OGH 9Ob91/01z

OGH9Ob91/01z11.4.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer, Dr. Spenling, Dr. Hradil und Dr. Hopf als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kinder Daniel, geb. 24. März 1986, Birgit, geb. 20. Jänner 1988 und Mathias N*****, geb. 4. März 1991, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter Katharina M*****, Arbeiterin, *****, vertreten durch Dr. Josef Lindlbauer, Rechtsanwalt in Enns, gegen den Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten als Rekursgericht vom 24. Jänner 2001, GZ 37 R 88/00t-41, womit infolge von Rekursen des Vaters Gerhard N*****, ÖBB-Bediensteter, *****, vertreten durch Dr. Gerold Schmidberger, Rechtsanwalt in Steyr und der Mutter Katharina M***** der Beschluss des Bezirksgerichtes Haag vom 10. November 2000, GZ 1 P 105/98g-36, abgeändert wurde, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

 

Spruch:

gefasst:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Haag vom 5. 11. 1999 (rechtskräftig seit 9. 12. 1999) wurde die Ehe der Eltern geschieden. Beide Elternteile beantragten, ihnen die Obsorge über die mj. ehelichen Kinder Daniel, geb. 24. 3. 1986, Birgit, geb. 20. 1. 1988 und Mathias, geb. 4. 3. 1991, zu übertragen.

Schon während aufrechter Ehe war es so, dass die Kinder die schulfreie Zeit fast ausschließlich bei den Großeltern väterlicherseits verbrachten, wo sie nach der Schule verköstigt und betreut wurden und von wo sie der Vater nach Dienstschluss abholte, um sie zum Übernachten nach Hause zu bringen. An dieser Situation änderte sich nach der Scheidung nur insofern etwas, als der mj. Mathias nunmehr verstärkt von seiner Mutter und der Grossmutter mütterlicherseits versorgt wird und sich demzufolge weniger oft bei den Eltern des Vaters aufhält. Die Eltern leben seit der Scheidung wohl noch im gemeinsamen Haus, führen jedoch getrennte Haushalte. Die Mutter verfügt nur über Sonderschulbildung und ist daher kaum in der Lage, den schulischen Fortgang der Kinder zu fördern.

Anlässlich ihrer Befragung durch das Gericht sprachen sich die beiden älteren Kinder dafür aus, zusammen bei ihrem Vater bzw. dessen Eltern, aber auch in Gemeinschaft mit ihrem jüngeren Bruder bleiben zu wollen. Dieser meinte, bei seiner Mutter bleiben zu wollen, weil es dort "mehr Spielzeug gebe", brach dabei in Tränen aus und war auf Grund seines - begreiflichen - Gemütszustandes offensichtlich nicht in der Lage, weitere verlässliche Angaben zu machen.

Im Übrigen verweist das Erstgericht mehrfach in indirekter Rede auf Berichte des Jugendamtes, ohne dass sich ausreichend deutlich erkennen lässt, ob es sich dabei um weitere Feststellungen, Beweiswürdigung oder rechtliche Beurteilung handelt.

Es vertrat die Rechtsauffassung, dass Gründe der Kontinuität sowie der besseren außerschulischen Betreuung der beiden älteren Kinder dafür sprächen, diese unter die Obsorge des Vaters zu stellen. Wenngleich die Trennung von Kindern nicht optimal sei, entspreche es eher dem Wohl des jüngsten Kindes, dieses bei der Mutter zu belassen, zu welcher es eine stärkere emotionale Beziehung habe. Da der jüngste Sohn nunmehr schulische Förderung in einer Integrationsschule genieße, sei die mangelnde Schulbildung der Mutter, welche zur außerschulischen Erziehung ausreichend befähigt sei, nicht mehr ausschlaggebend.

Dagegen erhoben beide Elternteile mit dem Ziel Rekurse, dem jeweiligen Rekurswerber die Obsorge hinsichtlich aller Kinder zu übertragen.

Das Rekursgericht bestätigte den Beschluss des Erstgerichtes dahin, dass die Obsorge über die beiden älteren Kinder dem Vater zugeteilt wurde. Überdies gab es seinem Rekurs Folge und unterstellte in Abänderung der erstgerichtlichen Entscheidung auch den mj. Mathias der Obsorge des Vaters. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass bei Gegenüberstellung der Betreuungsverhältnisse bei den Elternteilen (§ 178a ABGB) und unter Berücksichtigung der Meinung der älteren Kinder (§ 178b ABGB) diese jedenfalls beim Vater zu belassen seien. Dies gelte - trotz starker emotionaler Beziehung zur Mutter - aber auch für den jüngsten Sohn. Einerseits müsse dem Grundsatz Rechnung getragen werden, mj. Kinder möglichst nicht von einander zu trennen, andererseits habe das Erstgericht Berichte des Jugendamtes außer Acht gelassen, aus welchen hervorgehe, dass die Mutter nicht in der Lage sei, den mj. Mathias zum pünktlichen Schulbesuch anzuhalten oder den Haushalt ordentlich zu führen. Da der mj. Mathias überdies kein Kleinkind mehr sei, komme auch seiner starken Gefühlsbeziehung zur Mutter nicht das vom Erstgericht angenommene, entscheidungswesentliche Gewicht zu. Das Rekursgericht sprach aus, dass ein ordentlicher Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil nur Fragen des Einzelfalls zu beurteilen gewesen seien.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass sämliche Kinder in ihre Obsorge überwiesen werden; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne des Aufhebungsbegehrens auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Ausschlaggebend für die Zuteilung der Obsorge ist ausschließlich das Kindeswohl. Um beurteilen zu können, bei welchem Elternteil das Wohl des Kindes (siehe dazu die in § 178a ABGB angeführten Kriterien) besser gewährleistet ist, müssen die Lebensumstände beider Elternteile in ihrer Gesamtheit einschließlich des Umfeldes einander gegenübergestellt werden. Von besonderem Gewicht ist die Eignung des betreffenden Elternteils für die Ausübung der Obsorge (s. Schwimann in Schwimann ABGB I2 Rzz 11ff. zu § 177 mwN und unter Anführung der von der Rechtsprechung für wesentlich erachteten Kriterien). Zu beachten ist ferner, dass Geschwister nicht ohne zwingenden Grund getrennt werden sollen (Schwimann aao Rz 12) und - die Eignung des entsprechenden Elternteils vorausgesetzt - in der Regel der persönlichen Betreuung durch einen Elternteil der Vorzug vor der durch einen Stellvertreter zu geben ist.

Zur verlässlichen Beurteilung dieser Kriterien reichen, wie von der Mutter schon in ihrem Rekurs gegen den Beschluss des Erstgerichtes vorgebracht, die Feststellungen nicht aus. Das Rekursgericht, welches auf diese - insbesondere durch den Hinweis auf die Notwendigkeit der Beiziehung eines psychologischen Sachverständigen ausreichend deutlich erkennbare - Mängelrüge nicht einging, verwies zur Begründung sowohl des bestätigenden als auch des abändernden Teils seiner Entscheidung lediglich auf Berichte des Jugendamtes, ohne aber erkennen zu lassen, ob damit die unzureichenden Feststellungen des Erstgerichtes ergänzt oder auf Grund einer anderen (welcher?) Beweiswürdigung abgeändert werden.

Da jedenfalls feststeht, dass die Feststellungen - soweit als solche erkennbar - zu einer verlässlichen Beurteilung, wie dem Kindeswohl am besten entsprochen wird, nicht ausreichen, ist mit einer Sanierung des mangelhaften Rekursverfahrens allein nicht das Auslangen zu finden, sondern eine Ergänzung des Verfahrens erster Instanz geboten. Dabei wird wohl auch die Einholung eines aktuellen jugendpsychologischen Gutachtens unumgänglich sein, zumal dies auch vom Jugendamt befürwortet und seinerzeit - noch während aufrechter Ehe (ON 11) - auch veranlasst wurde.

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