Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 5.094 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 849 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war seit 1.6.1991 als Hilfsarbeiterin bei der Beklagten beschäftigt. Sie war mit einer durchschnittlichen Beschäftigungsdauer von ca 20 Stunden pro Woche zur Sozialversicherung angemeldet, arbeitete aber üblicherweise während der betrieblichen "Grundarbeitszeit" (= Normalarbeitszeit) von 8 bis 12 Uhr und von 13 bis 17 Uhr. Ein Bruttomonatslohn war zwischen den Streitteilen nicht vereinbart. Die Klägerin wurde von allen Anfang an aufmerksam gemacht, daß sie aufgrund der geleisteten und in die Arbeitskarte eingetragenen Stunden entlohnt werden würde.
Im Dezember erhielt die Klägerin von ihrer Schwangerschaft Kenntnis und machte hievon der Arbeitgeberin Mitteilung. Am 6.2.1992 wurden die Klägerin und eine Arbeitskollegin von einem Vorgesetzten um 15 Uhr nach Hause geschickt, weil es keine Arbeit mehr gab. Die Klägerin trug damals in ihre Zeiterfassungskarte (Arbeitszeitkarte) nicht 15 Uhr sondern 17 Uhr als Arbeitsende ein. Aufgrund einer ärztlichen Überweisung in die Klinik meldete die Klägerin für den 17.2.1992 eine Abwesenheit wegen Klinikbesuchs an, suchte aber an diesem Tag wegen Erkrankung das Krankenhaus nicht auf. Von dieser Änderung des Grundes der Dienstverhinderung informierte sie die Beklagte nicht. Am 26.2.1992 ging die Klägerin mit Genehmigung des Vorarbeiters um 16 Uhr zum Arzt und "stempelte" statt mit 16 Uhr mit 17 Uhr "aus". Von diesen unrichtigen Eintragungen in die Arbeitszeitkarte erfuhr der Geschäftsführer der Beklagten am 3.3.1992, worauf er die Klägerin sofort entließ.
Die Klägerin begehrt die Feststellung, daß ihr Arbeitsverhältnis zur Beklagten über den 3.3.1992 hinaus fortbestehe. Sie habe keinen Entlassungsgrund nach § 12 MuttSchG gesetzt. Die unrichtigen Eintragungen in der Arbeitszeitkarte beruhten auf einem Irrtum. Sie hätte ohnehin Anspruch auf den Lohn für die Normalarbeitszeit bis 17 Uhr gehabt.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Zwischen den Streitteilen seien keine festen Arbeitszeiten vereinbart worden. Jeder Arbeitnehmer habe Beginn und Ende der Arbeitszeit in die Arbeitszeitkarte eintragen müssen. Die Klägerin habe durch die unrichtige Eintragung des Arbeitsendes am 6.2. und 26.2.1992 bewußt gegen die Interessen der Beklagten verstoßen und den Entlassungsgrund der Untreue nach § 12 Abs 1 Z 2 MuttSchG verwirklicht.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die bewußt unrichtigen Eintragungen in die Arbeitszeitkarte gingen über eine bloße Vertrauensunwürdigkeit hinaus; sie bildeten den Entlassungsgrund der Untreue nach § 12 Abs 1 Z 2 MuttSchG.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es dem Feststellungsbegehren der Klägerin stattgab. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige. Die Beklagte habe eine zwiespältige Situation dadurch geschaffen, daß sie die Klägerin nur mit einer Halbtagsbeschäftigung zur Sozialversicherung anmeldete und mit ihr die Entlohnung nur der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden vereinbarte, sie aber dennoch regelmäßig voll beschäftigte. Nach dieser Vereinbarung waren der faktisch vollbeschäftigten Klägerin Ausfallstunden nicht zu entlohnen, was aber auf eine sittenwidrige Umgehung jener Bestimmungen hinauslaufe, nach denen der Arbeitgeber gewisse Arbeitszeitausfälle zu entlohnen habe. Ein Arbeitnehmer, der trotz normaler Vollbeschäftigung vorzeitig wegen Arbeitsmangels heimgeschickt werde, habe gemäß § 1155 ABGB Anspruch auf den vollen Arbeitslohn dieses Tages.
Für die Fehlstunde vom 26.2.1992, die infolge eines vom Vorgesetzten genehmigten Arztbesuches entstanden sei, gebühre der Klägerin nach § 21 des Mantelkollektivvertrages für Arbeiter im graphischen Gewerbe (im folgenden kurz: KV) Arbeitslohn. Wenn der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer während der betriebsüblichen Arbeitszeit regelmäßig voll beschäftige, ihn aber nach den Grundsätzen einer Teilzeitbeschäftigung mit flexibler Arbeitszeit abzurechnen suche, liege in den festgestellten Fehleintragungen in die Arbeitskarte kein gravierender Verstoß gegen die Treuepflicht, der eine Entlassung der schwangeren Klägerin rechtfertige.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den Anträgen, das Ersturteil wieder herzustellen; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Die Klägerin beantragt, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die gerügte Aktenwidrigkeit, die die Revisionswerberin darin erblickt, daß das Berufungsgericht aufgrund der Feststellung, daß die Klägerin "üblicherweise in der Zeit von 8 bis 12 Uhr und von 13 bis 17 Uhr" arbeitete, ihre regelmäßige Vollbeschäftigung annahm, liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). In der Übernahme der Feststellung des Erstgerichtes durch das Berufungsgericht kann schon begrifflich keine Aktenwidrigkeit liegen (EFSlg 41.805, 9 Ob A 241,242/89, 7 Ob 507,508/90 ua). Im übrigen ergibt sich aber auch aus den von der Beklagten vorgelegten, als echt anerkannten Stundenaufzeichnungen (Beilagen 5 bis 12), auf die sich auch die Klägerin beruft (AS 95), daß die Klägerin die monatliche Normalarbeitszeit für das graphische Gewerbe von durchschnittlich 162,8 Stunden (= 37 Stunden wöchentlich laut § 12 Z 1 KV x 4,4) von Juni 1991 bis Jänner 1992 fast nie unterschritten, sondern meist durch Überstunden (zum Teil wesentlich) überschritten hat. Die tägliche Arbeitszeit der Klägerin war allerdings wiederholt auch kürzer als 8 Stunden.
Damit erübrigt sich auch die Frage, ob die Aktenwidrigkeitsrüge der in erster Instanz obsiegenden Beklagten in Wahrheit eine auch im Revisionsverfahren zulässige Bekämpfung der ihr ungünstigen Feststellungen des Erstgerichtes bildet (SZ 48/9; SZ 51/137; JBl 1986,121; SSV-NF 5/112), weil über das genaue Arbeitsausmaß der Klägerin ohnehin unstrittige Unterlagen vorliegen.
Auch die Rechtsrüge ist nicht berechtigt: Obwohl die Klägerin seit Juni 1991 im wesentlichen - von Urlaub, Zeitausgleich u.dgl. abgesehen - die übliche Arbeitszeit bis 17 Uhr regelmäßig eingehalten (bzw sogar Überstunden geleistet) hatte, wurde sie am 6.2.1992 vom Vorarbeiter um 15 Uhr nach Hause geschickt, weil es keine Arbeit mehr gab. Eine einvernehmliche Verkürzung der Arbeitszeit, die auch im Interesse der Klägerin gelegen wäre, wurde von den Vorinstanzen für diesen Tag nicht festgestellt. Daß die Klägerin "nach Hause geschickt" wurde, spricht dafür, daß die an diesem Tag für sie übliche Arbeitszeit nicht beendet war, da es sonst einer solchen Erklärung nicht bedurft hätte. Damit hat aber die Arbeitgeberin die Arbeitszeit an diesem Tag einseitig festgesetzt. Ob dies zulässig war, weil dem Arbeitsverhältnis zwischen den Streitteilen schon von Anfang an die Vereinbarung zugrundegelegt wurde, daß die Klägerin keinen Monatslohn erhalten, sondern nur nach der Anzahl der tatsächlich geleisteten Stunden (gemeint: entsprechend dem jeweiligen Bedarf) entlohnt werden sollte, also eine wirksame Vereinbarung im Rahmen des dispositiven § 1155 ABGB (dazu Krejci in Rummel, ABGB2 Rz 1 zu § 1155) vorlag oder ob diese Vereinbarung als generelle Risikoabwälzung auf den Arbeitgeber im Sinne einer Vereinbarung von "Arbeit auf Abruf" bereits gegen § 879 ABGB verstieß (Schwimann/Grillberger, ABGB IV/2, Rz 5 zu § 1155; Spielbüchler in Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht3 I 82; Mayer-Maly - Marhold, Arbeitsrecht I 106; zur kapazitätsorientierten variablen Arbeitszeit Klein, DRdA 1984, 301, 305 f) kann diesmal auf sich beruhen.
Da die Klägerin bis 6.2.1992 im großen und ganzen (mindestens) während der üblichen Normalarbeitszeit gearbeitet hat und von keinem der Streitteile vorgetragen wurde, daß einzelne bisherige Abweichungen von dieser Arbeitszeit (etwa wegen Zeitausgleich, Einarbeiten von Feiertagen, Dienstverhinderungen u.dgl.) ohne Herstellung eines Einvernehmens erfolgt wären, konnte die Klägerin, als sie am 6.2.1992 ohne ihre Zustimmung zwei Stunden vor Ende der Normalarbeitszeit nach Hause geschickt wurde, mit guten Gründen annehmen, daß ihr für diesen Tag der Arbeitslohn bis zum Ende der Normalarbeitszeit gebühre, da sie allein durch Umstände, die auf Seiten des Arbeitgebers lagen, an der weiteren Dienstleistung verhindert war.
Damit fällt aber der Klägerin kein vorsätzlicher Verstoß gegen die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers zur Last: Untreue im Dienst setzt nämlich einen vorsätzlichen und pflichtwidrigen Verstoß gegen die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers voraus, durch den dessen dienstliches Vertrauen zum Arbeitnehmer verwirkt wird, wobei es allerdings gleichgültig ist, ob der Arbeitgeber dadurch einen Schaden erleidet. Der Vorsatz muß sich nicht nur auf die den Verstoß begründende Handlung erstrecken, sondern auch die Richtung des Verstoßes, also die den Interessen des Arbeitgebers abträgliche Eignung der Handlung umfassen (Kuderna, Entlassungsrecht 85; 9 Ob A 208-210/91).
Nach § 22 Z 1 lit a KV "behält der Dienstnehmer den Anspruch auf Fortzahlung des vollen Entgeltes für eine verhältnismäßig kurze Zeit, wenn er wegen Inanspruchnahme eines Arztes an der Dienstleistung verhindert ist". Der Anspruch besteht unter anderem dann nicht, wenn die Inanspruchnahme eines Arztes außerhalb der Arbeitszeit möglich ist. Zwischen Voll- und Teilzeitarbeit unterscheidet § 22 Z 1 KV nicht. Da die Klägerin den Betrieb am 26.2.1992 mit Zustimmung des Vorgesetzten verließ, um den Arzt aufzusuchen, bedurfte es keiner Prüfung, ob der Arztbesuch auch außerhalb der Arbeitszeit möglich gewesen wäre. Die Klägerin hatte daher Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts, so daß die unrichtige Eintragung des Arbeitsendes mit 17 Uhr anstatt 16 Uhr den Entschädigungsvorsatz voraussetzenden Tatbestand der Untreue nicht erfüllen konnte.
Auch der Umstand, daß die Klägerin am 14.2.1992 wegen einer geplanten Untersuchung auf der Klinik für den 17.2.1992 einen arbeitsfreien Tag beanspruchte, die Klinik aber dann nicht aufsuchte, weil sie krank war und diese nachträgliche Änderung dem Arbeitgeber zunächst verschwieg, bildet nicht den Entlassungsgrund der Untreue, begründen doch selbst wahrheitswidrige Angaben gegenüber dem Dienstgeber, die nur aus Angst vor Vorwürfen gemacht werden, als solche noch nicht ein bewußtes vorsätzliches Zuwiderhandeln gegen die Interessen des Arbeitgebers (Arb 10.264). Da die Klägerin am 17.2.1992 krank war, hat sie durch das Verschweigen der Änderung des (berechtigten) Grundes ihrer Dienstverhinderung nicht vorsätzlich gegen die Interessen des Arbeitgebers gehandelt.
Bloße Vertrauensunwürdigkeit reicht aber als Entlassungsgrund nach dem Mutterschutzgesetz nicht aus (Knöfler-Martinek, MuttSchG9, 188), so daß die Frage, ob das Verhalten der Klägerin immerhin Vertrauensunwürdigkeit begründet hätte, nicht zu prüfen ist.
Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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