OGH 9Ob91/16x

OGH9Ob91/16x26.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn und Dr. Weixelbraun-Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** A*****, vertreten durch Dr. Peter Ozlberger, Rechtsanwalt in Waidhofen an der Thaya, gegen die beklagte Partei N***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 675.860 EUR sA (Revisionsinteresse: 372.220 EUR sA), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Oktober 2016, GZ 1 R 116/16k‑56, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0090OB00091.16X.0126.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

1. Die Beklagte betreibt Münzgewinnspiel‑ automaten („kleines Glücksspiel“). Die Vorinstanzen erachteten die im Zeitraum zwischen 2004 und 2013 geschlossenen Glücksspielverträge der Streitteile wegen Geschäftsunfähigkeit des Klägers als unwirksam und verpflichteten die Beklagte zur Rückzahlung des Spieleinsatzes von 372.220 EUR. Nach den Feststellungen des Erstgerichts hatte der Kläger im genannten Zeitraum etwa 25 Tage im Monat mehrere Stunden gespielt. Es war ihm nicht möglich, das Aufsuchen des Spiellokals zu unterlassen und selbständig das Spielen zu beenden. Es war ihm auch nicht möglich, seinen Willen, zu spielen oder nicht zu spielen, zu bestimmen. Seine Willensbildung hinsichtlich einzelner Spielhandlungen war so eingeschränkt, dass er das Glücksspiel aus eigener Kraft nicht kontrollieren konnte.

Rechtliche Beurteilung

2. Die Beurteilung, ob eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt die Tragweite bestimmter Willenserklärungen verstandesmäßig erfassen konnte oder ob ihr diese Fähigkeit durch eine die Handlungs- und Geschäftsfähigkeit ausschließende geistige Störung fehlte, ist eine typische Beurteilung des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0117658), womit – von Fällen einer groben Fehlbeurteilung abgesehen – keine Rechtsfrage von der Bedeutung des § 502 Abs 1 ZPO begründet wird. Das ist auch hier nicht der Fall.

3. Die Beklagte meint unter Verweis auf die Entscheidung 6 Ob 44/13h, für das Vorliegen von Geschäftsunfähigkeit sei eine vollkommene Unfähigkeit, die Tragweite eines bestimmten Geschäfts einzusehen, erforderlich, was auf den Kläger nicht zutreffe.

3.1. In jener Entscheidung wurde unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung ausgeführt, dass nur derjenige (voll) geschäftsfähig ist, der die Tragweite und Auswirkungen seines Handelns abschätzen und dieser Einsicht gemäß disponieren kann. Die Handlungsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit ist schon dann ausgeschlossen, wenn die normale Freiheit der Willensentschließung durch eine auch nur vorübergehende geistige Störung aufgehoben ist, mag auch noch die Fähigkeit, das Rechtsgeschäft verstandesmäßig zu erfassen, vorhanden sein. Geschäftsunfähigkeit ist nicht nur bei völliger Unfähigkeit zur Willensbildung gegeben; es reicht vielmehr aus, wenn eine durch Geisteskrankheit oder Geistesschwäche behinderte Person zur Willensbildung unfähig ist oder die Tragweite des konkreten Geschäfts nicht richtig abschätzen kann. Für eine partielle Geschäftsunfähigkeit kommt es darauf an, ob der Betreffende in der Lage war, die Tragweite und die Auswirkungen eines bestimmten Rechtsgeschäfts abzuschätzen und dieser Einsicht gemäß zu disponieren.

3.2. In der Folge wird auch ausgeführt, dass Ungültigkeit eines verpflichtenden Rechtsgeschäfts erst dann gegeben sei, wenn eine durch Geisteskrankheit oder Geistesschwäche bedingte vollkommene Unfähigkeit, die Tragweite eines bestimmten Geschäfts einzusehen, vorliege und dass Geschäftsunfähigkeit nur bei völliger Aufhebung der Freiheit der Willensentschließung in Ansehung des konkreten Geschäfts, nicht aber bei einer nur teilweisen Beeinträchtigung oder Motivierung der Willensentschließung gegeben sei. Damit sollte aber nur verdeutlicht werden, dass die Freiheit zur Willensentschließung durch die geistige Störung „aufgehoben“ und nicht nur „tangiert“ gewesen sein muss, um Geschäftsunfähigkeit annehmen zu können.

3.3. Wenn die Vorinstanzen hier nach dem festgestellten Sachverhalt („... nicht möglich, seinen Willen, zu spielen oder nicht zu spielen, zu bestimmen“) in tatsächlicher Hinsicht nicht nur von einer herabgesetzten Steuerungsfähigkeit oder Impulskontrolle, sondern von einer völligen Aufhebung der Freiheit der Willensentschließung des Klägers ausgingen und deshalb in rechtlicher Hinsicht auf seine (partielle) Geschäftsunfähigkeit schlossen, so ist dies vertretbar und nicht weiter korrekturbedürftig.

4. Ein Mangel des Berufungsverfahrens liegt dann vor, wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweisrüge nicht oder nur so mangelhaft befasst, dass keine nachvollziehbaren Überlegungen über die Beweiswürdigung angestellt und im Urteil festgehalten sind (RIS-Justiz RS0043371 [T13]; RS0043150). Das trifft hier nicht zu. Das Berufungsgericht hat insbesondere ausgeführt, dass die Beklagte die Darlegungen des Sachverständigen übergehe, wonach – bei von ihm nicht zu beurteilender Beweisbarkeit von behaupteter Spielfrequenz und -intensität – sehr wohl ein Ausschluss der Willens- und Entscheidungsfreiheit abzuleiten sei und über lange Zeitstrecken nachweisbare Kreditkarten- und Bargeldbehebungen sehr konkrete und anschauliche Rückschlüsse auf die Spielhallenbesuche des Klägers zuließen.

5.  Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

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