European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00110.16S.0929.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung
Der Kläger war bei der Beklagten vom 17. 3. 1997 bis 28. 2. 2014, zuletzt als Filialleiter, beschäftigt. Am 26. 2. 2014 sprach die Beklagte die Kündigung aus, weil sie nach einer Kontrolle festgestellt hatte, dass ein anderer Mitarbeiter der Beklagten, der Zeuge F., für den Kläger an mehreren Tagen in der Früh zu Zeitpunkten „eingestempelt“ hatte, zu denen der Kläger weder bereits im Betrieb war noch außerhalb des Betriebs eine Arbeitstätigkeit des Klägers für die Beklagte festgestellt werden konnte. Am darauffolgenden Tag wurde der Kläger schriftlich entlassen, wobei ihm das Entlassungsschreiben am 28. 2. 2014 übergeben wurde.
Rechtliche Beurteilung
Nach herrschender Rechtsprechung und Lehre liegt in der Kündigung durch den Arbeitgeber grundsätzlich ein konkludenter Verzicht auf die Ausübung des Entlassungsrechts bezüglich des der Kündigung vorausgegangenen Verhaltens (RIS‑Justiz RS0029226; RS0028276; Kuderna , Entlassungsrecht² 27; Pfeil in ZellKomm² § 25 AngG Rz 43; Friedrich in Marhold/Burgstaller/Preyer , § 25 AngG Rz 39). Ob nach den Umständen des Einzelfalls ein Verzicht anzunehmen ist oder nicht, stellt im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS‑Justiz RS0107199). Eine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung ist in der Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe auf ihr Entlassungsrecht verzichtet, weil sie den Kläger in Kenntnis des Entlassungsgrundes, nämlich der Manipulationen bei der Zeiterfassung, gekündigt hat, nicht zu erkennen.
Die Beklagte rekurriert in ihrer außerordentlichen Revision darauf, dass sie erst am Tag nach der Kündigung erfahren habe, dass die Vorgangsweise des Einstempelns durch den Mitarbeiter F. bereits sehr lange Zeit praktiziert worden sei. Damit gelangte sie aber nicht in Kenntnis eines neuen, eine Entlassung begründenden Sachverhalts (vgl 8 ObA 53/08i). Die zwischen dem Mitarbeiter F. und dem Kläger abgesprochenen Vorgangsweise des Einstechens der Stempelkarte des Klägers hat sich zwar nach den Feststellungen zumindest über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren hingezogen, doch steht nicht fest, dass es dabei auch tatsächlich zu Zeitmanipulationen zum Nachteil der Beklagten gekommen ist. Schließlich hat sich die erwähnte Vorgangsweise deshalb eingebürgert, weil der Kläger immer wieder in der Früh Kundentermine wahrzunehmen hatte, bevor er in das Büro gehen und einstechen konnte. In diesem Fall ersuchte er den Mitarbeiter F. telefonisch, für ihn einzustechen.
Durch den schlüssigen Verzicht auf die Geltendmachung jenes Sachverhalts als Entlassungsgrund, der der Beklagten zum Zeitpunkt der Kündigung bekannt war, ist der Beklagten auch die Berufung auf den Entlassungstatbestand des § 27 Z 4 dritter Fall AngG verwehrt.
Auch die im Einzelfall (vgl RIS‑Justiz RS0106298) vorgenommene Beurteilung des Berufungsgerichts, die festgestellte Nutzung des Internets durch den Kläger zu privaten Zwecken im Betrieb der Beklagten verwirkliche (noch) nicht den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit nach § 27 Z 1 dritter Fall AngG, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.
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