OGH 9Ob39/16z

OGH9Ob39/16z24.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. C* B*, geboren am * 2001, wohnhaft bei der Mutter Dr. C* B*, vertreten durch Dr. Alexander Rehrl, Rechtsanwalt in Salzburg, und Mag. Susanne Hautzinger‑Darginidis, Rechtsanwältin in Wien, und 2. F* B*, geboren am * 2004, wohnhaft beim Vater K* H*, vertreten durch Mag. Thomas Kaumberger, Rechtsanwalt in Pressbaum, wegen Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 13. April 2016, GZ 23 R 136/16x‑877, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:E114964

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Der Antrag des Vaters, der Oberste Gerichtshof möge dem Beschluss des Bezirksgerichts Melk, GZ 22 Ps 2/14y‑848, vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit zuerkennen, wird abgewiesen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

1. Die geltend gemachten Revisionsrekursgründe der Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens und der Aktenwidrigkeit wurden geprüft; sie liegen nicht vor (§ 71 Abs 3 Satz 3 AußStrG).

2. Die Vorinstanzen haben übereinstimmend entschieden, die alleinige Obsorge des Kindes F* dem Vater zu übertragen. Mit Beschluss des Erstgerichts vom 6. 10. 2014 war die Obsorge der Mutter entzogen und vorläufig dem Jugendwohlfahrtsträger übertragen worden. Seit 23. 7. 2014 befindet sich F* im Haushalt des Vaters.

Obsorgeentscheidungen sind ausschließlich auf der Grundlage des Kindeswohls, das dem Elternrecht vorgeht, zu treffen (RIS‑Justiz RS0048632; RS0118080). Sie haben eine zukunftsbezogene Rechtsgestaltung zum Inhalt (RIS‑Justiz RS0106312). Bei einer Kollision mehrerer obsorgerechtlicher Leitgedanken iSd § 138 ABGB ist stets eine Gesamtschau geboten (RIS‑Justiz RS0047832 [T7, T12]).

Die Entscheidung darüber, welchem Elternteil die Obsorge übertragen wird, ist immer von den Umständen des konkreten Einzelfalls abhängig (RIS‑Justiz RS0007101; RS0115719). Der Oberste Gerichtshof geht regelmäßig davon aus, dass eine Obsorgeentscheidung nur dann eine erhebliche Rechtsfrage aufwirft, wenn auf das im Vordergrund stehende Kindeswohl nicht ausreichend Bedacht genommen wurde (10 Ob 24/16a mwN). Eine unvertretbare Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof im vorliegenden Fall aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit korrigiert werden müsste, wird im außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter aber nicht aufgezeigt.

Ein wesentliches Kriterium für die Obsorgeentscheidung ist nach § 138 Z 5 ABGB der Wille des Kindes, der entsprechend seiner Einsichts‑ und Urteilsfähigkeit (§ 146 Abs 3 ABGB) zu berücksichtigen ist. Nach gesicherter Judikatur ist allerdings der Wunsch des Kindes nicht allein entscheidend, wenn schwerwiegende Gründe dagegen sprechen oder seiner Berücksichtigung das Wohl des Kindes entgegensteht (RIS‑Justiz RS0048820; RS0048981; 7 Ob 63/14m mwN; 10 Ob 24/16a). Letzteres hat das Rekursgericht mit vertretbarer Begründung verneint. Soweit der Revisionsrekurs eine „freie“ Willensentscheidung des Kindes, beim Vater wohnen zu wollen, in Frage stellt, weicht er in unzulässigerweise von den für den Obersten Gerichtshof bindenden (vom Rekursgericht überprüften) Feststellungen des Erstgerichts ab (RIS‑Justiz RS0006737). Danach entspricht der Wunsch des Kindes, beim Vater bleiben zu wollen, seinem aktuellen freien und unbeeinflussten Willen.

Trotz einzelner – vom Rekursgericht bei seiner Entscheidung ohnehin berücksichtigten – Verhaltensweisen des Vaters, die dem Kindeswohl nicht entsprechen, ist die Obsorgeübertragung an den Vater im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung aller Umstände vertretbar. Die übereinstimmende Annahme einer günstigen Zukunftsprognose durch die Vorinstanzen ist auf dieser Grundlage nicht zu beanstanden.

Mangels einer Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG ist der Revisionsrekurs der Mutter daher zurückzuweisen.

3. Da mit der Zustellung des Beschlusses des Obersten Gerichtshofs die Entscheidung formell rechtskräftig wird, sodass deren Wirkungen eintreten, erübrigt sich eine vorläufige Wirksamkeitserklärung der Entscheidung zweiter Instanz iSd § 44 Abs 1 AußStrG (vgl 1 Ob 179/11x). Der während des Revisionsrekursverfahrens gestellte Antrag des Vaters war daher abzuweisen.

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