OGH 9Ob96/24v

OGH9Ob96/24v23.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden und die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Dr. Wallner‑Friedl in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dr. Cl*, und 2. Mag. M*, beide vertreten durch Dr. Thomas Kainz, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. V* AG, *, und 2. P* GmbH & Co KG, *, beide vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 18.431,65 EUR sA, über die Revisionen der klagenden Parteien (Revisionsinteresse: 9.980 EUR) und der erstbeklagten Partei (Revisionsinteresse: 769,20 EUR Zinsen) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 24. Juni 2024, GZ 2 R 48/24d‑64, womit infolge Berufungen der klagenden Parteien und der erstbeklagten Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 12. Jänner 2024, GZ 47 Cg 86/20d‑54, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00096.24V.1023.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Die erstbeklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit insgesamt 442,84 EUR (darin 73,81 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der zweitbeklagten Partei die mit 1.100,52 EUR (darin 183,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Kläger kauften von der zweitbeklagten Händlerin am 8. 4. 2014 einen PKW VW Touran um 24.950 EUR. Der Erstkläger erwarb am 11. 6. 2012 von einem Dritten einen VW Golf. Die Erstbeklagte ist die Herstellerin der beiden Fahrzeuge, die mit einem Dieselmotor EA189 ausgestattet sind. Beide Fahrzeuge sind vom sogenannten Abgasskandal betroffen.

[2] Die Kläger begehren hinsichtlich des VW Touran von der Erstbeklagten aus dem Titel des Schadenersatzes sowie von der Zweitbeklagten ua aus dem Titel Gewährleistung 9.980 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Der Erstkläger begehrt zusätzlich von der Erstbeklagten aus dem Titel des Schadenersatzes 8.451,65 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.

[3] Die Beklagten bestritten.

[4] Das Erstgericht erkannte die Erstbeklagte schuldig, den Klägern 9.980 EUR samt 4 % Zinsen aus 24.950 EUR ab 17. 4. 2014 Zug um Zug gegen Rückgabe des VW Touran sowie dem Erstkläger 8.451,65 EUR samt 4 % Zinsen aus 18.800 EUR ab 11. 6. 2012 Zug um Zug gegen Rückgabe des VW Golf zu zahlen. Das Klagebegehren gegenüber der Zweitbeklagten wies es ab.

[5] Das Berufungsgericht gab der gegen die Klagsabweisung gegenüber der Zweitbeklagten gerichteten Berufung der Kläger nicht Folge. Der gegen den Zinsenzuspruch gerichteten Berufung der Erstbeklagten gab es teilweise Folge.

[6] Zur Berufung der Kläger führte es aus, die Gewährleistungsfrist beginne auch dann mit der Ablieferung der Sache, wenn der Mangel zu diesem Zeitpunkt vom Gewährleistungsberechtigten nicht habe erkannt werden können. Nur bei Zusicherung einer bei Ablieferung nicht feststellbaren Eigenschaft sei der Fristbeginn auf jenen Zeitpunkt verlegt, der das Erkennen des Mangels mit Sicherheit gestatte. Die Anpreisung eines Fahrzeugs als „besonders umweltfreundlich“ sei von einem redlichen Erklärungsempfänger nicht dahin zu verstehen, die Händlerin wolle stillschweigend die Gewährleistungsfrist für alle nur erdenklichen diesbezüglichen Umstände verlängern. Gewährleistungsansprüche gegen die Zweitbeklagte seien daher verfristet.

[7] Die Berufung der Erstbeklagten wurde als teilweise berechtigt erkannt und ein geringerer Zinsbetrag zugesprochen.

[8] Die Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil Rechtsprechung zur Auslegung und Reichweite der angepriesenen Fahrzeugeigenschaft „besonders umweltfreundlich“ fehle.

[9] Gegen die Abweisung des Klagebegehrens gegenüber der Zweitbeklagten wendet sich die Revision der Kläger mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im klagsstattgebenden Sinn abzuändern. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Gegen einen Teil des Zinsenzuspruchs wendet sich die Revision der Erstbeklagten mit dem Antrag, „dass das Klagebegehren vollinhaltlich abgewiesen werde“. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11] Die Zweitbeklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben. Die Kläger beantragen, die Revision der Erstbeklagten zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revisionen sind – ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruchs des Berufungsgerichts – nicht zulässig, die Revision der Erstbeklagten ist absolut unzulässig.

I. Zur Revision der Kläger:

[13] 1. Grundsätzlich beginnt die Gewährleistungsfrist des – hier aufgrund des vor dem 1. Jänner 2022 geschlossenen Kaufvertrags anwendbaren – § 933 ABGB idF vor dem GRUG, BGBl I 2021/175 (§ 1503 Abs 20 ABGB, § 29 Abs 2 VGG), bei Sachmängeln mit der körperlichen Übergabe zu laufen und der Beginn wird nicht dadurch hinausgeschoben, dass im angegebenen Zeitpunkt der Ablieferung die Entdeckung des Mangels noch nicht möglich war (RS0018982; vgl auch RS0018937).

[14] 2. Abweichend davon wird der Fristbeginn bei Zusicherung bestimmter Eigenschaften, deren Nichtvorliegen erst in späterer Zeit erkannt wird, auf den Zeitpunkt der Mangelerkennbarkeit hinausgeschoben (RS0018982 [T10, T11]; RS0018909).

[15] 3. Ob eine Eigenschaft als zugesichert anzusehen ist, hängt nicht davon ab, was der Erklärende wollte, sondern was der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben aus der Erklärung des Vertragspartners erschließen durfte. Seine berechtigte Erwartung ist an der Verkehrsauffassung zu messen (RS0018547 [T6]). Dies kann letztlich nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (vgl 7 Ob 24/21m Rz 1).

[16] 4. Es entspricht der Rechtsprechung, dass das Fehlen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nach der unionsrechtlichen Beurteilung grundsätzlich (ohne besondere Vertragsklausel und ohne besonderes Erklärungsverhalten) eine gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft, nicht aber notwendigerweise eine zugesicherte Eigenschaft ist (3 Ob 148/22v Rz 18). Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass die generelle Beschreibung eines Fahrzeugs als „umweltfreundlich“ im Allgemeinen von einem durchschnittlichen Kunden nicht dahingehend verstanden wird, dass damit konkrete Eigenschaften im Hinblick auf Schadstoffemissionen oder Grenzwerte zugesagt sind, für die die Gewährleistungsfrist „hinausgeschoben“ wird, hält sich im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessenspielraums.

[17] 5. Die Revision der Kläger ist daher mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

II. Zur Revision der Erstbeklagten:

[18] 1. Für die Rechtsmittelzulässigkeit an den Obersten Gerichtshof kommt es – in Bezug auf denStreitwert – auf den Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts an (§ 500 Abs 2 ZPO). Die Revision ist jedenfalls unzulässig, wenn der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat (Entscheidungsgegenstand), an Geld oder Geldeswert insgesamt 5.000 EUR nicht übersteigt (§ 502 Abs 2 ZPO).

[19] 2. Wird der gleiche Anspruch durch oder – wie hier – gegen mehrere Personen geltend gemacht, denen der Anspruch solidarisch zusteht oder für den sie – wie hier – solidarisch haften, so richtet sich der Wert gemäß § 55 Abs 2 JN nach der Höhe des einfachen Anspruchs. Es kommt daher bei einer Solidarhaftung selbst bei Vorliegen einer materiellen Streitgenossenschaft eine Zusammenrechnung im Sinn des § 55 Abs 1 JN nicht in Betracht, ist doch das Geschuldete insgesamt nur einmal zu erbringen (7 Ob 114/15p mwN; Gitschthaler in Fasching/Konecny3 § 55 JN Rz 24 mwN).

[20] 3. Der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat, umfasste hinsichtlich der Erstbeklagten nur Nebengebühren (§ 54 Abs 2 JN), da die Erstbeklagte nur den Zinsausspruch bekämpfte, und übersteigt damit nicht 5.000 EUR. Die Revision ist nach § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig und daher zurückzuweisen.

[21] III. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Gegner haben jeweils auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

[22] Sind nur noch Zinsen Gegenstand des Verfahrens, richtet sich die Bemessungsgrundlage nach § 12 Abs 4 RATG (analog; vgl RS0107153). Maßgeblich ist, welches Gericht in erster Instanz zuständig wäre, der dafür nach § 12 Abs 4 RATG geltende Wert gilt auch im Rechtsmittelverfahren (Obermaier, Kostenhandbuch4 [2024] Rz 1.440). Bemessungsgrundlage für die Kosten der Kläger ist daher der Betrag von 1.000 EUR.

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