OGH 9Ob29/10w

OGH9Ob29/10w30.3.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, Hon.-Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei und gefährdeten D***** G*****, vertreten durch Dr. Rainer Schüch, Rechtsanwalt in Wien, dieser vertreten durch Dr. Daniela Kuttner, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte und gefährdende Partei Dipl.-Ing. I***** H*****, vertreten durch Mag. Martin Paar und Mag. Hermann Zwanzger, Rechtsanwälte in Wien, wegen Ehescheidung und Erlassung einstweiliger Verfügungen gemäß § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO, über den Revisionsrekurs der beklagten und gefährdenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 9. März 2010, GZ 45 R 732/09v-66, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom 11. November 2009, GZ 13 C 23/09y-59, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs der beklagten und gefährdenden Partei wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung der klagenden und gefährdeten Partei bilden weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Im vorliegenden Revisionsrekursverfahren geht es um die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO (einstweiliger Unterhalt). Das Rekursgericht hob den Antrag der Klägerin und gefährdeten Partei (im Folgenden kurz Klägerin) abweisenden Beschluss des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es mit der Begründung zu, dass eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO iVm § 78 EO vorliege, weil zur Frage der Rechtsanwendung in der gegebenen Fallkonstellation noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs existiere. Mit der „gegebenen Fallkonstellation“ meinte das Rekursgericht, wie auch der Revisionsrekurswerber zur Zulässigkeit des Revisionsrekurses beipflichtet und präzisiert, dass keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, nach welchen Kriterien das nach dem bulgarischen Gesetzbuch über das internationale Privatrecht maßgebende „günstigere Recht“ zu ermitteln sei, das hier zur Anwendung komme. Die Revisionsrekursgegnerin bestritt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und damit die Zulässigkeit des Revisionsrekurses des Beklagten und Gegners der gefährdeten Partei (im Folgenden kurz Beklagter). Der Oberste Gerichtshof ist bei Prüfung der Zulässigkeit des Revisionsrekurses an die Beurteilung des Rekursgerichts über das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage nicht gebunden (§ 526 Abs 2 ZPO). Er kann sich bei der Zurückweisung eines ordentlichen Revisionsrekurses wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 iVm § 528a ZPO).

Die Parteien sind bulgarische Staatsangehörige. Sie leben seit 2002 ständig in Österreich und sind seit 1. 2. 2005 miteinander verheiratet. Ihre eheliche Wohnung befindet sich in Österreich. Die Klägerin begehrt mit der vorliegenden Klage die Ehescheidung aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten und die Erlassung zweier einstweiliger Verfügungen gemäß § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO und § 382e EO. Die auf einstweiligen Unterhalt in der Höhe von 2.000 EUR monatlich gerichtete einstweilige Verfügung bis zur rechtskräftigen Erledigung des Scheidungsverfahrens begründet sie damit, dass ihr der Beklagte, der im Monat 6.000 EUR verdiene, während sie lediglich 340 EUR netto monatlich ins Verdienen bringe, einen angemessenen Unterhalt schulde, tatsächlich aber keinen Unterhalt leiste. Der Beklagte komme zwar für die Kosten der ehelichen Wohnung auf. Dieser Aufwand sei aber nicht anrechenbar, weil die Klägerin aufgrund seines aggressiven Verhaltens in ein Frauenhaus flüchten musste. Der Beklagte wendete ein, dass der begehrte Unterhalt nach bulgarischem Recht zu beurteilen sei. Danach stehe der Klägerin aber kein Unterhaltsanspruch zu, weil sie nicht arbeitsunfähig sei.

In Fragen der persönlichen Rechtswirkungen der Ehe, wozu auch der Unterhalt während aufrechter Ehe gehört (RIS-Justiz RS0106167 ua), bestimmt sich bei Sachverhalten mit Auslandsberührung das anzuwendende Recht nach § 18 IPR-Gesetz (IPRG), BGBl 1978/304 (Neumayr in KBB³ § 18 IPRG Rz 2 ua). Danach kommt es in erster Linie auf das gemeinsame Personalstatut der Ehegatten an, weshalb hier gemäß § 9 Abs 1 IPRG zunächst bulgarisches Recht zur Anwendung gelangt. Ist ausländisches Recht anzuwenden, so kann das Fehlen einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs für sich allein die Zulässigkeit des Revisionsrekurses nicht begründen. Der Revisionsrekurs kann zwar auch bei Maßgeblichkeit fremden Rechts zulässig sein, wenn etwa durch die Beurteilung des fremden Rechts durch die inländischen Gerichte die Rechtssicherheit gefährdet ist (10 Ob 58/07p ua). Dies ist hier aber nicht der Fall. Der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kommt nicht die Aufgabe zu, die Einheitlichkeit oder gar die Fortentwicklung fremden Rechts in seinem ursprünglichen Geltungsbereich zu gewährleisten, weil ihm insoweit nicht die den § 502 Abs 1, § 528 Abs 1 ZPO zugrundegelegte Leitfunktion zukommt (10 Ob 58/07p mwN ua). Zur Ausführung eines im Revisionsrekurs beachtlichen Anfechtungsgrundes bedürfte es daher der Darlegung, dass dem Gericht zweiter Instanz ein für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblicher Verstoß gegen den Rechtsanwendungsgrundsatz des § 3 IPRG unterlaufen wäre (8 Ob 28/87; 1 Ob 171/09t ua). Einen derartigen Verstoß vermag der Revisionsrekurswerber aber nicht auszuführen.

Die Verweisung auf eine fremde Rechtsordnung umfasst gemäß § 5 Abs 1 IPRG auch deren Verweisungsnormen. Es gilt der Grundsatz der Gesamtverweisung (RIS-Justiz RS0076933 ua). Nach Art 87 Abs 1 des bulgarischen Gesetzbuchs über das internationale Privatrecht vom 4. 5. 2005 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Bulgarien 45 ff [53]) unterliegt die Unterhaltspflicht dem Recht des Staats, in dem sich der gewöhnliche Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten befindet, außer wenn sein Heimtatrecht für ihn günstiger ist. In diesem Fall findet das Heimatrecht des Unterhaltsberechtigten Anwendung. Das bulgarische Recht stellt damit primär auf das Recht des Staats ab, in dem sich der gewöhnliche Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten befindet. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass der Unterhalt in der Regel in dem Staat empfangen werde, in dem sich die unterhaltsbedürftige Person aufhalte, wobei es normal sei, dass sich die Person auf den Schutz durch das Recht dieses Staats verlasse (Zidarova/Stanceva-Minceva, Gesetzbuch über das Internationale Privatrecht der Republik Bulgarien, RabelsZ 2007, 398 [438]).

Das bulgarische Kollisionsrecht verweist damit auf das Recht jenes Staats zurück, in dem die Klägerin (mit dem Beklagten) seit 2002 lebt (Österreich). Nur dann, wenn das bulgarische Recht für die Klägerin günstiger wäre als das österreichische Recht, käme nach dem bulgarischen Recht das bulgarische Recht zur Anwendung. Der Umstand, dass die Klägerin ihren Unterhaltsanspruch auf österreichisches Recht stützt, während der Beklagte den Unterhaltsanspruch nach dem bulgarischen Recht bestreitet und auf das österreichische Recht nicht näher eingeht, indiziert bereits, dass für den von der Klägerin begehrten Unterhaltsanspruch das österreichische Recht zumindest nicht ungünstiger ist als das bulgarische Unterhaltsrecht.

Nach Art 79 Abs 1 des bulgarischen Familiengesetzbuchs vom 28. 5. 1985, der ab 1. 10. 2009 durch Art 139 des bulgarischen Familiengesetzbuchs vom 18. 6. 2009 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Bulgarien 55 ff [76]) abgelöst wurde, kann Unterhalt nur derjenige beanspruchen, der arbeitsunfähig ist und sich nicht aus seinem Vermögen unterhalten kann (Auskunft des bulgarischen Ministeriums für Justiz, ON 195; Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Bulgarien 43). Demgegenüber bestimmt das österreichische Recht in § 94 Abs 1 ABGB, ohne auf das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit abzustellen, dass die Ehegatten nach ihren Kräften und gemäß der Gestaltung ihrer ehelichen Lebensgemeinschaft zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse gemeinsam beizutragen haben. Der Ehegatte, der den gemeinsamen Haushalt führt, leistet dadurch seinen Beitrag iSd § 94 Abs 1 ABGB; er hat gemäß § 94 Abs 2 ABGB an den anderen einen Anspruch auf Unterhalt, wobei eigene Einkünfte angemessen zu berücksichtigen sind. Dies gilt nach der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts zugunsten des bisher Unterhaltsberechtigten weiter, sofern nicht die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs, besonders wegen der Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts geführt haben, ein Missbrauch des Rechts wäre. Der Unterhaltsanspruch nach § 94 Abs 2 ABGB führt daher bei wesentlich unterschiedlich hohem Einkommen zweier berufstätiger Ehegatten dazu, dass der Ehegatte mit höherem Einkommen dem Ehegatten mit niedrigerem Einkommen die erforderlichen Mittel zuzuschießen hat, um auch diesem die Deckung der den Lebensverhältnissen beider Ehegatten angemessenen Bedürfnisse zu ermöglichen (RIS-Justiz RS0009723 ua).

Der Revisionsrekurswerber übergeht bei seiner Argumentation, dass das bulgarische Recht primär auf das Recht des Staats des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsberechtigten verweist. Er beginnt seine Überlegungen gleich mit der Ausnahme, unter denen diese Regel nicht gelten soll, ohne aber im Detail darzulegen, weshalb das nach Art 87 Abs 1 des bulgarischen Gesetzbuchs über das internationale Privatrecht primär berufene österreichische Unterhaltsrecht für die Klägerin ungünstiger sei als das bulgarische Recht. Seine allgemeinen Überlegungen zu den Prinzipien des bulgarischen Familienrechts gehen am gegenständlichen Problem vorbei und lassen die nötige Substanziierung vermissen (vgl 1 Ob 171/09t ua). Es geht hier um einen konkreten, von der Klägerin auf das österreichische Unterhaltsrecht gestützten Anspruch. In diesem Zusammenhang ist nun nicht verständlich, weshalb das bulgarische Recht für die Klägerin günstiger sein soll, wenn der Beklagte gleichzeitig selbst darauf pocht, dass die Klägerin diesen Anspruch nach bulgarischem Recht nicht habe. Die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts, dass es bei der Rückverweisung des bulgarischen Rechts auf das österreichische Recht bleibe, weil das österreichische Recht den Ehegattenunterhalt nicht vom Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit des unterhaltsberechtigten Ehegatten abhängig mache, ist daher nicht zu beanstanden, jedenfalls aber vertretbar.

Soweit der Revisionsrekurswerber trotz Einforderung des bulgarischen Rechts die Anwendung des bulgarischen Gesetzbuchs über das internationale Privatrecht bezweifelt, da dieses eine Verweisungsnorm des materiellen Rechts sei und daher gegebenenfalls in das materielle Recht verweise, nicht jedoch in das Prozessrecht (§ 382 Abs 1 Z 8 lit a EO), auf das das Begehren der Klägerin gestützt werde, liegt bei ihm offenbar ein Missverständnis vor. Ausländische Normen sind nur bei der Prüfung materiellrechtlicher Fragen anzuwenden. Auf das Verfahren sind stets die österreichischen Prozessvorschriften anzuwenden (Neumayr in KBB³ § 1 IPRG Rz 1; RIS-Justiz RS0076618 ua). Der vom Gericht aufgrund eines gemäß § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO erlassenen Sicherungsmittels angeordnete einstweilige Unterhalt, der von einem Ehegatten dem anderen Ehegatten zu leisten ist, setzt voraus, dass im materiellen Recht ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch der gefährdeten Partei begründet ist, dieser aber von der gefährdenden Partei verletzt wird (Kodek in Angst, EO² § 382 Rz 38 f; Hopf/Kathrein, Eherecht² § 382 EO Anm 13, jeweils mwN ua). Nur insoweit kommt es also darauf an, welches (materielle) Recht aufgrund des Kollisionsrechts anzuwenden ist (vgl EFSlg 112.418 ua).

Zusammenfassend ist der Revisionsrekurs des Beklagten gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 52 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses des Beklagten hingewiesen (vgl 4 Ob 122/06d ua).

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