European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0090OB00065.23H.1218.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unterbringungs- und Heimaufenthaltsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde vom Senat geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
[2] 2. Gemäß § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB steht dem bisher haushaltsführenden Ehegatten nach Aufhebung des gemeinsamen Haushalts ein Unterhaltsanspruch dann nicht mehr zu, wenn dessen Geltendmachung, besonders wegen der Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts geführt haben, ein Missbrauch des Rechts wäre.
[3] 3.1. Die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB ist zu bejahen, wenn die Geltendmachung und Gewährung eines Unterhaltsanspruchs wegen des Verhaltens des betreffenden Ehegatten als grob unbillig erschiene (RS0009759; RS0009766). Nur aus krassen oder zumindest besonders schweren Eheverfehlungen des Unterhaltsberechtigten, die dem anderen Teil eine Fortsetzung des ehelichen Zusammenlebens unzumutbar machen oder das Begehren nach Unterhalt als sittenwidrig ansehen ließen, kann ein Unterhaltsverlust gerechtfertigt werden (RS0009759 [T8]). Sowohl nach § 94 Abs 2 ABGB wie auch nach § 68a Abs 3 EheG soll der Zuspruch von Unterhalt verhindert werden, wenn der Berechtigte eklatant gegen eheliche Gebote verstößt, und ein solcher Verstoß nach dem objektiven Gerechtigkeitsempfinden aller vernünftig denkenden Menschen mit dem Zuspruch von Unterhalt unvereinbar ist (RS0117457; RS0009759 [T11]).
[4] 3.2. Bei der Wertung des Gewichts der Eheverfehlungen und ihrer Eignung, den Unterhaltsanspruch bei aufrechtem Bestand der Ehe zum Erlöschen zu bringen, darf auch das Verhalten des anderen Teiles nicht vernachlässigt werden (RS0009759 [T12]). Die Behauptungs- und Beweislast hinsichtlich jener besonderen Umstände, die ein solches Unterhaltsbegehren als Rechtsmissbrauch erscheinen lassen, trifft grundsätzlich den unterhaltspflichtigen Ehegatten (RS0009772).
[5] 3.3. Bei Beurteilung, ob die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB ein Rechtsmissbrauch wäre, ist nach der Rechtsprechung ein strenger Maßstab anzulegen (RS0009759 [T5]). Dies insbesondere für den vollen Anspruchsverlust (RS0009759 [T34]).
[6] 3.4. Eine vollständige Unterhaltsverwirkung setzt regelmäßig einen völligen Verlust oder eine ihm nahekommende Verflüchtigung des Ehewillens des (vormals) unterhaltsberechtigten Ehegatten voraus, der sich schuldhaft über alle Bindungen aus der ehelichen Partnerschaft hinwegzusetzen bereit ist (9 Ob 50/18w Pkt 2.2. mwN).
[7] 3.5. Nach nunmehr herrschender Rechtsprechung und Lehre soll vor dem Hintergrund des § 68a Abs 3 EheG auch bei einem auf § 94 Abs 2 ABGB gestützten Unterhaltsanspruch die Bejahung der rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung nicht mehr nur zur gänzlichen Versagung des Unterhaltsanspruchs führen können, sondern es soll auch die Minderung dieses Unterhaltsanspruchs möglich sein (RS0121740). Es bedarf einer umfassenden Interessenabwägung, in welche – ohne dass ein „theoretisches Unterhaltsverfahren nach § 68a EheG“ erforderlich wäre – neben den zur Bejahung des Rechtsmissbrauchs führenden Eheverfehlungen jedenfalls auch das Verhalten des unterhaltspflichtigen Ehepartners, die Dauer und die Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft, das Wohl vorhandener Kinder sowie der Bedarf des Unterhalts ansprechenden Ehegatten einzubeziehen sind (RS0121740).
[8] 4. Die Beurteilung, ob im Einzelfall ein derart besonders krasser Fall vorliegt, in welchem die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs (wegen des Verhaltens des betreffenden Ehegattens) grob unbillig erscheinen würde, stellt grundsätzlich keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung dar (RS0009759 [T13]). Auch die Frage, ob eine Minderung des Unterhaltsanspruchs vorzunehmen ist, ist nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu beantworten und stellt wegen ihrer Einzelfallbezogenheit ebenfalls regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar. Eine vom Obersten Gerichtshof im Sinne der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung des Rekursgerichts zeigt der außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers nicht auf:
[9] 5. Nach den Feststellungen wurde dem Antragsteller mit Beschluss vom 9. 5. 2023 gemäß § 382b Z 2 EO die Rückkehr in die Ehewohnung verboten und diesem gemäß § 382c Z 2 und Z 3 aufgetragen, das Zusammentreffen sowie die Kontaktaufnahme mit der Antragsgegnerin zu vermeiden und ihm verboten, sich ihr oder ihrem Wohnort in einem Umkreis von 100 m zu nähern. Dieser einstweiligen Verfügung liegen tätliche Übergriffe des Antragstellers zugrunde: Im November 2022 packte er die Antragsgegnerin von hinten bei den Haaren und zerrte sie zu Boden; am 11. 4. 2023 riss er ihr das Handy aus der Hand, ergriff sie bei den Handgelenken, zog sie an den Haaren, drückte sie mit einer Hand am Hals zu Boden und hielt ihr den Mund zu, wodurch er ihr Verletzungen in Form eines Hämatoms und einer Schwellung an der rechten Seite des Halses zufügte. Ungeachtet der aufrechten Geltung der einstweiligen Verfügung verstieß der Antragsteller bereits mehrfach gegen die ihm gegenüber erlassene einstweilige Verfügung durch zahlreiche Kontaktaufnahmen, am 13. 6. 2023 auch begleitet durch ein Reißen an der Fahrertüre des parkenden Autos der Antragsgegnerin.
[10] 6. Die angefochtene Entscheidung, mit der das Rekursgericht den Antrag auf vorläufigen Unterhalt und Leistung eines Prozesskostenvorschusses wegen Rechtsmissbrauch abwies, bewegt sich im Rahmen der Grundsätze der Rechtsprechung. Die vom Rekurswerber zahlreich aufgezeigten Entscheidungen zweiter und dritter Instanz mit den unterschiedlichsten Sachverhalten zeigen die Einzelfallbezogenheit der Entscheidung im Anlassfall. Gerade die vom Rekurswerber in seiner Argumentation bemühte Gesamtbetrachtung seines Verhaltens macht die Annahme einer besonders schweren Eheverfehlung durch das Rekursgericht nicht unvertretbar. Dass es bei der Anwendung körperlicher Gewalt für die Qualifikation als schwere Eheverfehlung gemäß § 49 Abs 2 EheG grundsätzlich nicht auf die Schwere der Beeinträchtigung (RS0057020 [T2]) und auch nicht darauf ankommt, ob es sich bei der körperlichen Misshandlung um eine Reaktionshandlung auf vorangegangenes ehewidriges Verhalten des anderen Ehegatten handelte, ist nunmehr ständige Rechtsprechung (6 Ob 99/20g Rz 30; RS0057020). Das weitere Argument des Rekurswerbers, sein Verstoß gegen das gerichtliche Verbot der Annäherung an die Antragsgegnerin zeige nur, dass er die Bindung zu ihr bekräftigen und an der Ehe festhalten wolle, lässt seine schwere Eheverfehlung, die zur Wegweisung geführt hat, in keinem anderen Licht erscheinen. Vielmehr hat er mit seinen körperlichen Übergriffen die Aufgabe seines Ehewillens dokumentiert (vgl RS0009759 [T18]). Anhaltspunkte für eine bloße Minderung des Unterhaltsanspruchs des Antragstellers sind dem festgestellten Sachverhalt nicht zu entnehmen.
[11] Mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO ist der außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers zurückzuweisen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
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