OGH 9ObA10/21t

OGH9ObA10/21t24.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Hon.‑Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Bianca Hammer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch Blümke Schöppl Schürz, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Ö* Gesellschaft mbH, *, vertreten durch Schima Mayer Starlinger Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 48.449,80 EUR sA und Feststellung (Feststellungsinteresse 5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Dezember 2020, GZ 11 Ra 49/20k‑41, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131463

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger, der seit 1999 freigestellter Personalvertreter und Betriebsratsmitglied ist, ist seit 1. 12. 2009 als „L*leiter 2“ (im folgenden nur: „L 2“) eingestuft und wird entsprechend entlohnt. Er begehrt eine ergänzende Gehaltszahlung von 48.449,80 EUR brutto sA für den Zeitraum 2014 bis 2019 entsprechend der Gehaltsdifferenz zwischen der Position eines „L 2“ und der Position eines „L*leiters 1“ (im Folgenden nur: „L 1“). Weiters begehrt er die Feststellung, dass er auch hinkünftig entsprechend der Position eines „L 1“ entlohnt werde.

[2] Das Erstgericht wies beide Klagebegehren ab.

[3] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die ordentliche Revision ließ es nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die außerordentliche Revision des Klägers ist mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig.

[5] 1.1 Gemäß § 117 Abs 1 ArbVG ist den freigestellten Betriebsratsmitgliedern das Entgelt fortzuzahlen. Die Höhe dieses Entgelts richtet sich danach, was das Betriebsratsmitglied verdient hätte, wenn es während dieser Zeit gearbeitet hätte. Es gilt daher das Ausfallsprinzip. Zu ersetzen ist nur der mutmaßliche Verdienst. Dieser umfasst das, was der betreffende Arbeitnehmer, hätte er nicht eine die Freistellung erfordernde Betriebsratsfunktion bekleidet, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge – also mit überwiegender Wahrscheinlichkeit – weiterhin bezogen hätte (9 ObA 1/91; Mosler in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 117 ArbVG Rz 21; Resch in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 117 Rz 45).

[6] 1.2 Dies trifft auch auf die Ermittlung des mutmaßlichen Verdienstes eines länger freigestellten Betriebsratsmitglieds und dessen festzustellender mutmaßlicher betrieblicher Karriere bei länger andauernder Freistellung zu. Der Karriereverlauf ist anhand von Arbeitnehmern die mit dem Betriebsratsmitglied vor dessen Freistellung weitgehend vergleichbar waren, zu fingieren. Auch der fiktive Karriereverlauf muss überwiegend wahrscheinlich sein, also einer typischerweise verlaufenden betrieblichen „Durchschnittskarriere“ entsprechen (Köck, „Fiktive Karriere“ und andere Sonderprobleme der dauernden Freistellung von Betriebsratsmitgliedern, ZAS 2020/35, 210 [213 f]).

[7] 1.3 Diese Grundsätze entsprechen dem Beschränkungs- und Benachteiligungs- bzw dem Privilegierungsverbot. Betriebsratsmitglieder dürfen insbesondere hinsichtlich des Entgelts und der Aufstiegsmöglichkeiten nicht benachteiligt werden (§ 115 Abs 3 ArbVG). Andererseits ist aber auch eine höhere bzw günstigere Entgeltfortzahlung für die Betriebsratstätigkeit im Hinblick darauf unzulässig, dass die Zuwendung jeglicher materieller Vorteile aus dem Anlass der Betriebsratstätigkeit rechtswidrig ist (RS0051326; RS0051303; 9 ObA 133/12t, DRdA 2013/53 [Jabornegg]; ZAS 2013/228 [Gerhartl]).

[8] 2.1 Im zweiten Rechtsgang ist nur noch strittig, ob der Kläger, der als freigestelltes Betriebsratsmitglied im Jahr 2009 auf eine Planstelle „L 2“ eingestuft worden war, fiktiv schon am 1. 5. 2005 dauerhaft die Postion „L 2“ erreicht hätte. Hätte er diese Position bereits am 1. 5. 2005 innegehabt, wäre er nämlich in den Genuss einer im Jahr 2014 zwischen dem Zentralbetriebsrat und der Beklagten getroffenen Vereinbarung gekommen, nach der die von dieser Vereinbarung erfassten L*leiter ungeachtet der mittlerweiligen Abschaffung der Position des „L 1“ nach wie vor entsprechend dieser Position entlohnt werden.

[9] 2.2 Das Erstgericht hat anhand der oben wiedergegebenen Kriterien detaillierte Feststellungen zur überwiegend wahrscheinlichen Karriereentwicklung des Klägers bis 2005 getroffen. Aus diesen Feststellungen ist hervorzuheben, dass von den 600 vergleichbaren, für die Position eines L*leiters in Frage kommenden Arbeitnehmern insgesamt nur 15 Arbeitnehmer (somit nur 2,5 %) diese Position jemals erreichen, der Kläger (trotz Einräumung entsprechender Möglichkeiten) seit 2002 keine Weiterbildungen mehr besucht und die für die Position eines L*leiters vorgesehene Dienstprüfung nicht abgelegt hat. Diese und weitere Beweisergebnisse (ua dass sich der Kläger zuletzt 1997 um diese Position beworben hatte) mündeten in die negative Feststellung, es könne nicht festgestellt werden, dass der Kläger nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge schon vor dem 1. 1. 2005 dauerhaft die Stellung eines „L 2“ erreicht hätte, wenn er nicht freigestelltes Betriebsratsmitglied gewesen wäre.

[10] 2.3 Ist dem Kläger dieser Nachweis nicht gelungen, ist die Beurteilung der Vorinstanzen, er komme nicht in den Genuss der von ihm begehrten Vergünstigung nach der Lage des Falls nicht zu beanstanden. Dass er die Position eines „L 2“ trotz Erfüllung aller dafür notwendigen Voraussetzungen nur deshalb nicht schon 2005 erhalten hätte, weil er als freigestelltes Betriebsratsmitglied benachteiligt worden wäre, hat der Kläger nicht behauptet.

[11] 3. Ob der Kläger, wäre er nicht von seiner Arbeitstätigkeit freigestellt gewesen, in Abbildung der Karriere eines der Vergleichsgruppe angehörigen „durchschnittlichen“ Kollegen bereits 2005 die Position eines „L 2“ erlangt hätte, ist eine Tatfrage. Die Lösung der Tatfrage besteht in der Beschaffung der konkreten Unterlagen für die Feststellung des tatsächlichen Geschehens und diese Feststellung selbst, während die Lösung der Rechtsfrage in der Anwendung der generell-abstrakten Rechtsnormen auf den Einzelfall liegt (RS0111996; Fasching, Lehrbuch2 Rz 1924 ua). Der Oberste Gerichtshof ist ausschließlich als Rechtsinstanz zur Überprüfung von Rechtsfragen tätig (RS0123663 [T2]).

[12] 4. Da es dem Revisionswerber nicht gelingt, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen, ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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