OGH 9Ob36/23v

OGH9Ob36/23v27.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Annerl in der Rechtssache der klagenden Partei W*, vertreten durch Dr. Michael Lentsch, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei K* OG, *, wegen Unterlassung (Streitwert: 100.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Mai 2023, GZ 16 R 110/23y‑109, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0090OB00036.23V.0927.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Nach § 10 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die Vertretung oder auch nur die Erteilung eines Rats abzulehnen, wenn er die Gegenpartei in derselben oder in einer damit zusammenhängenden Sache vertreten hat. Dabei wird zwischen echter (materieller: § 10 Abs 1 RAO) und unechter („formeller“: § 10 Abs 1 RL-BA 2015) Doppelvertretung unterschieden (2 Ob 177/22a Rz 4 mwN; RS0054995).

[2] 2. Unter der echten (materiellen) Doppelvertretung gemäß § 10 Abs 1 Satz 2 RAO versteht man einerseits die eigentliche Doppelvertretung, bei welcher der Rechtsanwalt beide Teile im nämlichen Rechtsstreit vertritt oder ihnen auch nur einen Rat erteilt (§ 10 Abs 1 zweiter Satz RAO), sowie andererseits die uneigentliche Doppelvertretung, bei der ein Rechtsanwalt unter anderem eine Partei vertritt oder berät, nachdem er die Gegenpartei in derselben oder einer damit zusammenhängenden Sache vertreten (oder beraten) hatte (§ 10 Abs 1 Satz 1 RAO; vgl RS0054995).

[3] 3. Das Verbot der Doppelvertretung ist sowohl begrifflich als auch aus der Sicht rechtspolitischer Zielsetzung als weitreichend zu verstehen. Es betrifft überhaupt alle Rechtskonstellationen, in denen Interessenkollisionen zweier Parteien vorliegen (RS0117715). Schon allein die bloße Gefahr einer Interessenkollision, insbesondere aber eines Vertrauensbruchs, begründet das Vorliegen von „zusammenhängenden Sachen“ im Sinne des § 10 Abs 1 RAO (RS0117715 [T3]; RS0054995 [T29], 20 Ds 1/20g).

[4] 4. Die Frage, ob ein Anwalt eine Gegenpartei in einer „zusammenhängenden Sache“ vertreten hat, kann naturgemäß nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls beantwortet werden. Wenn der Kläger die Zulässigkeit seiner außerordentlichen Revision damit begründet, dass es an einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob sich ein sachlicher Zusammenhang im Sinne des § 10 Abs 1 RAO aus einem – wie hier vorliegenden – familiären Naheverhältnis der vertretenen Parteien ableiten lasse, zeigt er keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf (vgl RS0107773; RS0110702; RS0102181). Die übereinstimmende Beurteilung der Vorinstanzen, die eine unzulässige Doppelvertretung der beklagten Anwaltsgesellschaft (RS0113207 [T5]) verneint haben, ist unabhängig von der Frage, ob der Unterlassungsanspruch des Klägers überhaupt berechtigt sein könnte, nicht zu beanstanden.

[5] 5. Nach Ansicht desRevisionswerbers ergebe sich im Anlassfall der „zusammenhängende Sachverhalt“ daraus, dass die Mandanten der Beklagten, gegen die er einZivilverfahren führe, seine Eltern seien und die Beklagte ihn in einem – viele Jahre zuvor (im Jahr 2005) – gegen ihn geführten Strafverfahren verteidigt habe. Das familiäre Verhältnis sei im anhängigen Zivilverfahren von wesentlicher Bedeutung, zumal darin Streitigkeiten aus einem Generationenvertrag sowie Missbrauchs- und Gewalthandlungen der Eltern gegenüber ihnklagsgegenständlich seien. Mit diesen Behauptungen geht der Kläger aber nicht vom festgestellten Sachverhalt aus (vgl RS0043312 [T12]).

[6] Nach den Feststellungen hatte der Kläger dem damaligen Gesellschafter der Beklagten im Zuge seiner Vertretung im Strafverfahren nichts über einen Generationenvertrag, Missbrauchs- oder Gewalthandlungen der Eltern ihm gegenüber mitgeteilt. Vielmehr hatte er diesen (unrichtig) darüber informiert, dass seine Eltern bereits verstorben wären.

[7] Die bloße Tatsache eines bestehenden Verwandtschaftsverhältnisses zwischen den von der Beklagten vertretenen Personen begründet für sich allein aber – ohne Hinzutreten weiterer Sachverhaltselemente – noch keinen ausreichenden Sachzusammenhang, der die Gefahr einer Interessenkollision bewirken könnte. Der einzige „familiäre Anknüpfungspunkt“ besteht hier in der vom Kläger an die Beklagte erteilten (falschen) Mitteilung, dass die Eltern des Klägers bereits verstorben wären. Weshalb dieser Information „augenscheinlich“ Relevanz zukäme, ist nicht ersichtlich und wird in der außerordentlichen Revision auch nicht (nachvollziehbar) begründet.

[8] 6. Die in der Revision zitierten Entscheidungen 1 Bkd 3/93 und 9 Bkd 5/01, die vom Kläger für seinen Standpunkt einer unzulässigen Doppelvertretung ins Treffen geführt werden, sind mangels vergleichbarem Sachverhalt nicht einschlägig.

[9] Mangels Darstellung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.

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