OGH 9ObA110/05z

OGH9ObA110/05z16.12.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Helmut F*****, vertreten durch Dr. Evamaria Sluka-Grabner, Rechtsanwältin in Wr. Neustadt, gegen die beklagte Partei L***** - Vereinigung *****, vertreten durch Hain Rigler Grünling-Schopf, Rechtsanwälte in Wr. Neustadt, wegen EUR 70.860,53 sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Mai 2005, GZ 9 Ra 13/05f-46, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Dass der Arbeitgeber die Entlassung ohne Verzug aussprechen muss, widrigenfalls das Entlassungsrecht erlischt, entspricht der völlig herrschenden Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0029131 ua) und wird vom Revisionswerber auch gar nicht bestritten. Dieser Grundsatz beruht auf dem Gedanken, dass ein Arbeitgeber, der eine Verfehlung seines Arbeitnehmers nicht sofort mit der Entlassung beantwortet, dessen Weiterbeschäftigung nicht als unzumutbar ansieht und auf die Ausübung des Entlassungsrechts verzichtet (RIS-Justiz RS0029249 ua). Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO erblickt der Revisionswerber jedoch darin, dass die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu diesem Thema „überaus zersplittert sei, sodass der Rechtssuchende keinerlei Gewissheit habe, woran er gerade sei und sohin dem Gutdünken des Gerichts auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sei."

Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, dass der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, schon auf Grund einer unüberprüften Anschuldigung die Entlassung auszusprechen. Vielmehr muss ihm in einem solchen Fall zugebilligt werden, sich zunächst Klarheit über deren Berechtigung zu verschaffen. Es bleibt allein dem Arbeitgeber überlassen, ob und wann er aus dem Verlauf einer Strafuntersuchung gegen seinen Arbeitnehmer die Überzeugung gewinnt, dass bereits die bisherigen Verfahrensergebnisse eine Entlassung rechtfertigen. Er kann also, wenn - wie im vorliegenden Fall - ein vorerst undurchsichtiger, zweifelhafter Sachverhalt vorliegt, auch erst während des zur Aufklärung dieses Sachverhalts dienenden Strafverfahrens die Entlassung aussprechen (vgl RIS-Justiz RS0029309 ua).

Die Frage, ob unter den jeweils gegebenen Umständen der Ausspruch der Entlassung rechtzeitig erfolgte, ist regelmäßig eine Frage des Einzelfalls, der keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt, sofern keine krasse Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz vorliegt. Die vom Revisionswerber wahrgenommene „Zersplitterung" der Rechtsprechung zur Frage der Rechtzeitigkeit der Entlassung ist nur eine scheinbare. Der unrichtige Eindruck beruht vielfach darauf, dass aus einzelnen zeitlichen Aspekten in Entscheidungen rechtliche Schlüsse zur Rechtzeitigkeit einer Entlassung gezogenen werden, ohne gleichzeitig den gesamten jeweils zugrundeliegenden Sachverhalt in die Beurteilung miteinzubeziehen.

Nach den bindenden Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen hat der bei der Beklagten beschäftigte Kläger unter Ausnützung von Gelegenheiten, die ihm seine Arbeit bot, mehrere ihm als Fahrer anvertraute geistig behinderte Frauen sexuell belästigt und missbraucht. Der Geschäftsführer der Beklagten erfuhr erstmals am 6. 3. 2001 von den Vorwürfen gegen den Kläger; am 9. 3. und 29. 5. 2001 erfuhr er weitere Details. Der damit konfrontierte Kläger leugnete alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Am 8. 6. 2001 wurde der Kläger, gegen den schon zuvor von der Beklagten stufenweise Kontaktverbote mit den Betreuten auferlegt worden waren, noch vor der Anklageerhebung entlassen. Auf der Grundlage des gegenständlichen Sachverhalts ist die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Entlassung des Klägers ohne Verzug erfolgte, vertretbar. Der Kläger hatte auf Grund der über ihn verhängten Kontaktverbote und der anhängigen Untersuchung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe, keine Grundlage für die Annahme, seine Weiterbeschäftigung könnte, wenn sich die Vorwürfe erhärten, von der Arbeitgeberin als zumutbar angesehen und auf die Ausübung des Entlassungsrechts verzichtet werden.

Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO wird nicht aufgezeigt, sodass die außerordentliche Revision nicht zulässig ist.

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