftlichen Existenz gegeben ist, ohne dass eine soziale Notlage oder Existenzgefährdung eintreten müsste (SZ 61/213). Nach den Feststellungen ergibt sich aus der selbständigen Tätigkeit des Klägers ein "wesentlich geringeres zumindest aber mehr als 10 % geringeres monatliches Einkommen gegenüber seinem Angestellteneinkommen". Dass die Einkommensminderung "wesentlich" ist oder "zumindest mehr" als 10% beträgt, sind nicht aussagekräftig Wertungen, die eine dem Kläger oblegene Konkretisierung und Beweispflicht nicht ersetzen können. Nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast schlägt es zum Nachteil aus, wenn bestimmte Tatsachen, für die Beweispflicht besteht, nicht nachgewiesen werden (SSV-NF 10/133; 10 ObS 75/99y). Der Kläger hat zu seinem nunmehrigen Einkommen keinerlei urkundliche Nachweise vorgelegt, Angaben über die Unternehmungen, mit denen er nunmehr zusammenarbeitet, verweigert und sich auf Ausführungen in der Parteienvernehmung beschränkt, die nicht mehr an Feststellungen erlauben, als ohnedies getroffen wurden. Es ist daher nur von einer konkret nachgewiesenen und festgestellten Einkommensminderung von 10 % auszugehen. Ob "steuerlich" weder Gewinn noch Verlust zu erwarten war, steht mit den Feststellungen über das Einkommen auf Grund des Provisionsumsatzes nicht im Widerspruch, weil sich aus bloß steuerlichen Gewinnen und Verlusten kein Hinweis auf das tatsächliche Einkommen ergibt, zumal gerade bei einem Unternehmen in der Gründungsphase - im Hinblick auf die gegebenen Abschreibungs- und Gestaltungsmöglichkeiten - das steuerliche Ergebnis mit dem tatsächlich verbleibenden Einkommen keineswegs ident sein muss. Die Entgelteinbuße von mindestens 10 % ist nicht geeignet, eine Kündigungsanfechtung zu rechtfertigen, zumal erst darüber liegende Entgelteinbußen unter Umständen auf gewichtige soziale Nachteile hindeuten (9 ObA 261/98t).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO im Zusammenhang mit § 58 Abs 1 ASGG.
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